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Foto: AdobeStock/Viacheslav Yakobchuk
Foto: AdobeStock/Viacheslav Yakobchuk

Internationaler Frauentag

Ein Plädoyer für die Flaneurin

Ein Stadtraum mit seinem Netz aus Straßen und Wegen besteht aus unsichtbaren Grenzen. Diese beeinflussen bis heute das Gehen von Frauen in der Öffentlichkeit. Kann die Frau dennoch die Stadt für sich erobern?
Das Gehen ist die offensichtlichste und gleichzeitig undurchsichtigste Sache der Welt. Seine Bewegung lässt sich in unzähligen Erzählungen wiederfinden – manchmal ganz offensichtlich, manchmal verborgen oder gar nebensächlich. Allesamt haben sie gemeinsam, dass das Gehen zumeist ein Vorankommen gewährleistet, eine Beziehung zu einem Ort, einer Stadt, einer Person entstehen oder Unentdecktes sichtbar werden lässt.

Das Flanieren als ein vom Zufall bestimmtes Gehen gilt noch heute als faszinierendes Phänomen in der Weltliteratur. Auf den Flaneur wurden unzählige männliche Loblieder geschrieben. Sei es von Walter Benjamin, Charles Baudelaire oder Franz Hessel. Sein Entstehen ist auf die mit Glas und Stahl überdachten Pariser passages in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren.

Gibt es auch eine Tradition der Flaneurin?


Das Wort Flaneur stammt vom französischen Verb flâner, das für jemanden steht, der ziellos umherstreift. Als männliche Person mit Privilegien und ohne unmittelbare Verpflichtungen versteht der Flaneur die Stadt wie nur wenige seiner Bewohnerinnen und Bewohner, weil er sie sich mit seinen Füßen eingeprägt hat.

Aber gibt es auch eine Tradition der Flaneurin? Existiert sie überhaupt? Es wäre nicht das erste Mal, dass Frauen im Laufe des Zeitgeschehens nicht die ihnen zustehende Präsenz haben. Dies zeigt auch aktuell die Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ im Jüdischen Museum in Frankfurt, die sich mit vier Frankfurter Künstlerinnen beschäftigt, die heute beinahe vergessen sind.

Flanerie – ein Privileg für Männer?

In der Vergangenheit waren die Möglichkeiten und Aktivitäten der Flanerie vorwiegend das Privileg begüterter Männer. Die Gründe dafür liegen in den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Frauen im neunzehnten Jahrhundert lebten – folglich der Zeit, in der der Flaneur-Begriff entstanden ist. Sobald sie die Öffentlichkeit betraten, waren sie unentwegt der Gefahr ausgesetzt, der eigenen Tugend und dem guten Ruf zu schaden. Die Zeit der Weimarer Republik änderte die Situation und Möglichkeiten der Frauen auf den Straßen. Zwischen 1914 und 1933 stieg die Zahl der weiblichen Angestellten.

Frauen waren nicht länger in der Öffentlichkeit nur die Begleiterinnen von Männern und gingen nach der Arbeit auch nicht auf schnellstem Wege nach Hause. Sie bummelten durch die Straßen, bevölkerten Cafés und inspizierten die Schaufenster. Das Leben der sogenannten „Neuen Frau“ war auch in Frankfurt spürbar, einer pulsierenden Großstadt mit regem Kulturleben, an dem Frauen nun auch erstmals ausgiebig teilhaben konnten. Finden wir Flaneurinnen in dieser Zeit? Ja, zum Beispiel im Roman „Das kunstseidene Mädchen“, geschrieben von Irmgard Keun, die zuletzt mit ihrem Werk „Um Mitternacht“ bei „Frankfurt liest ein Buch“ präsent war. Aktuell ist „Um Mitternacht“ noch in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt zu sehen.

Den Blicken der Außenwelt stellen


Im „Kunstseidenen Mädchen“ lässt Keun ihre Protagonistin Doris durch die Straßen von Berlin streifen. In einer Kleinstadt im Rheinland aufgewachsen, kommt sie mit dem Vorhaben in die Großstadt, ein Glanz zu werden. Was das genau bedeutet, bleibt offen, aber das Dasein als Glanz soll ihr die nötige Achtung in der Gesellschaft verschaffen. Während der gesamten Handlung lernt die Leserschaft durch die Augen von Doris die Berliner Straßen der 1920er-Jahre kennen, durch die sie unentwegt geht. Sie ist berauscht von den Leuchtreklamen, den üppigen Schaufenstern, den gut gekleideten Menschen und dem schillernden Leben in der Großstadt.

