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Richard David Precht im Interview

„Im Wahlkampf wird immer viel Blödsinn versprochen“

Der Philosoph und Buchautor Richard David Precht diskutiert am 12. Oktober im Mousonturm mit dem als Rebell bekannten Bürgermeister von Reykjavík Jón Gnarr über Demokratie. Vorher stand Precht dem JOURNAL FRANKFURT Rede und Antwort.
Journal Frankfurt: Als zuletzt in Offenbach ein Oberbürgermeister gewählt werden sollte, lag die Wahlbeteiligung bei kümmerlichen 25 Prozent – ein trauriges Beispiel wie man es immer öfter antrifft. Der Bürger hat die Wahl und könnte mitentscheiden - und nutzt dieses Privileg nicht. Wieviel ist die Demokratie dann noch wert?

Richard David Precht: Die Demokratie hat immer noch einen großen Wert. Die allermeisten Menschen, die nicht wählen gehen, sind sicherlich von der Demokratie als der besten Staatsform überzeugt. Es handelt sich dabei eher um eine Politik- und Parteienverdrossenheit. Die Wähler gehen einfach davon aus, dass sich die Parteien ohnehin annähern, die Unterschiede zunehmend verschwinden.

Journal Frankfurt: Welche Wege gäbe es Ihrer Meinung nach, um die Politikverdrossenheit zu bekämpfen?

Richard David Precht: Eine Reform unseres Wahlsystems zum Beispiel. Und dazu gibt es schon einige ernstzunehmende Vorschläge. Etwa wenn man denn Bundesrat abschaffen und ihn durch eine Vertretung der Oberbürgermeister und Landräte ersetzen würde. So müsste sich die Regierung mehr mit den Kommunen auseinandersetzen. Diese ganze Taktiererei der Parteien würde so ei Ende finden. Wir können auf die Parteien nicht verzichten, aber wir können ihre Macht beschneiden. Wieso etwa sind die politischen Parteien in den Aufsichtsratsgremien, etwa des Öffentlichen-rechtlichen Rundfunks, vertreten? Da gehören sie einfach nicht hin.

Journal Frankfurt: Talkshows werden oft als Ersatzparlament tituliert. Da Sie selbst dort gern gesehener Gast sind: Glauben Sie, die TV-Diskussionen helfen der Demokratie weiter?

Richard David Precht: Talkshows können nicht die Demokratie stärken, aber die Shows können den Trend mitbestimmen, politische Tendenzen schwächen oder stärken. Etwa bei Sabine Christiansen, die Show war gut für die Vertreter des Neo-Liberalismus. Sie hat das Meinungsklima verändert. Die Macht der Talkshows ist da, sie verfolgen aber selbst keine tieferen Strategien. Meiner Meinung nach haben wir ohnehin zu viele Talkshows.

Journal Frankfurt: Kürzlich hat sich der Spiegel über Ihre Omnipräsenz lustig gemacht. Haben Sie gelacht?

Richard David Precht: Ja, allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass ich darin kritisiert werde. Vielmehr handelte es sich um einen witzig geschriebenen Artikel, der mehr die Frage stellt, wie kommt es eigentlich, dass ständig Philosophen gefragt werden. Woher kommt das Bedürfnis nach einer „intellektuellen Allzweckwaffe“, wie es der Autor formuliert hat?

Journal Frankfurt: Aber erläutern müssen Sie schon, warum ein Philosoph zu allen möglichen Themen eingeladen wird...

Richard David Precht: Man müsste eher die Frage stellen, warum erst jetzt Philosophen gefragt werden. In Frankreich gibt es mindestens fünf oder sieben Prechts, also Public Philosophers, die das Meinungsklima mitbestimmen. In der Schweiz gibt es einen, in Holland zwei. Es ist eher die Ausnahme, dass es die Präsenz der Philosophen in Talkshows bisher kaum gab. Mal von Sloterdijk abgesehen. jetzt bekomme ich die Schelte dafür ab, dass ich eine Rolle besetze, die Jahre lang unbesetzt geblieben ist. Dabei ist das in Deutschland historisch bedingt. Nach dem dritten Reich waren Philosophen korrumpiert. Deshalb waren Schriftsteller wie Grass und Co. die Vordenker. Eigentlich ist es eine Ausnahme, dass sich Autoren für Politik interessieren. Sie sind aber eben in die Lücken gestoßen, die das Dritte Reich hinterlassen hat.

Journal Frankfurt: Im Oktober diskutieren Sie mit dem Oberbürgermeister von Reykjavik Jón Gnarr im Mousonturm. Wie kam es zu dieser Konstellation?

Richard David Precht: Es ist ja spannend, was in Island passiert ist. Gnarr hat gegen jede Wahrscheinlichkeit gewonnen. In Island war die Auswirkung der Finanzkrise viel schlimmer. Die Regierung und der Zustand Islands sind eine Art Experimental-Labor für Deutschland. Daher ist die Rolle Gnarrs auch so spannend.

Journal Frankfurt: Als Island von der Finanzkrise gebeutelt war, versprach Gnarr Folgendes: Seine „Beste Partei“ stehe für offene statt heimliche Korruption, es solle bald kostenlose Handtücher für alle Schwimmbäder geben und der Zoo der Stadt solle einen Eisbär bekommen. Das kam bei den Wählern an. Wie erklären Sie sich das?

Richard David Precht: Das war die Veralberung des politischen Diskurses. Im Wahlkampf wird immer viel Blödsinn versprochen, der später nicht gehalten wird. ich glaube keiner Partei, dass die Steuern gesenkt werden. Gnarr hat die Verkommenheit des Wahlkampfs offengelegt. Bei uns gibt es etwas ähnliches mit der Piratenpartei, die auch aufzeigt, was im System nicht funktioniert. Das ist eine Art Frühwarnsystem der Demokratie.

