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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Die Malaise

Unsere Kolumnistin fragt sich, wie es kommt, dass Überkommenes wiedergeboren wird. Zum Beispiel in der neuen Frankfurter Altstadt. Die Antworten hält Sigmund Freud bereit.
Kürzlich stelle ich mir, wie die Frankfurter Altstadt vor 1945 wohl ausgesehen hat.Schön wird es nicht gewesen sein. Dafür authentisch. In Gedanken zogen Menschen in ausgebesserter Kleidern an windschiefen Häusern an mir vorbei. Obdachlose in Lumpen schliefen in Hauseingängen. Heute, da das Neubauprojekt der Frankfurter Altstadt fertiggestellt worden ist, sind die Menschen in Lumpen und die engen dunklen, stinkenden Gassen natürlich weg. Alles sieht fröhlich und unbekümmert aus. Besucher aus aller Herren Länder ziehen am Wochenende ins neue Quartier, ausgerüstet mit Turnschuhen, karierten Hosen und Mobiltelefonen. So haben wir uns das natürlich auch vorgestellt. Unsere Erwartungen werden sicherlich in den kommenden Jahren noch übertroffen. Millionen sollten es schon sein. Frankfurter Altstadt first!

Viel Geld wurde für Fassaden investiert, damit viele Menschen nach Frankfurt kommen. Hinter den Fassaden befindet sich gehobener Wohnungsbau, der sich trotz beengter Platzverhältnisse hervorstechend darin manifestiert, Teil der neuen Frankfurter Altstadt zu sein. Als die historische Altstadt noch stand, gingen die Menschen am Wochenende ins Westend, in den Grüneburgpark oder zum Palmengarten. Im Palmengarten entstand ein modernes Gesellschaftshaus, das den Krieg überlebt hat. Die neuen Einrichtungen wurden grösstenteils durch Spenden finanziert.

Ein besonderes Verständnis und Verhältnis zur eigenen Stadt prägte zunehmend das gemeinsame Stadtbild. Einkäufe wurden in der Kleinmarkthalle an der alten Zeil erledigt, die noch nicht bis zur Unkenntlichkeit begradigt worden war. Die Emporkömmlinge eines wachsenden Bürgertums zogen in wohl proportionierte Villen inmitten von Grün an der Bockenheimer Landstrasse. Die Stadt modernisierte und veränderte sich zusehends. Die Frankfurter Altstadt wurde als Ort überkommener Rückständigkeit vom Bürgertum gemieden.

Das Ganze lässt sich natürlich auch ins Verhältnis zur heutigen Entwicklung setzen. Damalige Neuerungen boten Menschen einen besseren und vielfältigeren Lebensstandard. Ernst May, Frankfurter Siedlungsdezernent in den 20er-Jahren, experimentierte mit fünfzig Kollegen im modernen Wohnungsbau. Es entstand das Frankfurter Bauen. Das Werk wurde weltbekannt.

Natürlich ließe sich argumentieren, auch die Altstadt findet Platz in internationalen Reiseführern. Aber welchen Mehrwert haben die Menschen, als mit offenem Mund durch die Gassen zu laufen, darüber zu sinnieren, wer sich wohl den Wohnraum hinter den Kulissen auf Kostend mit Vorfinanzierung des Steuerzahlers leisten kann? Partizipation über Illusion anstelle bezahlbaren Wohnungsbau. Historisch ist es jedenfalls nicht.

Frankfurt hatte sich Anfang letzten Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht, Menschen bezahlbaren Wohnungsbau zu bieten. Auch die Frankfurter Küche als Vorläufer unserer Einbauküchen wurde entworfen, das Konzept in alle Herren Länder exportiert, alles zusammengenommen sind das Umstände, die das tägliche Leben erleichterten und verschönerten. Diejenigen, die den Schritt in ein besseres Leben nicht schafften, blieben in ihren Häusern, Wohnungen, die im wesentlichen eines zusammenhängend kennzeichnete, dass sie, an modernen Standards gemessen, ungenügend waren.

Die Moderne kam in der breiten Masse nie als homogenes Kulturverständnis an, da sie intellektuell keine lineare Entwicklung nahm. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, dafür aber das kulturelle Selbstverständnis. Vor einem Gebäude am Lerchesberg mit klassizistischen Säulen und Kapitälen blickten wir noch vor einigen Jahren beschämt weg.

Ich habe mir natürlich darüber Gedanken gemacht, wieso die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt vor diesem Hintergrund entstehen konnte und die Frankfurter Gesellschaft unversöhnlich in Lager spaltete. Die einen mögen es, die anderen verabscheuen es geradezu. Die einen interpretieren den Vorgang als Rückschritt, die anderen als Wiederherstellung eines Status Quo - ohne Etagenklo. Kürzlich fragte die FAZ bei Frankfurter Architekten nach. Leider interessiert ihre Meinung nur wenige. Der Architekt ist heute Dienstleister, der den Wünschen seiner Bauherren zu entsprechen hat. That’s it. Jedenfalls entglitt der Fachschaft bereits vor Jahren mangels Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft das Projekt, genaugenommen dem Amt, dem Ernst May und Kollegen professionell dienten. Eine Gruppe rund um Altstadtbefürwortern übernahm das Projekt mit ebenbürtiger Argumentation wie sich heute die AfD vor die Gesellschaft stellt. Der Magistrat ließ sich von einer kleinen lautstarken Gruppe instrumentalisieren.

Einmal dem einen oder anderen eins aufs dumme Maul hauen, ist ein Trieb, dem die meisten von uns nicht nachgeben. Ich habe mich gefragt, warum das so ist. Dabei bin ich auf Sigmund Freud gestoßen. Den eigenen Trieb zu unterdrücken, so Freud, ist ein komplexer soziologisch-kultureller Vorgang und nicht etwa ein Geschenk vom Himmel. Wir lernen von Kindesbeinen an, unsere Triebe zu unterdrücken. Eltern setzen dabei den ersten Meilenstein. Sie entziehen ihren Kindern die Liebe, wenn diese ihren Trieben freien Lauf lassen.

Heute mag es auch umgekehrt sein. Jedenfalls ist Anerkennung, so Freud’s Analyse, an Schuld gekoppelt. Jedes zweite Kind würde gerne Disney World mitten in Frankfurt neben dem Dom in Legosteinen bauen. Schön, bunt und pittoresk sollte sie schon sein, die neue Altstadt. Ein Krönungsweg sollte auch Teil der Inszenierung sein, den jedes Kind zur Konfirmation mit Krone und Zepter für 25 Euro samt Umhang beschreiten kann. Einmal im Leben König von Deutschland sein. Sigmund Freud hat sich viele Jahre mit den vielseitigen Trieben der menschlichen Natur beschäftigt. Ich bin mir nicht sicher, ob er eine Lösung aus dem Dilemma gefunden hat, wie Anerkennung, ohne sich schuldig zu fühlen, in unserer westlichen Gesellschaft möglich ist.

Den Befürwortern der Frankfurter Altstadt ist jedenfalls gelungen, was Freud’s Patienten vielleicht lange versagt bleib. Kultur, sagte Sigmund Freud, bezeichnet die ganze Summe der Leistungen und Einrichtungen, in dem sich unser zivilisatorisches Leben von der Natur entfernt. Das muss in unseren kulturellen Entwicklung weder authentisch noch schön sein. Schuld sind nunmehr aber immer die Anderen.
 
21. Juni 2018, 10.44 Uhr
Ana Marija Milkovic
 
 
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