Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

"Ein Tribute hatten wir nicht im Sinn"

24 Bands an sieben Tagen beim Yellowstage-Indoor-Festival in Rödelheim – think big gehört zur Haltung von Hazelwood und einer der Labelchefs und Produzent, Gordon Friedrich, erzählt, warum das Festival Hazelwoodstock heißt, aber mit Hippies nichts im Sinn hat.

JOURNAL FRANKFURT:  Wo andere schon einen Abend mit drei Bands ein Festival nennen, toppt Hazelwood noch das Rock am Ring – könnt ihr Rödelheimer nicht einfach mal was ganze „Normales“ machen?
Gordon Friedrich: Eine Großstadt fordert große Gesten. Für die große weite Welt gilt das natürlich doppelt. Und reden wir über Frankfurt, eine Stadt, die ja national und international nicht gerade ein Synonym für rockmusikalische Subkultur ist, muss man schon die ganz schweren Geschütze auffahren, um in Berlin, London, Paris und New York wahrgenommen zu werden. Hazelwood tut das schon immer. Und wenn wir uns jetzt nun mal in den Kopf gesetzt haben, die hiesige Musikszene in den Köpfen der globalen Meinungsmacher ins rechte Licht zu rücken, dann brauchen wir Flutlicht, sonst können wir's gleich lassen. Wir brauchen die Besten der Besten und zwar am liebsten alle, auf einer Veranstaltung, die schon für sich genommen eine Nachricht ist. Und das 7 Tage non-stop. Wir brauchen einen Dokumentar-Film in der Länge und mit dem Unterhaltungswert eines Spielfilms, der geeignet ist, die Kunde auch noch lange nach dem eigentlichen Event in die Welt zu tragen. Nur so geht's. Und darum tun wir's.


Indoor ist das, was ihr da treibt, ja eher noch unüblicher?
Wer so ein Festival aufzieht, macht's im Allgemeinen draußen, weil ins Draußen einfach mehr Leute reinpassen. Wir denken aber zum einen nicht vordergründig kommerziell und auf der anderen Seite haben solche Open Airs auch immer was mit Kirmes zu tun. Und schließlich haben wir die Fäden gerne selbst in der Hand, was der Wettergott partout nicht einsehen will.

Was reizt euch an der Idee eines solchen Sieben-Tage-Marathons?
Bei übermäßiger körperlicher Belastung, wie zum Beispiel beim Marathonlauf, schüttet der Körper ab einem gewissen Erschöpfungsgrad Glückshormone aus. Diesen Zustand werden wir voraussichtlich am zweiten Festival-Tag erreicht haben. Von da an ist dann alles nur noch ein einziger großer Spaß. Aber mal Spaß beiseite: In der Art, wie wir das aufziehen, ist das unseres Wissens nach zumindest im Bereich der Klubkonzerte eine ziemlich einmalige Sache. Das Publikum kann sich tatsächlich alle 24 Bands und 7 DJs nacheinander anhören und trotzdem arbeiten oder studieren gehen. Ganz unmöglich an ein oder zwei Tagen, wo bei der Menge der Bands zudem auf mehreren Bühnen gleichzeitig veranstaltet werden müsste. Diejenigen, die hingegen nur ein, zwei ganz bestimmte Bands sehen wollen, sind nicht genötigt, die restliche 20 mit zu kaufen. Und wir können den Rahmen klein halten, weil sich die Zuschauer ja auf 7 Tage verteilen. In einem 250er Klub ist das Konzerterlebnis, wie erwähnt, ganz einfach ein anderes, als bei einem Hallenkonzert. Was uns und die Bands angeht, geben einem 7 Tage einfach eine bessere Gelegenheit sich kennen zu lernen und auszutauschen. Das gilt auch und gerade für die Bands untereinander. Kaum zu glauben, wie viele seit Jahren in dieser Stadt nebeneinander her Musik machen, ohne gegenseitig ein Konzert besucht, geschweige denn gemeinsam auf der Bühne gestanden zu haben. Alle beteiligten Bands haben ja über das gesamte Festival hinweg freien Eintritt und Zugang zum Backstage – und nutzen das auch.