Doris sieht, hört, schmeckt und erlebt mit allen Sinnen ihr Berlin, wie sie es selbst nennt. Sie wird zu einer Flaneurin par excellence – immer auf der Suche nach ihrer Identität und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Doris macht uns deutlich, dass es sie gibt – die Flaneurin; allerdings nicht so präsent und leichtfüßig, wie wir es von ihrem männlichen Pendant kennen. Sie ist immer wieder Einschränkungen ausgesetzt, muss sich den Blicken der Außenwelt stellen und sich ihren eigenen Platz auf der Straße erkämpfen. Dabei geht sie viele Schritte voran, aber muss auch immer wieder einige zurückgehen und die negativen Begleiterscheinungen am eigenen Leib erfahren.

Heute können Flaneurinnen in den meisten Teilen der Welt frei auf die Straße gehen

Verweilen, Schlendern, Streunen … sind alles Begriffe, die verwendet werden, wenn es um den Begriff des Flanierens geht. Positive, leichte und unbelastete Wörter. In einem Interview mit dem Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar im Deutschlandfunk Kultur 2018 heißt es über das Flanieren: „Ja, das ist ganz einfach. Man steht auf und macht einen Schritt vor den vorherigen, und siehe da, schon geht man.“ Für die Bewegung an sich mag diese Definition stimmen, aber ist das weibliche Flanieren nicht viel mehr als das?

Heute können Flaneurinnen in den meisten Teilen der Welt frei sowie ohne männliche Begleitung auf die Straßen gehen, und es kann mehr als nur ein zielloses Gehen oder Herumschlendern sein. Es hat eine Bedeutung, eine Bedeutung für sie selbst und für die Räume, in denen sie sich bewegt. Dies hat Lauren Elkin in ihrem 2017 erschienenen Werk „Flaneuse: Women Walk the City in Paris, New York, Tokyo, Venice and London“ beschrieben. Hier zeichnet die Autorin verschiedene Porträts von Frauen nach, die beweisen, dass die Flaneurin für sich alleine steht und eine inspirierende sowie beachtenswerte Gestalt ist. Sie kann die Stadt als Bühne oder Versteck nutzen, sich aus Unterdrückung befreien oder anderen Unterdrückten helfen, die Welt verändern oder sich verändern lassen.

Mann ist das Flanieren selbstverständlich, für die Frau nicht

Die Flaneurin hatte noch nie so viel Aufmerksamkeit wie in den vergangenen Jahren. So erschien 2019 ein weiteres Buch mit dem Titel „FLEXEN. Flâneusen* schreiben Städte“ (Özlem Özgül Dündar / Ronya Othmann / Mia Göhring / Lea Sauer, Hg.) – eine Anthologie von 30 Autorinnen und Autoren. Anhand der Erzählungen wird vor allem deutlich, dass es keine Selbstverständlichkeit für Frauen und all diejenigen, die nicht in das traditionelle Bild des Flaneurs passen, ist, auf der Straße zu sein. Es ist ein tagtäglicher Kampf mit der Stadt. Für den Mann ist das Flanieren selbstverständlich, für die Frau nicht. Es braucht Widerstandskraft gegen Konventionen, Belästigungen, Zeitoptimierung oder eine Kommerzialisierung des urbanen Raumes. Dies bewies bereits Irmgard Keuns „Kunstseidenes Mädchen“. Warum bekommt die Flaneurin erst jetzt mehr Aufmerksamkeit? Ist diese Frage nicht passend im Angesicht aller geführten Debatten, in denen Frauen eine untergeordnete oder nicht annähernd so präsente Rolle wie Männer spielen?

Dies sei nur ein Gedankenanstoß. Ich möchte mit meinem Text ein Plädoyer für die Flaneurin schreiben und sie ins Rampenlicht stellen. Es gab sie und es gibt sie auch heute. Wir finden sie nicht nur auf den Straßen der Stadt, sondern an jedem beliebigen öffentlichen Ort, überall dort, wo sie für sich selbst entschieden hat, sich zu entfalten und ihre Spuren zu hinterlassen. Das Wort „Flanieren“ bekommt mit ihr eine neue Bedeutung, die einen Möglichkeitsraum erschafft für alle, die sich selbst als Flaneurinnen verstehen oder es ab heute tun werden. Vor allem sollte jede Flaneurin selbstbewusst durch die Stadt gehen, ihre unsichtbaren Fäden ziehen zwischen den einzelnen Orten und Begegnungen, wachsam ihre Umgebung beobachten und die Stadt individuell schreiben sowie sich selbst in sie einschreiben. Wie dies auszusehen hat, kann jede selbst entscheiden und dabei womöglich eine Antwort auf die Frage finden „Wer bin ich?“
 
8. März 2023, 12.09 Uhr
Natali-Lina Pitzer
 
 
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