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Foto: Peter Jülich
Foto: Peter Jülich

Titelthema: März-Ausgabe

Der aufrechte Beamte

NSU 2.0, Racial Profiling, Polizeigewalt: Für die März-Ausgabe hat JOURNAL FRANKFURT-Chefredakteurin Ronja Merkel mit Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill über Rassismus, Vorurteile und Widerstand gesprochen.
Rund zweieinhalb Jahre dauern die Ermittlungen um den NSU 2.0 bereits an: Im August 2018 hatte die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız erstmals Schreiben erhalten, in denen unter anderem mit der Ermordung ihrer Tochter gedroht wurde. Im Dezember erfuhr die Öffentlichkeit von dem Fall; es folgten zahlreiche weitere mit NSU 2.0 unterzeichnete Drohschreiben, stets adressiert an Menschen, die sich offen gegen Rechtsextremismus aussprechen. Und stets führten die Spuren zu Polizeibeamten und -beamtinnen der Hessischen Landespolizei. Am Donnerstag gab die Staatsanwaltschaft Frankfurt bekannt, Anklage gegen vier Beamte erhoben zu haben.

Zuerst im Fokus der Ermittlungen: das 1. Revier in Frankfurt. Fünf Polizisten und eine Polizistin hatten in einer Chatgruppe eindeutig rechtsradikale Bilder und Nachrichten ausgetauscht. Inzwischen gibt es deutschlandweit ähnliche Verdachtsfälle – und die Polizei gerät in eine immer substantieller werdende Vertrauenskrise.

In Frankfurt kämpft Polizeipräsident Gerhard Bereswill dagegen an, dass diese Krise einen noch stärkeren Keil zwischen Zivilgesellschaft und Polizei treibt. Und er bemüht sich um Aufklärung, auch innerhalb der eigenen Reihen. Im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT sagte Gerhard Bereswill, er sei „davon überzeugt, dass die Grundlage für Rassismus und Vorurteile Nichtwissen und Ängste sind. Dem begegnet man am besten durch ständigen Kontakt auf Augenhöhe.“ Die Verdachtsfälle rund um den NSU 2.0-Skandal und das 1. Revier hätten ihn und die gesamte Polizei „sehr betroffen“ gemacht. Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt, weshalb Polizistinnen und Polizisten solche Nachrichten und Bilder, teils mit eindeutig antisemitischen und rassistischen Inhalten, überhaupt teilen“, so Bereswill.

Zwar bezog der Polizeipräsident immer wieder Position und machte deutlich, dass „in der Polizei kein Platz für rechtes Gedankengut ist.“ Vor allem, so Bereswill, seien ihm und der eigens gegründeten Arbeitsgruppe jedoch wichtig gewesen, das Thema in „seiner Grundsätzlichkeit in den Fokus“ zu nehmen. „Ich will nicht nur anlassbezogen reagieren. Das bringt uns auf Dauer nicht weiter.“ Eine Ausstellung und ein Buch sollen den Polizistinnen und Polizisten daher die Verbrechen des Nationalsozialismus vor Augen führen – und damit die Notwendigkeit, heutigen populistischen Kräften die Stirn zu bieten.

Die Historiker Lutz Becht und Thomas Bauer haben auf Bitte Gerhard Bereswills eine intensive Aufarbeitung zu der Rolle der Frankfurter Polizei während des Nationalsozialismus zusammengestellt. Das Buch stellt auch die Biographien dreier Polizisten vor, die während des NS-Regimes Widerstand geleistet haben. Nach ihnen wurden nun drei Veranstaltungsräume des Präsidiums benannt. Insgesamt wirft die historische Betrachtung jedoch einen durchaus schonungslosen Blick auf die Polizei. „Wir wollten keine ‚Heldengeschichten‘ erzählen und einzelne Personen glorifizieren, sondern offen und transparent alle Facetten dieser Zeit darstellen“, so Bereswill. „Auch die Verbrechen, an denen die Polizei maßgeblich beteiligt war. Das, was damals in Frankfurt passiert ist, unterscheidet sich nicht von dem, was damals in ganz Deutschland bei der Polizei passiert ist.“

Die drei Beamten, die den Nazis die Stirn geboten haben, sollen heute „jungen Polizisten und Polizistinnen, die sich noch in der Entwicklung befinden, Vorbilder und Orientierung“ sein, sagt der Polizeipräsident und betont: „Wenn es diese Polizisten in einem furchtbaren Regime unter Lebensgefahr geschafft haben, sich gegen verbrecherisches Unrecht zu stellen, dann ist es umso mehr heute möglich, sich gegen rechtes Gedankengut auszusprechen und entsprechende Fälle in der Polizei offenzulegen.“

Der Nationalsozialismus sei das „dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte“ gewesen. „Kaum 75 Jahre später sehen wir eine zusehende Verrohung auf der Straße und eine Salonfähigkeit von Geisteshaltungen, die ich nur schlimm finden kann“, so Bereswill. Die Rolle der Polizei beinhalte, den aktiven Einsatz für die Demokratie. „Es kann nicht sein, dass wir nur passiv zuschauen. Wir müssen den Kollegen und Kolleginnen bewusst machen, dass wir heute eine ähnliche Entwicklung wie damals erleben – und dass wir, wenn es ganz schlecht läuft, wieder in einen ähnlichen Extremismus hineinrutschen könnten.“

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Dürfen Polizist:innen die AfD wählen? Ist unsere Gesellschaft stark genug, den populistischen Kräften, die Stirn zu bieten? Hat die Polizei ein „Racial Profiling“-Problem? Das ausführliche Interview mit Polizeipräsident Gerhard Bereswill finden Sie in der aktuellen März-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT.
 
26. Februar 2021, 11.48 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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