Hazelwoodstock – da steckt, kein Zufall (zumal wenn man auch das Poster zum Event sieht), auch Woodstock drin. Gibt´s ein Jubiläum, das irgendjemand übersehen hat oder was treibt euch zu diesem Namen?
Das Woodstock-Jubiläum haben wir tatsächlich um ziemlich exakt 18 Monate verpasst. Das sieht uns wieder ähnlich. Zum 40. Jahrestag der Mutter aller Festivals wäre natürlich ein noch viel größerer Schuh draus geworden. Aber uns an den Revival-Hype zu hängen, wäre nicht ehrlich gewesen. Ein Tribute hatten wir tatsächlich nie im Sinn. Wir sind ja nicht mal richtige Hippies. Der Name lag ganz einfach in der Luft. Den Leuten damals ging's, so wie uns, um Alternative. Und sie haben, so wie wir, keine Kompromisse gemacht. Hier wie dort steht eine Non-Stop-Marathon-Partie ins Haus. Hier wie dort wird ein Doku-Film zum Event gedreht. Am Ende heißt unser Label „Hazelwood“ – was liegt da näher? Amüsant ist, dass der englische Ausdruck für Lagerbestand "Stock" ist und so auf sämtlichen Vertriebs-Statements schon immer "hazelwood stock" in der Kopfzeile zu lesen war. Manchmal muss man nur richtig hingucken.

Welchen Geist lebt für euch im Namen Woodstock fort bzw. was wollt ihr mit Hazelwoodstock beschwören?
Diese Leute hatten eine Utopie, für die sie bereit waren, aus einer uniformen Gesellschaft auszubrechen und dafür auch persönlich Repressalien in Kauf zu nehmen. Sicher nicht alle – viele waren auch damals einfach nur Mitläufer, Karnevalisten, auf Partie aus, ähnlich der Love-Paradisten heutiger Tage, von denen ja die allermeisten am Ende des Tages in ihre mausgrauen Kostüme zurückschlüpfen. Aber einige waschechte Utopisten waren doch darunter und obwohl ich ihre Dogmen nicht sämtlich teile, begeistert mich doch der Bums hinter der Sache. Dass den Hippies oft unterstellte anarchische Moment ist dabei eines der größten gesellschaftlichen Missverständnisse. Das waren ja viel eher Sektierer als Nihilisten. Tief einem christlich-humanistisch-abendländischen Weltbild verhaftet und damit viel wertkonservativer als die Gesellschaft oder sogar die Kirche selbst. Und genau das ist es, was mich stört und begeistert. Einerseits ist da die Naivität, der Trugschluss über die menschliche Natur, dem schon die frühen Kommunisten erlegen sind, andererseits ist es doch das, was Leben und Kunst gleichermaßen ausmacht: Das Streben nach einem Ideal. In Zeiten, da sich das kapitale System verselbstständigt, Regierungen entmachtet und selbst die Reichen den Einfluss auf ihre Reichtümer verlieren lässt, kein schlechter Gedanke. Ich selbst bin ein Kind der Punk-Generation und wie sagte Mike Watt so schön: „The kids of today should defend themselves against the 70's. It's not reality, just someone else's sentimentality... It won't work for you..." Aber hey! Das waren die 80er. Wir sind längst angekommen im alles ist möglich!

