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Foto: Mathias Vietmeier
Foto: Mathias Vietmeier

Frankfurter Presseclub

Richard Gutjahr spricht über Hass im Netz

Seit eineinhalb Jahren ist Richard Gutjahr Hass im Netz ausgesetzt. Im Gespräch mit Michael Hanfeld (F.A.Z.) im Frankfurter Presseclub spricht er über seine Erfahrungen und ruft zum verantwortungsvollen Umgang mit Informationen auf – „Das Internet vergisst nicht.“
Richard Gutjahr sitzt in seinem Sessel vor dem Publikum des Frankfurter Presseclubs. Während er erzählt, streift er immer wieder mit den Händen über die Armlehne seines Sessels – vor und zurück. Im stickigen Saal herrscht angespannte Stimmung. Er fragt das Publikum, wer schon mal von seiner Geschichte gehört habe. Einige Hände heben sich, andere bleiben unten. „2016 wurden meine Familie und ich Augenzeuge des LKW-Terroanschlags in Nizza, bei dem 86 Menschen getötet wurden. Acht Tage später war ich in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums in München, als dort ein Amokläufer neun Menschen erschoss und die ganze Stadt in Panik versetzte. Als langjähriger Reporter und Nachrichten-Moderator habe ich von beiden Tatorten für die ARD berichtet, was mir und meiner Familie in der Folge zum Verhängnis wurde.“, erklärt Gutjahr. Er rutscht in seinem Sessel hin und her, als wenn er eine bequemere Sitzposition suchte.

Am Mittwoch, den 21. Februar, war Richard Gutjahr zum Gespräch mit Michael Hanfeld (Frankfurter Allgemeine Zeitung) im Frankfurter Presseclub geladen. Der Journalist (SWR, BR, Münchener Abendzeitung, Berliner Tagesspiegel) ist seit fast zwei Jahren Hass im Netz ausgesetzt. Der Stein, der alles ins Rollen brachte, war seine Berichterstattung an den Tatorten. Eigentlich ging er nur seiner journalistischen Pflicht nach. Doch dieser wahnsinnige Zufall führte dazu, dass sich Verschwörungstheoretiker aus allen Lagern – Links, Rechts, ja sogar Friedensaktivisten – im Netz über ihn und seine Familie auslassen. Sie nennen ihn einen „dreckigen Hund“, seine Frau „den Engel mit den Eisaugen“, seine Familie „die Monster der Hölle“. Nachdem sich die Attentate zutrugen und er Augenzeuge wurde – was ja eigentlich schon schrecklich genug ist – fingen die Täter, wie Gutjahr sie mittlerweile nennt, an, jedes einzelne Detail zu rekonstruieren. Sie fanden heraus, in welchem Hotelzimmer er sich damals in Nizza befand, dass seine Frau Jüdin ist. Worüber sich die Verschwörungstheoretiker offenbar auch echauffiert haben, ist die Tatsache, dass er, noch bevor der Lastwagen in die Menschenmenge fuhr, anfing zu filmen. Gutjahr arbeite für einen Geheimdienst, die Anschläge seien fingiert und seine Berichterstattung inszeniert – daraus ergründen sich die Verschwörungstheorien und die darauffolgenden Hass-Inhalte auf allen möglichen Kanälen der sozialen Netzwerke.

Alles begann mit einem Fehler seines Senders. Gutjahr schickte seine Aufzeichnungen an den Bayerischen Rundfunk. Noch in derselben Nacht veröffentlichte der Sender das ungeschnittene Rohmaterial auf YouTube „mit den Schreien meiner Frau und Kinder im Hintergrund“, so Gutjahr. Er rief seine Chefredakteurin an: „Sie meinte, das Internet schlafe jetzt“, lacht Gutjahr bitter. Er erklärt, dass innerhalb kurzer Zeit, etliche Kopien von Videos gezogen und weiter verbreitet werden. Die Verschwörungstheoretiker seien meist keine Einzelpersonen – es handele sich um ganze Communitys. So spreche man etwa von einer „Truth Bomb“, wenn mit der Veröffentlichung von Hass-Inhalten gezielt ein brisanter Zeitpunkt ausgewählt werde und diese von mehreren Usern auf unterschiedlichen Kanälen gleichzeitig gestreut werden.

