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Foto: © NDR
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Interview mit Oliver Schröm

„Es ist grotesk, dass staatliche Banken mithelfen, die Staatskasse auszurauben“

Bei den Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäften sind Milliarden aus der Staatskasse an Steuerbetrüger geflossen. Der Journalist Oliver Schröm hat mit Correctiv, in einer Undercover-Aktion, das System offen gelegt und mit dem JOURNAL FRANKFURT darüber gesprochen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Schröm, können Sie kurz erklären, was genau die Cum-Ex-Deals sind?

Oliver Schröm: Cum-Ex sind rein steuergetriebene Aktiengeschäfte, die rund um den Dividendenstichtag stattfinden. Die Aktien werden so oft hin und her getradet, dass irgendwann der Eindruck entsteht, dass eine Aktie mehrere Inhaber habe. Jeder Inhaber beantragt dann die Auszahlung der Kapitalertragssteuer, obwohl diese nur einmal eingezahlt wurde. Im Prinzip heißt das einmal Einzahlen und zwei, drei Mal Auszahlen. Cum-Ex ist kein Steuervermeidungsprodukt, in dem Sinne, dass Personen versuchen, Steuern zu sparen, sondern es ist einfach Raub. Es werden Steuergelder aus der Staatskasse geklaut, die einem nicht zustehen. Um das System zu veranschaulichen: Ein Ehepaar hat kein Kind, möchte aber Kindergeld kassieren. Es leiht sich ein Kind aus England und lässt das einfliegen. Im weiteren Verlauf erwecken sowohl der Mann als auch die Frau gegenüber der Behörde den Eindruck, dass sie alleinerziehungsberechtigt sind. Beide Ehepartner kassieren dann Kindergeld, für ein Kind, das ihnen gar nicht gehört. Nachdem das ganze System so gut funktioniert hat, wird das Kind wieder ausgeflogen. Die vermeintlichen Omas, Opas und Großtanten finden das aber auch ganz toll, lassen das Kind dann wieder einfliegen und gehen ebenfalls zur Behörde, erwecken den Eindruck dass sie alleinerziehungsberechtigt sind und lassen sich das Kindergeld auszahlen. Im Endeffekt beziehen alle Kindergeld für ein Kind, das ihnen gar nicht gehört – das ist Cum-Ex, vereinfacht ausgedrückt.

Worin unterscheiden sich die Cum-Ex und die Cum-Cum Geschäfte?

Cum-Cum verursachen eigentlich den viel größeren Schaden. Ausländische Aktieninhaber können in Deutschland keine Kapitalertragssteuererstattung beantragen, da sie hier auch keine entrichtet haben. Inländische Banken leihen sich dann die Aktien aus dem Ausland, gehen hier zum Finanzamt und lassen sich die Kapitalertragssteuer erstatten, danach werden die Aktien an den Inhaber zurückgegeben und das Geld teilt man sich. Da haben die Banken eine ganz besondere Rolle gespielt, vor allem die Commerzbank. Die war nach der Finanzkrise 2008 fast tot und wurde dann mit staatlichen Milliarden gestützt, aber im gleichen Zeitraum machte sie Cum-Ex und Cum-Cum Geschäfte. Sie raubt den Staat, der sie stützt, aus. Das ist schon widerlich.

Kann man einschätzen, wie hoch die Verluste durch die Deals sind?

In einem Zeitraum von knapp zehn Jahren lagen die Verluste in Deutschland allein durch die Cum-Ex und Cum-Cum Geschäfte bei mindestens 32 Milliarden Euro. Europaweit waren es allein in elf EU-Staaten 55 Milliarden Euro. Vermutlich war es noch weitaus mehr. Das sind lediglich die Zahlen, die wir mit Hilfe eines Wirtschaftswissenschaftlers und Marktdaten errechnen konnten.

Warum sind diese Geschäfte so lange unentdeckt geblieben?

Die Geschäfte sind nicht unbemerkt geblieben, es gab immer wieder Whistleblower und Warnende, die sich beim Finanzamt gemeldet haben. Die sind einfach nicht ernstgenommen worden oder es hat nicht die richtigen Stellen erreicht. Das ist eigentlich die große Frage, warum man dem nicht rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben hat. Es gab auch im Bundestag einen Ausschuss, der sich damit beschäftigt hat – ohne endgültiges Ergebnis. In Deutschland hat es vielleicht auch mit dem Föderalismus zu tun, es gibt zwischen den Finanzämtern keine Vernetzung.

War das staatliche Interesse nicht da, die Deals aufzudecken?

Das weiß ich nicht, das sind jetzt nur Spekulationen. An den Geschäften waren nicht nur Privatbanken, sondern auch staatliche Banken beteiligt. Was das Ganze besonders grotesk macht, ist, dass staatliche Banken mithelfen, die Staatskasse auszurauben. Bei diesem Geschäft braucht man Investoren, welche die Gelder zur Verfügung stellen sowie Trader, Anwälte, Beratungsfirmen und man braucht eine Bank, die das Investment nochmal hebelt. Man kauft am Markt Aktien für Milliardensummen, die werden getradet und dann müssen die Dividenden ausgezahlt werden, welche meistens in einem dreistelligen Millionenbereich liegen – dafür braucht man Banken.