Journal Frankfurt: Übrigens hat Gnarr noch keines seiner Wahlversprechen eingelöst...

Richard David Precht: Gnarr ist nicht angetreten, um die Wahlversprechen einzuhalten.

Journal Frankfurt: Gnarr hat alles andere als eine Vorzeigekarriere als Politiker vorzuweisen. Er besuchte ein Internat für schwer erziehbare Jugendliche, war Pfleger in einem Heim für geistig behinderte Menschen, ist Autor, Comedian, Bassist in einer Punkband und Fernsehdarsteller. Wieviel hat sein Wahlerfolg mit Authentizität zu tun?

Richard David Precht:
Wir haben eine tiefe Sehnsucht nach authentischen Politikern. Dabei ist es fast unmöglich, authentisch zu sein, wenn man so eine starke mediale Rolle spielt und dazu fühlen sich die meisten verpflichtet. Zu Zeiten von Konrad Adenauer war das sicherlich noch anders. Heute ist man als Politiker ständig von einer Horde von Kameras umgeben. Wie will man da noch authentisch sein? Politiker lernen dabei Politik zu verkaufen, aber nicht sie zu verkörpern und das nehmen ihnen viele Menschen übel. Einerseits haben Politiker heute viel weniger Macht, andererseits stellen sie sich in den Medien pausenlos selbst dar. Dabei haben sie in der Realität gar nicht den Gestaltungsspielraum, den sie in Wahlkampfzeiten simulieren.

Journal Frankfurt: Sie selbst sind in einer linken Familie großgeworden. Welche politischen Ideen Ihrer Eltern haben Sie übernommen?

Richard David Precht: Mich solidarisch mit den Schwachen, nicht mit den Starken zu fühlen. Für seine Meinung einzustehen, selbst wenn man sich damit einsam und auf verlorenem Posten fühlt und Mehrheitsmeinungen zuerst zu misstrauen. Meinen Eltern waren Werte wichtiger als Geld. Darum bin ich finanziell nicht verführbar.

Journal Frankfurt: : Was bedeutet Linkssein heute?

Richard David Precht: Das ist eine unglaublich komplexe Frage. Das beinhaltet auch das vorher Gesagte. Solidarität, Werte, den Gedanken der Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit ist das linke Thema überhaupt. Nun gibt es keine Partei im Bundestag, die nicht dafür ist. Aber es ist immer die Frage der Abwägung. Da gibt es zwischen mir und Guido Westerwelle mit Sicherheit Unterschiede.

Journal Frankfurt: Schon in den 70ern diskutierte man über die ‚Grenzen des Wachstums‘ – jetzt, in der Finanzkrise, ist diese Floskel fast vollständig verschwunden. Warum eigentlich?

Richard David Precht: Wachstumskritik spielt auch heute noch eine große Rolle. Der Gedanke, dass es kein unendliches Wachstum geben kann, erfährt eine Renaissance. Was machen wir denn, wenn die Märkte in Indien und China gesättigt sind? Unser Wachstum ist doch ein Exportwachstum. Wenn das Ausland alles selber macht, werden wir kein Wachstum mehr haben. Man muss sich nur mal vorstellen, wenn die deutsche autobauende Industrie nichts mehr nach China verkauft, weil man alles dort selber macht. langfristig werden aus den Märkten Konkurrenten. Wir müssen die fetten Jahre nutzen, um die Gesellschaft so umzubauen, das wir kein Wirtschaftswachstum mehr brauchen. In Deutschland gibt es beispielsweise seit Jahrzehnten die Illusion, dass man mehr verdient. Dabei sind die Reallöhne nicht gestiegen, außer bei den Bankern vielleicht. Vielmehr handelt es sich dabei um den Inflationsausgleich. Wenn aber die Leute zwanzig bis dreißig Prozent weniger Lohn haben, dann bekommen Rechtspopulisten eine Chance. Dem müssen wir vorbeugen. Darum müssen wir in den fetten Jahren an der Demokratie arbeiten.

Journal Frankfurt: Noch ein paar letzte Worte zur Zukunft des Euro, bitte!

Richard David Precht: Da habe ich keine sichere Prognose. Wenn man Griechenland aus dem Euro entlassen wollte, dann müsste sich die gleiche Frage auch bei Portugal oder Spanien stellen. Es gibt kein freiwilliges Zurück. Dann zerbräche die Währungsunion. Es gibt also keine Alternative, als Griechenland darin zu lassen. Immerhin haben wir mit Griechenland viel Geld verdient. Mit der Einführung des Euros statt der Drachme wurde in Griechenland vieles teurer, dadurch wurde vieles auf Kredit oder auf Pump exportiert. Unsere Banken haben das ausgenutzt. Und man muss auch sagen, Griechenland hat von unseren Krediten auch gerne Waffen gekauft. Generell haben wir mit dem griechischen Schlendrian Milliarden verdient. Wir müssen jetzt die Banken dafür haften lassen. Wir sind im ganz großen Stil belogen worden.

>>Wir sind Demokratie: Ein Abend mit Jón Gnarr und Richard David Precht, 12. Oktober, 19.30 Uhr, Mousonturm, 20 Euro. Wer Gewinner von zwei Karten für die Veranstaltung sein will, der kann sich bis zum Freitag an der Verlosung beteiligen. Mehr Informationen im JOURNAL FRANKFURT.
 
6. Oktober 2011, 10.51 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
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