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Von Psychos mit unterschiedlicher Motorik

Mousonturm Großkampfwoche. Jeden Tag mindestens ein Event. Am Sonntag als Appetizer für die Woche Tricky, the Godfather of TripHop. Bevor der Mann aus Bristol auf die Bühne kommt, läuft ausgerechnet „In The Air Tonight“ (immerhin dessen erster und auch bester Song) über die PA. Dezenter Hinweis auf die musikalische Entwicklung, die Tricky noch nehmen könnte (und somit eher eine Drohung) oder nur Verweis auf den Geruch, den ein paar gerauchte Tüten Backstage hinterlassen haben könnten? Die Fans reagieren eher amüsiert, auch genervt oder mit Hohngelächter. Vielleicht dient ja auch einer der berühmtesten Drumbeats der Popgeschichte Trickys Band – mit Bass, Drums, Keyboards, Gitarre plus Electronics recht normal besetzt – als Einsatz. Aber weit gefehlt. Das Band bricht vorher ab und das Quartett entwickelt gleich seinen eigenen, anfangs eher langsam sich eingroovenden Beat. Und Tricky, dieser ausgemergelte kleine Kumpan, kommt auf die Bühne, dreht sich erstmal
mit dem Rücken zum Publikum („So bleibt das jetzt die ganze Zeit“, mutmaßt V.), nestelt an sich herum und bläst Rauchwolken in Richtung Schlagzeug. Warum nur haben sich die Techniker kurz zuvor noch die Mühe gemacht, die Bühne in künstlichen Nebel zu hüllen?

Nach dieser kurzen Meditation geht´s gleich ans eingemachte und die Band rockt vehement los. Eine Sängerin übernimmt – wie fast am ganzen Abend – eigentlich die Hauptarbeit der Lead Vocals während Tricky, anfangs bei fetten, tiefen Sound fast nicht vernehmbar, seine dunkel gefärbten Sprechpassagen drüber legt. Dabei arbeitet er sich am Mikro ab, wirkt eher wie ein Windhund, der noch nicht aus der Startbox gelassen wurde oder wie Boxer, der sich tänzelnd, aber gar nicht wirklich locker in den Kampf begibt, ein Hypermotoriker, der sich gleich seines T-Shirts entledigt als sie es eher eine Zwangsjacke, seine Tattoos zeigt, die auf der dunkle Haut wie verwaschen wirken.



Wenn er in den hypnotischen Instrumentalpassagen, die die Fans im Mousonturm gleich zu teils wildem Ausdrucktanz verleiten, seinen Kopf schnell von rechts nach links bewegt, das Wasser, dass er sich öfters aus der Plastikflasche über den Kopf gießt, spritzt und die Pfeifenreinigerfrisur (bei Coolio ist sie gestylter) durch die Luft wirbelt, scheinen sich die Augäpfel wie Planeten auf ihrer Umlauf inwendig im Kopf zu drehen. Mitunter glaubt man keine Pupille mehr wahr zu nehmen. Da wirkt der Mensch noch mehr scary, wie in einem Hollywood-Gruselfilm und man fragt sich unwillkürlich, was für einen Cocktail (gemeint sind hier keine Getränke) er zu sich genommen hat. Dabei muss er per Cateringliste nur feinste Naturkost gestellt haben. Und am liebten – so war zu hören – hätte er wohl selber gekocht. Am Ende fanden sich in der Garderobe dann doch leere Pizzaschachteln.

Das Set wirkte dann aufgrund seiner Intensität gar nicht so kurz wie es letztlich war. Gut 70 Minuten war er auf der Bühne bis er sich erstmals verabschiedet. Dafür am es dann zu einer längeren Zugabe, in der Tricky dann endlich richtig entspannt wirkend mit seinen Musikern, allen vorab dem Keyboarder, lachend kommunizierte und das Publikum mit mehreren Trugschlüssen verwirrte. Denn immer dann, wenn er fast wie in Trance an der Bassdrums rüttelte und jeder dachte, jetzt kegele er das Ding gleich über die Bühne und mutiere endgültig zum Rock´n´Roller, gab er seiner Sängerin wieder ein Zeichen und weiter ging´s wieder mit einer eher melodischen Passagen, Das wiederholte sich mehrfach bis dieser musikalischer Exorzismus endlich seine Ende fand.

Ein Abend später, selber Ort, Motorpsycho aus Norwegen. Auch hier der Einstieg eher verhalten mit Hypnosewirkung. Der Bass bleibt noch verhalten, die Gitarre melodisch der Gesang fast zart und Drummer Kenneth Kapstad, erst recht neu dabei und mit nackten Körper und unermüdlich die Felle bearbeitend Fixpunkt der Augen aller Frauen im Publikum, swingt zum Einstieg fast wie er überhaupt mit der Technik eines Jazzer zu spielen scheint, locker aus dem Handgelenk, aber dabei überaus dynamisch wie das auch die ganze Band zu spielen versteht. Das klingt ein wenig wie psychedelischer Blues bevor sich das Ganze bald – klingt wie ein Allgemeinplatz, ist hier aber absolut angebracht – in einem regelrechten Sound- und Lichtgewitter entlädt.

Genauso vielschichtig und unzufällig wie die Musik sind auch die Projektionen. Kein reines Liquid Lights-Geflimmer, sondern reale Szenen mit Orten und Personen, die aber dann verfremdet eine Art Abstraktionen erfahren und unglaublich synchron mit der Musik entsprechende Wirkung zeigen. Konzertbesucher älteren Baujahrs könnten sich jetzt hinstellen und die langen Kompositionen dahin gehend analysieren, was da an möglichen Inspirationen drinsteckt. Kollege C., ein Kenner der Band und bekennender Fans seit frühen Anfangstagen, erzählt von der Bibliothek der Heimatstadt Trondheim, in der es eine großen Vinylplattensammlung geben soll. Gut möglich, dass sich Bent und Hans Magnus da durchgehört haben. Aussehen tun sie – jetzt wo Haare und Bärte wieder länger sind – wie die seligen Groundhogs. Und klingen tut sie mitunter wie anderes Trio der Geschichte, Cream und die Hendrix Experience. Deep Purple werden auch mal zitiert. Zumindest klingt ein Einstieg wie „Hush", wenn das Stück dann auch eine ganz andere Wendung nimmt. Wenn die Klänge fließender werden, bleiben Gedanken an David Gilmour und Roger Waters nicht aus. „Wie Pink Floyd in Pompeii“, meint B. „Eher wie Pink Floyd in Bombast“, entgegne ich. Wobei – wie die kanadischen Rush klingen sie dann doch nicht.“ Aber manchmal wie Art- oder ProgRock. Denn die Gitarren können mitunter so filigran sein, wie an anderer Stelle dann der Bass brutal. Loops und Mood Taurus Bass Pedals sorgen dann bei Trio für den fehlenden vierten, gar fünften Mann. Was kann man noch assoziieren? Folk à la Led Zeppelin (wer redet bei Motorpsycho imemr von Country?)? Blue Cheers? The Who live at Leeds? The Doors in Momenten, wenn sie abzuheben drohten?

Jedenfalls boten die Drei aus dem hohen Nordern ihrem Publikums was fürs Geld. Fast zwei Stunden spielen sie, bevor sie zu einer längeren Zugabe ansetzen. Und die Fans durch gut durchgeschwitzt, denn die Band hat sie ständig in Bewegung gehalten.

Foto © Detlef Kinsler
 
14. Oktober 2008, 15.40 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
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