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Sanfter Terrorismus
Donnerstag, 2. Dezember. Da schreien die Politiker seit geraumer Zeit, wie schlimm sich das Nordend verändere. Die berühmte Gentrifizierung. Und was machen sie nun? Wollen unter einer Schule in der Lenaustraße eine unterirdische Parkgarage buddeln, und sogar die Grünen zeigen sich nicht abgeneigt von dieser Idee. Super, Leute. Ich vermute, diese Parkplätze sind für die Rollatoren von Rentnerinnen gedacht oder die Kinderwagen türkischer Großfamilien, oder? Doch sicherlich nicht für die Zweit-Cayennes aufgedonnerter Anwaltsgattinnen.
Freitag, 3. Dezember. Noch mal Gentrifizierung. Hab über Nacht nachgedacht. Das wäre doch ein probates Mittel, die Überschwemmung intakter Wohnviertel durch reiche Schnösel aufzuhalten. Einfach alle Parkplätze wegmachen. Umbauen zu breiteren Gehwegen. Fahrradstellplätzen, Grillplätzen und Kinderspielplätzen. Da hätte sich das Thema schnell erledigt.
Sonntag, 5. Dezember. Heute war ich mit einer Bekannten aus München auf dem Weihnachtsmarkt. Ich aß Nierenspieße, sie kaufte sich eine Mütze. Schon doll, die ganzen Auswärtigen. Wie sie sich unsicher umsehen, immer auf der Hut vor dem Taliban und dem kriminellen Frankfurter. Und meine Münchnerin meinte plötzlich: „Komisch, die vielen Leute. Dabei ist das doch ein stinknormaler, langweiliger Weihnachtsmarkt.“ Kann man auch mal so sehen.
Donnerstag, 9. Dezember. Was ein netter kleiner Dialog, und ich habe ihn gestern auch (fast) so erlebt. Er: „Sie sind schön.“ Sie lächelt etwas verlegen. Er (deutet auf einen Mann, der einige Meter entfernt steht): „Sind Sie mit dem da?“ Sie nickt entschuldigend. Er: „Können wir uns trotzdem mal treffen?“ Sie (verräterisch lächelnd und mit dem Kopf leicht zu dem Mann deutend): „Nicht trotzdem, sondern wegen dem“.
Freitag, 17. Dezember. Gestern fielen neunzehn Flocken Schnee, und sofort wurde der Flughafen geschlossen. Wie einfach doch so ein Technikmonstrum lahm zu legen ist. Ist das nicht eine Art sanfter Terrorismus? Ohne Bomben, Selbstmordattentäter und entführte Flugzeuge. Schneeflöckchen, weiß Röckchen – und Ruhe ist am Himmel. Steckt etwa Gott hinter der Sache? Gibt es ihn tatsächlich, und ist er ein Guter? Wurde ihm das Treiben zu bunt? Feine Vorstellung.
Samstag, 18. Dezember. Könnte eigentlich mal wieder was über Weihnachten schreiben. Das gibt immer so viele schöne Leserbriefe mit den herrlichsten Beschimpfungen. Mit kaum was kann man den Gutmenschen so erregen wie mit schmählichen Bemerkungen über das Fest der Liebe. Aber was soll ich denn noch schreiben? Ich könnte vielleicht den Begriff „Scheinheiliger Abend“ erfinden. Das wäre doch schon mal ein Anfang.
Freitag, 3. Dezember. Noch mal Gentrifizierung. Hab über Nacht nachgedacht. Das wäre doch ein probates Mittel, die Überschwemmung intakter Wohnviertel durch reiche Schnösel aufzuhalten. Einfach alle Parkplätze wegmachen. Umbauen zu breiteren Gehwegen. Fahrradstellplätzen, Grillplätzen und Kinderspielplätzen. Da hätte sich das Thema schnell erledigt.
Sonntag, 5. Dezember. Heute war ich mit einer Bekannten aus München auf dem Weihnachtsmarkt. Ich aß Nierenspieße, sie kaufte sich eine Mütze. Schon doll, die ganzen Auswärtigen. Wie sie sich unsicher umsehen, immer auf der Hut vor dem Taliban und dem kriminellen Frankfurter. Und meine Münchnerin meinte plötzlich: „Komisch, die vielen Leute. Dabei ist das doch ein stinknormaler, langweiliger Weihnachtsmarkt.“ Kann man auch mal so sehen.
Donnerstag, 9. Dezember. Was ein netter kleiner Dialog, und ich habe ihn gestern auch (fast) so erlebt. Er: „Sie sind schön.“ Sie lächelt etwas verlegen. Er (deutet auf einen Mann, der einige Meter entfernt steht): „Sind Sie mit dem da?“ Sie nickt entschuldigend. Er: „Können wir uns trotzdem mal treffen?“ Sie (verräterisch lächelnd und mit dem Kopf leicht zu dem Mann deutend): „Nicht trotzdem, sondern wegen dem“.
Freitag, 17. Dezember. Gestern fielen neunzehn Flocken Schnee, und sofort wurde der Flughafen geschlossen. Wie einfach doch so ein Technikmonstrum lahm zu legen ist. Ist das nicht eine Art sanfter Terrorismus? Ohne Bomben, Selbstmordattentäter und entführte Flugzeuge. Schneeflöckchen, weiß Röckchen – und Ruhe ist am Himmel. Steckt etwa Gott hinter der Sache? Gibt es ihn tatsächlich, und ist er ein Guter? Wurde ihm das Treiben zu bunt? Feine Vorstellung.
Samstag, 18. Dezember. Könnte eigentlich mal wieder was über Weihnachten schreiben. Das gibt immer so viele schöne Leserbriefe mit den herrlichsten Beschimpfungen. Mit kaum was kann man den Gutmenschen so erregen wie mit schmählichen Bemerkungen über das Fest der Liebe. Aber was soll ich denn noch schreiben? Ich könnte vielleicht den Begriff „Scheinheiliger Abend“ erfinden. Das wäre doch schon mal ein Anfang.
24. Dezember 2010, 12.27 Uhr
Michi Herl
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