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Zwischen „Struwwelpeterei“ und Psychiatriereform

Er ist weltberühmt für sein später oft umstrittenes Bilderbuch, aber kaum jemand kennt Hoffmanns vielschichtiges, auch politisches Engagement in der Frankfurter Gesellschaft und sein Lebenswerk: die neue Psychiatrische Klinik. Als eine prägende Gestalt der Stadtgeschichte des 19. Jahrhunderts würdigt ihn die Stadt Frankfurt in diesem Jahr.

"Mein Vergnügen trägt mir gewissermaßen Zinsen", schrieb vor rund 160 Jahren Heinrich Hoffmann erfreut in einem Brief. Damals war der Vierzigjährige bereits berühmt - allerdings nicht für sein Lebenswerk als Mediziner, sondern für "Allotria". Damit meinte er "die Struwwelpeterei". Die als "zufälliger häuslicher Scherz" Weihnachten 1844 für seinen drei Jahre alten Sohn entstandenen "lustigen Geschichten und drolligen Bilder" gefielen auch den Erwachsenen - die ihn zur Veröffentlichung drängten. Die ersten 1.500 Exemplare, 1845 noch unter dem Pseudonym Reimerich Kinderlieb erschienen, waren schon einen Monat später verkauft. Nachdem er sie 1858 noch einmal grundlegend überarbeitet und um Paulinchen und drei weitere Geschichten ergänzt hatte, traten Hoffmanns "Dilettantengestalten", wie er sie selbst nannte, den Siegeszug um den Globus an: Kaum ein anderes Bilderbuch war Vorbild für so viele Übersetzungen und Satiren - bis heute.

An den großen Erfolg seines Struwwelpeters konnte der am 13. Juni 1809 in Frankfurt geborene Hoffmann mit anderen literarischen oder politischen Arbeiten nie mehr anknüpfen. Aber er war ein Multitalent und auf vielen Ebenen aktiv. Schon 1849 klagte er: "mich Unglücklichen hat es an drei Zipfeln gefaßt, und zerrt mich bald dahin, bald dorthin, da ist die Praxis, da pathologische Anatomie, und das bischen geheimer Musendienst". Auch wenn Hoffmann die Frankfurter Privatpraxis, die er ökonomisch bedingt seit 1835 führen musste, wegen des Werbens um Patienten nicht liebte, sich vielmehr wünschte, "daß die Kranken mich aufsuchen": Arzt war er mit Leib und Seele. Der Vater, der aus einer Handwerkerfamilie zum Architekten und Inspektor für Wasser- und Wegebau aufgestiegen war, hatte ihm zum Medizinstudium geraten, und auch das humanitäre Engagement Hoffmanns mag auf die väterliche Empfehlung zurück gehen, "im Dienst der Menschheit" seine Pflicht zu erfüllen. An der von Hoffmann in Frankfurt mitbegründeten Armenklinik behandelte er bis 1846 die Patienten unentgeltlich. Schon 1844 war er zum Lehrer der Senckenbergischen Anatomie berufen worden, wo er sich auf pathologische Anatomie konzentrierte und "am liebsten von früh bis spät Abends am Seziertisch" saß und das damals neue Mikroskopieren einführte.

"Ich bin Arzt am Irrenhause dahier", meldete Hoffmann 1851 einem Freund und war damit "endlich in eine definitiv ärztliche Stellung hineingeraten", die seinen Wünschen entsprach. Obwohl er nach eigener Aussage "noch nie eine Irrenanstalt besucht" hatte, fand er hier seine Lebensaufgabe und widmete die folgenden fast vier Jahrzehnte der Psychiatrie. Hoffmann setzte alles daran, seine Patienten aus dem alten, überbelegten "Tollhaus" in eine menschenwürdige Klinik zu bringen: den 1864 bezogenen Neubau der Anstalt für Irre und Epileptische auf dem Frankfurter Affenstein. Um diese Anstalt, sein Lebenswerk, zu verwirklichen, hatte er um Nachlässe geworben und Spenden gesammelt. Auch er selbst wohnte samt Familie bis zur Pensionierung 1888 auf dem Affenstein. Hoffmann sah körperliche Ursachen als Auslöser von Geisteskrankheiten und plädierte für die "freie Behandlung" mit möglichst wenigen Zwangsmitteln, ergänzt durch konsequente Bäder- und Beschäftigungstherapie. Damit legte er den Grundstein für eine moderne, naturwissenschaftliche Psychiatrie in Frankfurt.

Während Hoffmann in den Lebenserinnerungen über den "totalen Mangel des Verkehrs mit Freunden" in seiner Jugend klagte, kam er später "als fröhlicher und erfindungsreicher junger Mann viel in Gesellschaft" und "ward fast ein gesuchter Maître de plaisir". Dem Beispiel des Vaters folgend trat er 1836 der Freimaurerloge "Zur Einigkeit" bei. Aber den damals praktizierten Ausschluss von Juden wollte er nicht tolerieren und kehrte daher der Loge nach rund sechs Jahren den Rücken. Künftig bestand er bei von ihm mit gegründeten Vereinigungen - und das waren nicht wenige - kompromisslos auf religiöser Toleranz und Gleichberechtigung. Der Mediziner pflegte auch gerne den Kontakt mit Künstlern des Städel, dessen Administration er lange angehörte, sowie mit Schriftstellern oder Wissenschaftlern. Im Vormärz gründete er die "Gesellschaft der Tutti Frutti". Deren überwiegend deutsch-national gesinnte Mitglieder tarnten sich bei ihren Zusammenkünften vor den Ordnungsorganen und benannten sich demokratisch-egalitär nach Obst- und Gemüsesorten. Hoffmann hieß "Zwiebel".

Der väterlichen Mahnung, sich von "allen politischen Verbindungen" fernzuhalten, ist Hoffmann als Mann des Ausgleichs zeitlebens gefolgt. Dennoch saß er in der Gesetzgebenden Versammlung und im Vorparlament und beherbergte ohne Berührungsängste seinen Studienfreund, den Radikalen Friedrich Hecker. Aus dem Parlament zog sich Hoffmann allerdings bald enttäuscht zurück, denn dort werde nur "leeres Stroh gedroschen". Trotzdem gründete er 1848 den Bürgerverein, der dem "Baum des Separatismus ... die Wurzel abhacken" sollte, aus dem die Radikalen aber rasch wieder austraten. Hoffmann hielt der Institution bis zu seinem Tod am 20. September 1894 die Treue.

Text: PIA-Stadt Frankfurt/Heike Drummer/Jutta Zwilling
 
26. Januar 2009, 11.50 Uhr
red
 
 
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