Ruhig und bestimmt präsentiert Gutjahr die Recherche-Ergebnisse seiner mittlerweile schlaflosen Nächte. Es wird klar, dass er mit herkömmlichen Methoden, wie dem Melden von Videos auf YouTube nicht gegen seine Widersacher ankommt. Da Google ein amerikanisches Unternehmen ist und die Rechtslage in Bezug auf Redefreiheit dort sehr liberal ausgelegt werde, habe Gutjahr keine Chance gehabt, eine Löschung der Inhalte zu erzielen. Stattdessen habe YouTube sogar noch seine Kontaktdaten an die User geschickt, deren Videos Gutjahr gemeldet hatte, mit der Bitte, sich einig zu werden. Die Folge: „Dann werden dir plötzlich dutzende Pizzen nach Hause geliefert und das ist noch eine der harmloseren Geschichten“, so Gutjahr.

Gutjahr wirft die nächste Projektion an die Wand. Sie zeigt eine Twitter-Userin, die Gutjahr anprangert, nicht geholfen zu haben, sondern sich selbst auf Kosten der Opfer inszeniert zu haben. Im Verlauf der Kommentare wird klar, dass sie ihre Meinung auf Grunndlage eines kritischen Artikels in der Frankfurer Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) gebildet hat. Er klickt weiter, die nächste Projektion ploppt auf und der Raum hält die Luft an. Ein Artikel von Michael Hanfeld, F.A.Z.-Redakteur und Moderator des Abends ist zu sehen. Die Überschrift: „Und alle zücken ihre Handys“. Im Text formuliert Hanfeld: „Lauter Menschen, die ihre Handys zücken und – wie Richard Gutjahr auch – den Horror filmen, sich um dessen Opfer aber nicht kümmern, selbst wenn sie vor ihren Füßen liegen“. Gutjahr kritisiert die unbedachte Verurteilung seiner Person und weist darauf hin, dass Hanfeld kein Statement von ihm dazu eingeholt habe: „Ein Anruf bei meinem Sender hätte genügt“, sagt Gutjahr. Entwaffnet antwortet Hanfeld, er habe seine Lektion nun gelernt und würde heute mit einem solchen Sachverhalt anders umgehen. Eine direkte Entschuldigung bringt er nicht über die Lippen.

Nachdem Gutjahr einsehen musste, dass er nicht auf die Unterstützung von Google und Facebook zur Eindämmung der Hass-Inhalte gegen ihn und seine Familie rechnen konnte, ging er zur Polizei. Gemeinsam mit seinem Anwalt gelang es ihm, zumindest einige Täter mit festem Wohnsitz in Deutschland in Rechenschaft zu ziehen. Dabei ergaben einige zivilrechtliche Verfahren Verurteilungen, die meisten strafrechtlichen führten zu keinem Urteil. Den „Schlimmsten von allen“ aber hätten Gutjahr und sein Anwalt nicht : In dem Jahrbuch „Verheimlicht - vertuscht - vergessen 2017: Was 2016 nicht in der Zeitung stand“, erschienen im Kopp Verlag, verbreitet der Autor Gerhard Wisnewski seine Verschwörungstheorien. Das Buch beinhaltet auch ein Kapitel über den Journalisten. Besonders erschreckend für Gutjahr sei die Tatsache, dass das Sachbuch zeitweise auf Platz 2 der Spiegel-Bestseller rangierte (aktuell auf Platz 14). Er fragt ins Publikum: „Wen erreicht das jetzt? Das sind nicht mehr bloß irgendwelche Trolls im Netz. Das sind wir alle“.
 
23. Februar 2018, 17.23 Uhr
Katrin Börsch
 
 
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