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Neben der Spur
Unsere Erinnerung ist neben der Deutschen Bahn so ziemlich das Unzuverlässigste, was es auf der Welt gibt. Deutsche Bahn-Witze sind blöd, wir streichen diesen hier. Herr S. jedenfalls scheint nicht nur eine getrübte Erinnerung, sondern auch eine ebensolche Wahrnehmung zu haben. Ein Strafbefehl, gegen den er Widerspruch eingelegt hat, wirft ihm Fahrerflucht vor. Herr S. soll in der Frankfurter Innenstadt ein auf der benachbarten Spur fahrendes Fahrzeug gerammt haben, kurz stehen geblieben und dann weitergefahren sein. Der Fahrer des beschädigten Autos hatte sich das Kennzeichen von Herrn S. notiert. Als kurz darauf die Polizei bei ihm vor der Tür stand, gab er an, dass ihm „von einem wie auch immer gearteten Unfall nichts bekannt“ sei. Diese Aussage wiederholte er noch einmal schriftlich – Führerscheinentzug und Geldstrafe waren die Folge. Nun, vor Gericht, hört sich alles ganz anders an. Die beiden Autos, sagt Herr S., seien schon über längere Zeit neben- und hintereinander her gefahren. Der Fahrer des anderen Autos habe sich aggressiv verhalten und ihn abgedrängt, schließlich sei er gerammt worden. Als er daraufhin gebremst habe, sei der Fahrer des Autos in bedrohlicher Haltung auf ihn zu gekommen; da habe er es mit der Angst bekommen: „Ich dachte, der haut mir jetzt eine rein.“ Der Zeuge und Geschädigte S. ist in der Tat ein großer Mann und ein knorriger Typ noch dazu. Ob man sich deshalb gleich vor ihm fürchten muss, ist eine andere Frage. An seine angeblich so aggressive Weise kann er sich, versteht sich, nicht erinnern. Ansonsten schildert er den Hergang so eindeutig wie präzise. Herr S., ironischerweise ein gelernter Rechtsanwalt, sieht seine Chancen schwinden, zumal die Tricks seines Verteidigers am strengen Richter wie an einer Wand abprallen. Nach kurzer Beratung zieht Herr S. seinen Einspruch zurück. Teuer hat er sich die ganze Sache mit dem Prozess dennoch gemacht. Das wird er aber bald wieder vergessen haben.Christoph Schröder
24. Dezember 2010, 13.07 Uhr
Christoph Schröder
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