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Vom Masseur zum Journalisten
Das Wohnzimmer von Keyvan Dahesch und seiner Frau Anni ist ein typisch deutsches, so wie man es von vielen anderen Menschen in ihrem Alter kennt. Eine gediegene Schrankwand, eine Polstergarnitur in dezentem Naturton, hübsche Kleinigkeiten, Vasen und Figürchen, verteilt im Zimmer. Doch schaut man sich genauer um, bemerkt man auch die vielen bunt geknüpften Perserteppiche, die Parkettboden und Wände der Wohnung im Frankfurter Stadtteil Bonames schmücken. In den Wandablagen reiht sich Kunsthandwerk aus dem Iran, kunstvolle Intarsienschatullen, kleine filigrane Gemälde, orientalische Schälchen.
In einer Schrankwand steht auch ein altes gerahmtes Schwarzweißbild. Es zeigt den heute 67-Jährigen mit seinen drei Geschwistern und den Eltern. Aufgenommen wurde das Familienfoto in Teheran, Daheschs Geburtsstadt, in der er aufgewachsen ist, bis er im Alter von 16 Jahren nach Deutschland kam. Das Foto verrät nichts von Daheschs angeborener, fast kompletter Erblindung. Den behinderten Sohn packten Mutter und Vater, gebildet und begütert, aus lauter Sorge in Watte. Er durfte keinen Sport treiben, und wenn der kleine Keyvan neugierig durch den elterlichen Hof streifte, betört vom Duft der Blumen, wurde er von seinem besorgten Vater sogar bestraft. Andererseits verwöhnten ihn seine Eltern mit Sahnetorten, bis er es als Jugendlicher auf 120 Kilo Körpergewicht brachte. Weil der Junge in den ersten Jahren noch einen schwachen Hell-Dunkel-Kontrast wahrnahm, hatten die Eltern noch Hoffnung auf Heilung und schickten ihn zu Spezialisten nach Deutschland. Kuriert wurde er hier zwar nicht, trotz einer Marathontour mit unzähligen Vitamin- und Calciumspritzen. Doch Deutschland, wo er am 3. September des Jahres 1958 ankam, also vor 50 Jahren, wurde zu seiner neuen Heimat. Und Keyvan Daheschs zweites Leben begann. Für ihn stand damals fest: "Ich wollte bleiben". An eine Rückkehr in seine einstige Heimat, den Iran, hat Dahesch nie mehr gedacht: "Für mich", sagt er "ist der Islam menschen-, lust- und frauenfeindlich."
Keyvan Dahesch besuchte die Blindenschule in Stuttgart und ließ sich zum Masseur ausbilden. Zu dem blinden Masseur kam auch Oskar Schindler, der während des Naziregimes zahlreichen Juden das Leben gerettet hatte: "Er gab mir ein tolles Trinkgeld". Keyvan Dahesch arbeitete auch im Ärztehaus Neu-Isenburg. "Die Frauen", erzählt er, "wollten sich damals eigentlich immer von meinen Kolleginnen massieren lassen, aber wenn sie dann hörten, dass ich blind sei, da waren sie einverstanden." Dahesch lacht. Er hat Humor, auch wenn es um das eigene fehlende Augenlicht geht. Sich selbst nennt er "eine Blindschleiche - von Geburt an". An der Frankfurter Akademie der Arbeit bildete Dahesch sich weiter, setzte seine Schwerpunkte in der Sozialpolitik und im Juristischen und machte zudem eine Verwaltungs- und Journalismus-Ausbildung. Mitte der siebziger Jahre wurde er Bürgerbeauftragter und Pressesprecher beim Hessischen Landesamt für Versorgung und Soziales. Dort blieb er bis zu seiner Pensionierung. Drei Jahre lang engagierte er sich als SPD-Ortsvereinsvorsitzender im Frankfurter Stadtteil Bonames. SPD-Mitglied ist er seit 1965. In Keyvan Daheschs kleinem Büro hängt gerahmt unter Glas eine Autogrammkarte von Willy Brandt. Beginnt er von dem großen SPD-Politiker zu erzählen, gerät sein Redefluss ins Stocken, Dahesch verstummt, und seine Augen füllen sich mit Tränen. Für ihn war Brandt und dessen Kniefall in Warschau "ein Symbol des besseren Deutschlands".
Als freier Journalist lieferte Keyvan Dahesch Artikel für die "Süddeutsche Zeitung", für die Wochenzeitschrift "Die Zeit" und die "Frankfurter Rundschau", für die er auch mehrfach ausgezeichnet wurde. Er berichtete zuvorderst über behindertenrelevante Themen, informierte über neueste Produkte, die das Leben Behinderter erleichtern, porträtierte engagierte Menschen mit Behinderung, warf auch gerne einen Blick über die deutschen Grenzen, was den Umgang mit behinderten Menschen betrifft. Dahesch engagierte sich auch für die Opfer des NS-Euthanasie-Programms, und zuletzt empörte er sich in einem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" über sexuelle Übergriffe auf körperbehinderte Frauen. "Behindert und in doppelter Hinsicht Verliererin" war der Titel seines Beitrags betitelt. Für ihn sein "bestes Werk".
Im Flur, der zu Daheschs kleinem Büro führt, hängt ein Mona Lisa-Plakat. Die Schöne sitzt allerdings im Rollstuhl, "Niemand ist vollkommen", steht über ihr geschrieben. Frauen sind wichtig im Leben des Keyvan Dahesch: als Menschen, für die er sich einsetzt, als Mitstreiterinnen oder - als Kumpel im Sport. Regelmäßig trifft sich Dahesch mit einer kleinen, regen Damengruppe zum gemeinsamen Walken. Damit der blinde Sportler nicht vom Weg abkommt, führen die Sportlerinnen ihn im Wechsel "an der Leine". Eine Frau aber ist für ihn von ganz besonderer Bedeutung: seine Frau Anni. Seit 44 Jahren sind sie ein Paar, erst 2007 gründeten sie die Anni und Keyvan Dahesch-Stiftung. Drei Familien mit behinderten Angehörigen konnten die Daheschs bislang finanziell bei der Anschaffung behindertengerechter Alltagshilfen unterstützen. Auch wenn es im Leben von Keyvan Dahesch mittlerweile ruhiger zugeht, er wird sich auch weiterhin für die Belange von Menschen mit Behinderung einsetzen, denn er weiß: "Es wird noch sehr lange dauern, bis Behinderte als gleichwertige Menschen geachtet werden".
Text: Annette Wollenhaupt/PIA Stadt Frankfurt
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