Ihr seid nicht so unbescheiden, nur Hauskünstler präsentieren zu wollen. Was qualifiziert eine „fremde“ Band bei euch im Haus auftreten zu dürfen?
Wie auch bei der Labelarbeit, denken wir nicht in Sparten. Uns sind die Typen hinter den Instrumenten wichtig. Wir mögen Leute mit Humor, die sich selbst nicht zu ernst nehmen, in deren Weltbild Platz für andere Meinungen ist. Ein Künstler braucht zwar ganz notwendig absolute Überzeugungen, das macht ihn ja zum Künstler, diese Dogmen sollten aber sein Schaffen und nicht sein Benehmen beeinflussen. Leute, die die Musik als Business sehen, und sich entsprechend verhalten, mögen wir gar nicht. All das soll aber nicht bedeuten, dass wir ein sozialer Verein sind, der alles auf die Bühne lässt, was eine Gitarre festhalten kann. Authentizität, Originalität und Unterhaltungswert sind notwendige Kriterien. Wir sind ja schließlich im Showbiz und nicht beim Gottesdienst, wo man die Langeweile in froher Erwartung eines besseren Jenseits runterschluckt. Wer eine Platte kauft oder abends ausgeht und Geld ausgibt, will unterhalten werden und nicht einen karitativen Dienst tun. Sonst kauft er sich den Leuchtturm. Das ist billiger und weniger anstrengend.

So eine Konzertreihe toppt ja noch mal all eure Bemühungen, die ihr sonst so an den Start bringt im Studio? Yellowstage XXL? Wie wichtig ist euch die Bühne und wie stellt ihr sie im Kanon der Frankfurter Konzertbühnen dar?
Als Produzenten und auch als Plattenfirma arbeiten wir fast immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit der Bühne im Studio öffnen wir die Türen nach innen und nach außen. Die ursprüngliche Anonymität des hermetischen Ateliers wird ganz plötzlich zum öffentlichen Raum und das hat durchaus positiven Einfluss auf unsere Arbeit. Hazelwood wurde mit der Gelben Bühne zum Treffpunkt, zum Nabel einer kleinen Szene, die sich aus Künstlern, Mitarbeitern, Ex-Praktikanten, Stammgästen und anders Verrückten rekrutiert. Unsere Gäste erhalten einen Einblick hinter die Kulissen des Musikzirkus', besuchen ein Konzert dort, wo sonst die Platten entstehen. Und irgendwie bewegen sich in der Studioumgebung selbst internationale Größen wie Daniel Johnston, Howe Gelb oder Grant Hart irgendwie lockerer, mischen sich unters Volk, geben sich ungezwungen, Künstler zum anfassen. Das mag daran liegen, dass sich Musiker einfach in jedem Studio irgendwie zuhause fühlen.

 
15. Februar 2011, 11.17 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Schreibzimmer 2024
Alle Schreibwerkzeuge parat
Im September und Oktober findet im Jungen Literaturhaus Frankfurt wieder die Schreibwerkstatt mit zwei Autorinnen statt. Noch bis zum 2. Juni können sich interessierte Jugendliche bewerben.
Text: Lisa Veitenhansl / Foto: © Esra Klein
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
6. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • The Commoners
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
  • Kill the Lights
    Schlachthof | 20.00 Uhr
  • Chilly Gonzales
    Alte Oper | 20.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Intermezzo – Oper am Mittag
    Neue Kaiser | 12.30 Uhr
  • Staatsorchester Darmstadt
    Staatstheater Darmstadt | 20.00 Uhr
  • Things have changed – Bob Dylan is not there
    Staatstheater Mainz | 19.30 Uhr
Theater / Literatur
  • Fremder als der Mond
    Hessisches Staatstheater Wiesbaden | 19.30 Uhr
  • Circus Gebrüder Barelli
    Festplatz am Ratsweg | 15.00 Uhr
  • Follow Me
    Staatstheater Mainz | 10.30 Uhr
Kunst
  • 1974 – Abba, Fussball, Energiekrise
    Freilichtmuseum Hessenpark | 09.00 Uhr
  • Barbara Feuerbach
    Arte Giani | 12.00 Uhr
  • Fragen, forschen und begreifen
    Experiminta Science Center | 09.30 Uhr
Kinder
  • Rückwärts
    Theaterhaus | 10.00 Uhr
  • Shoot’n’Shout
    Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Wartburg | 10.00 Uhr
  • Kannawoniwasein – Manchmal muss man einfach verduften
    Staatstheater Mainz | 11.00 Uhr
Freie Stellen