Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs
Foto: Andreas Dosch
Foto: Andreas Dosch

Unser Mann in Berlin

Dosch@Berlinale 2015 – Teil 3: Party on!

Unser Filmredakteur Andreas Dosch, von der Festivalitis befallen, zieht sein ganz persönliches Berlinale-Fazit. Und hat auch mal was zu lachen.
Erst mal muss ich mich korrigieren: Andreas Dresens Wettbewerbsbeitrag „Als wir träumten“ spielt nicht in Berlin, wie ich letztes Mal fälschlich behauptete, sondern in Leipzig! Was ihn jetzt auch nicht wirklich besser macht. Das kommt wohl vom Festival-bedingten Kino-Overkill, vor allem, wenn die Hälfte aller Filme irgendwo in den Straßen der Hauptstadt angesiedelt sind. Irgendwann sieht alles gleich aus. Trotzdem trete ich nicht von meiner These zurück, dass im (deutschen) Kino jugendliches Abfeiern (sprich: massiver Alkohol- und Drogenmissbrauch) gerade ganz groß in Mode ist. Jüngstes Beispiel: der im „Panorama“ gezeigte Dokumentarfilm „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin“. Wie es der Titel andeutet: Es geht um die Stadt vor der Wende – und das ist auch gut so. Genauer: die Jahre 1979 bis 1989. Eine verrückte Zeit, in der es den „deutsche Synthesizer-Music“-liebenden Briten Mark Reeder aus dem grauen Manchester in die kunterbunte Metropole verschlug, damals noch komplett ummauert. Zum Glück war der junge Neuankömmling neugierig, aufgeschlossen, für jeden Unsinn zu haben und hatte anscheinend auch immer eine Kamera parat. So traf er Typen wie die Einstürzenden Neubauten, Nick Cave, Jörg Buttgereit, Ideal, Die Toten Hosen, managte die Frauenband Malaria, gründete schließlich sein eigenes Trance-Plattenlabel und so weiter. Worum es in diesen Jahren aber eigentlich ging, war: Party, bis die Ärzte kommen (die sind auch dabei – süß, jung und furchtbar nett). Man muss nicht direkt dabei gewesen sein, aber wenn man einst nach Berlin reinfuhr (meistens per Anhalter), da war das erste, was man nach dem Trabi- und Volkspolizei-Mief des DDR-Transit schnuppern konnte, eben jenes aufregende (und mitunter aufreibende) Lebensgefühl von „anything goes“ in der zukünftigen Westbam-Town. Eine diffuse Freiheit mitten im Eingeschlossensein. Ich hege manch sentimentale Erinnerung an diese Zeit. Hab' zwar nicht in irgendeinem humiden Kreuzberger Kellerclub mit Blixa Bargeld gekokst (für den wäre ich aufgrund meiner Musikvorlieben – damals war Donald Fagen meine Nr. 1 – wohl schon reif für die geschmacksideologische Todesstrafe gewesen). Aber immerhin bin ich mal einige Tage in der Wohnung einer netten jungen Dame untergekommen, die lose Kontakte zur ehemaligen RAF-Szene pflegte und wo die kaum vorhandene Raumwärme durch den geöffneten Backofen ersetzt wurde. Jahaa, wilde Zeiten, ich weiß.