Welche Konsequenzen resultieren jetzt daraus?

Offiziell sind diese Geschäfte seit 2012 in Deutschland nicht mehr möglich. Diese Gesetzeslücke wurde geschlossen. Allerdings konnten wir mittels einer Undercover-Aktion mit versteckten Kameras und Mikrofonen in London nachweisen, dass diese Geschäfte bis heute stattfinden. Nach unserer Berichterstattung vor ziemlich genau einem Jahr hat das EU-Parlament eine Untersuchung eingeleitet. Die europäische Finanzmarktaufsicht ESMA hat investigiert und im Sommer dieses Jahres einen Zwischenbericht veröffentlicht. Die ESMA hat darin unsere Recherchen bestätigt, nämlich, dass die Geschäfte bis mindestens Dezember 2018 weitergingen. Zumindest bis dahin wurden Daten ausgewertet. Es geht also munter weiter, nur dass die Geschäfte nicht mehr Cum-Ex heißen.

Diesem Mechanismus konnte bis jetzt also kein Einhalt geboten werden?

Nein, bis jetzt leider nicht. Das ist ein europäisches Steuerproblem, welches auch auf europäischer Ebene gelöst werden muss. Aber wenn europäische Steuergesetzte verändert werden sollen, braucht man eine 100-prozentige Zustimmung im Parlament. Es gibt immer ein Land, welches dagegen ist und somit blockiert man sich. Interessanterweise ist es oft Deutschland, das Steuergesetzte auf europäischer Ebene blockiert. Eine einheitliche Steuergesetzgebung und eine einheitliche Mehrwertsteuer ist nicht gewollt, als ob man in Deutschland Angst vor einer Gerechtigkeitsdebatte hätte.

Warum war das öffentliche Interesse an den Cum-Ex Geschäften so gering?

Cum-Ex ist natürlich weit weg vom Lebenshorizont eines Normalbürgers. Das sind Milliardengeschäfte von Multimillionären oder Milliardären und ich denke, dass es da eine gewisse Resignation gibt. Viele Menschen haben das Gefühl, dass man sowieso nichts dagegen tun kann. Dennoch hoffe ich, dass wir so langsam eine Bewusstseinsänderung herbeiführen können, dass die Menschen verstehen, dass es ihr Geld ist, das von Reichen und Banken geraubt wird. Schließlich sind es Steuergelder, die da gestohlen werden. Man kann sich ungefähr vorstellen, was man mit 55 Milliarden alles machen kann. Wie viele Schulen oder Kindergärten könnten dafür gebaut werden? Das sind Gelder, die dem Gemeinwohl geklaut werden. So langsam findet jedoch eine Veränderung im Bewusstsein der Menschen statt. Interessanterweise war die Aufregung im Ausland weitaus größer als in Deutschland.

Ist die Thematik vielleicht zu abstrakt?

Am 18.10.2018, als wir europaweit die sogenannten CumExFiles veröffentlichten, ging in den sozialen Medien eine andere Geschichte durch die Decke. Eine Staatssekretärin mit Migrationshintergrund hat eine Rolex getragen. Das hat Deutschland mehr empört, als die Tatsache, dass irgendwelche Superreichen die Staatskasse plündern. Steuergeschichten sind immer abstrakt, aber es liegt an uns Journalisten, es zu erklären, begreiflich und anschaulich zu machen. Bei unserer Veröffentlichung haben wir auch versucht, das als Krimi zu erzählen, um die Menschen abzuholen. Die Menschen, die solche Geschäfte machen, sind sowieso schon unermesslich reich. Das sind Menschen, die es eigentlich gar nicht nötig haben, da sie gut versorgt sind. Das Erschütternde ist, dass diese Finanzelite keine Skrupel hat, sich am Gemeinwohl zu vergreifen, obwohl alle wussten, woher das Geld kommt.

Gibt es die Cum-Cum Geschäfte noch?

Offiziell sind diese Geschäfte seit 2016 verboten. Aber wir konnten ja zeigen, dass diese Art von Geschäften weiterhin laufen. Ich denke, in Deutschland sind die Händler jetzt vorsichtig, da das jetzt strafrechtlich extrem verfolgt wird. In Bonn hat der erste Cum-Ex-Prozess weltweit begonnen. Es geht dabei um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen. Aber wenn wir in die Zukunft schauen, dann geht es weiter. Das ist dann die neue Generation, quasi die 2.0 der Cum-Ex Täter. Einen von denen haben wir durch unsere Undercover-Aktion in London hops genommen. Aber von der Sorte gibt es noch viele.

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Über Oliver Schröm
Oliver Schröm ist der Chefredakteur des Recherchezentrums Correctiv. Das gemeinnützige Kollektiv setzt sich für einen starken, investigativen Journalismus ein. Correctiv hat unter anderem den Skandal über Cum-Ex und Cum-Cum-Deals enthüllt. Schröm gehört zu den renommiertesten Investigativjournalisten Deutschlands. Er hat unter anderem für den Stern und die Sendung Panorama als Investigativjournalist gearbeitet. Bei mehreren Enthüllungsbüchern war er als Co-Autor tätig. Seit 2018 ist er Chefredakteur von Correctiv.
www.correctiv.org
 
22. Oktober 2019, 11.26 Uhr
Ricarda Paul
 
 
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