Heutzutage geht alles gediegener zu hier, um nicht zu sagen „unspontaner“. Damals hätten sie wohl gesagt: „Ey, voll ungeil, Mann!“ Nun nächtigt man in Hotels, räkelt sich in wohl beheizten Lichtspielhäusern zwischen fröhlich vor sich hinausdünstenden oder friedlich in sich zuammenschlummernden Gleichgesinnten und freut sich gemeinsam, wenn auf der Leinwand etwas Schönes passiert. Mein persönliches Hightlight (neben dem bereits erwähnten Brian Wilson-Film): „Mr. Holmes“. Ja, genau, es dreht sich um Sherlock. Den „guten Alten“, um genau zu sein. Denn hier ist der ehemalige Meisterdetektiv über 90 Jahre alt, leidet an akutem Gedächtnisschwund und wird von Sir Ian „Gandalf“ McKellen dargestellt. Erste Erkenntnis: Meine Fresse, hat der McKellen eine große Nase! War wohl doch kein CGI-Effekt von Peter Jackson. Zudem ist dieses wunderbar entspannte, doppelbödige, sehr britische Werk reiner Balsam für die Kinosäle (ha, Wortspiel!), weil es auf ganz unaufdringliche Weise punktgenaue Eleganz verströmt und einem beim Rausgehen dieses zufriedene Lächeln schenkt, welches viele Hardcore-Filmkritiker partout nicht ausstehen können. Berechnete Harmonie hat ja auch ihre Tücken. In der Nazi-Kunstraub Dramödie „Woman in Gold“ zum Beispiel, mit Helen Mirren (ähnliches Schauspiel-Kaliber wie McKellen), wird das Publikum-in-Stimmung-Bringen mit der Brechstange (und Hans Zimmer brachialen Streicher-Partituren) heraufbeschworen. Ergebnis: gegenteiliger Erfolg. Man denkt sich: „Ein Packen weniger hätte auch gereicht.“

Überhaupt sind es bei der 65. Berlinale eher die kleineren, unscheinbaren Werke, die den intensiveren Eindruck hinterlassen. „Taxi“ des Iraners Jafar Panahi zum Beispiel, der im Geheimen munter weiter Filme dreht, obwohl er in seiner Heimat einem Berufsverbot unterliegt. Ein Liebling bei Rezensenten und Publikum gleichermaßen. Das britische Ehedrama „45 Years“. Hatte auch ich nicht auf meiner Liste (Fehlentscheidung!), werde es wohl anderweitig nachholen müssen. „Ixcanul“, eine stille Ethno-Studie und der erste Wettbewerbsfilm aus Guatemala – ich tippe mal, der kriegt was. Ebenfalls Bären-verdächtig: die düsterböse chilenische Katholizismus-Schelte „El Club“. Um nur einige zu nennen. Mein Darling „Mr. Holmes“ läuft leider außer Konkurrenz, dem kann man also nichts geben. Wobei ich mich immer frage: Warum laufen Filme „im Wettbewerb“ eigentlich „außer Konkurrenz“? Wo sie doch in einer anderen Sektion viel passender aufgehoben wären. „Berlinale Special“ zum Beispiel, von der bis heute keiner genau weiß, was sie eigentlich soll. Außer vielleicht, renommierte Namen anzulocken. Möglicherweise sind hier beträchtliche Geldsummen im Spiel. Allein Gott und Dieter Kosslick kennen die Antwort.

Wem die Internationale Jury bestehend aus Darren Aronofsky, Audrey Tautou, Daniel Brühl (wohnt hier, hat's nicht weit) und diversen anderen Koryphäen des cineastischen Spektrums die güldene und diverse silberne Trophäen in die Hände drücken werden, das erfahren wir am Samstag. Wieder mit Danke-Anke, die, obschon selbst akkreditiert, bei ihrem Auftauchen in Vorführungen und Pressekonferenzen selbst für vielfaches „Ah“ und „Oh“ sorgt – was sie zweifelsfrei verdient hat. Ein durchwachsenes Festival mit Höhen und Tiefen (kurz: wie immer) neigt sich langsam dem Ende zu. Wie auch dieser Blog, mein Koffer ist gepackt. Der bleibt auch nicht in Berlin, der kommt mit zurück nach Frankfurt – sofern die Lufthansa das zulässt.

Und wie immer an dieser Stelle möchte ich meine ganz persönlich tierischen Preise verleihen, an Filme und Personen, die mich in den letzten Tagen – wie auch immer – bei Laune hielten. Nun denn, da wären: der Singende Surferbär mit traumatischem Innenleben für Brian Wilson und dessen tolle „Love & Mercy“-Biografie. Der Goldene Nasenbär für Ian McKellen und „Mr. Holmes“. Das stets Form, Farbe, Qualität des Auftritts wechselnde Chamäleonbärchen (eigens im Labor gezüchtet) für Herrn James Franco. Den sich zum Kuschelteddy verwandelnden Frauenverächter-Grizzly für Protagonist Andreas Marquardt und alle Beteilgten der Rosa von Praunheim-Doku „Härte“. Übrigens: Marquardt machte seiner langjährigen Geliebten, die sogar für ihn anschaffen musste, auf der Premierenbühne des Zoo-Palastes einen Heiratsantrag. Und? Statt ihm eine runterzuhauen, hat sie „Ja“-gesagt. Ist das nicht rührend? Typischer von-Praunheim-Stunt.
Äh, ja, weiter: Also, es gibt einen Eisbären für Juliette Binoche. Ein wüst transpirierender Zottelbär für Nicole Kidman. Das Peitsche-schwingende S/M-Bärli („Ted“?) für „Fifty Shades of (Fucking) Grey“. Den rasenden Reporterbär für Sturla Brandth Grøvlen, Kameramann des deutschen Wettbewerbsbeitrags „Victoria“. Einen pickeligen Pubertätskoala mit angeklebter Kettensäge für (den jungen) Blixa Bargeld. Und – nicht zuletzt – meinen Lieblingspreis des Jahrgangs 2015: der „Whoahoahoahaha“-Permanent-Gag-Bear („He does not stop. Even without a battery!“) für den größten Heiterkeits-Ausbruch des Festivals: Moritz Bleibtreu! Ach ja, der durfte nicht fehlen. Moritz Bleibtreu – mit angeklebtem Bart. Moritz Bleibtreu – in einem geschichtsträchtigen Zwei-Minuten-Auftritt (Film: „Woman in Gold“). Moritz Bleibtreu also – als Meistermaler Gustav Klimt. Eine Ikone. Moritz Bleibtreu – mit einem einzigen, die Künstlerstirn in Falten legenden, den Blick senkenden, fulminanten Zweizeiler. Sie sind gespannt? Na, dann, Trommelwirbel! Moritz Bleibtreu – als Gustav Klimt … spricht die denkwürdigen Worte: „Adele, Ihr wirkt angespannt. Ist Euch nicht wohl?“ Ich kicher' noch im Flugzeug.
 
12. Februar 2015, 10.51 Uhr
Andreas Dosch
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Für weitere vier Jahre findet die Buchmesse in Frankfurt statt. Ein Thema soll dabei eine wichtige Rolle spielen.
Text: Till Geginat / Foto: Halle 3 der Frankfurter Buchmesse 2023 © Frankfurter Buchmesse, Foto: Holger Menzel
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
3. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Low500
    Lotte Lindenberg | 21.30 Uhr
  • Fischer-Z
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
  • Witch'n' Monk
    Kreativfabrik Wiesbaden | 20.00 Uhr
Nightlife
  • Fifty/Fifty - Die Party für Best Ager
    Centralstation | 20.30 Uhr
  • La Grande Fortuna
    Fortuna Irgendwo | 22.00 Uhr
  • Electric Grooves
    Tanzhaus West | 23.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • L'Italiana in Londra
    Oper Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Siegfried Jung und Susanne Endres
    Casals Forum | 19.00 Uhr
  • Ulrich Tukur und das hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 20.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Freies Wort – Freies Europa?
    Literaturhaus Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Das Kind in mir will achtsam morden
    Wasserburg | 20.00 Uhr
  • Gifted3
    Gallus Theater | 20.00 Uhr
Kinder
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 17.00 Uhr
  • Lichtspielplatz
    DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum | 11.00 Uhr
  • Pop Up-Technothek – MINT zum Anfassen
    KiBi – Zentrale Kinder- und Jugendbibliothek | 15.00 Uhr
Freie Stellen