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Unsanft geweckt
Vor Gericht: Ein Nickerchen am falschen Platz mit Folgen... Herr T. wird in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Man verflucht sich sofort für den Gedanken: „Oh, der sieht ja aus wie ein gewaltbereiter Osteuropäer.“ Kurz darauf stellt sich heraus, dass er ein gewaltbereiter Osteuropäer ist.
Herr T. ist Bulgare und 27 Jahre alt, ein kräftiger Mann mit kurzen Haaren und energischem Gesicht. Ihm wird Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Beleidigung vorgeworfen. Am ICE-Fernbahnhof am Frankfurter Flughafen, wo er ohnehin nach diversen Vorfällen Hausverbot hatte, wurde Herr T., ein Arbeitsloser ohne Berufsausbildung, schlafend und in angetrunkenem Zustand von der Streife eines privaten Sicherheitsdienstes angetroffen. Nachdem man es geschafft hatte, ihn zu wecken, soll Herr T., so die Anklage, einen der Wachleute zunächst mit beiden Händen heftig gestoßen und ihn anschließend aufgefordert haben, den Geschlechtsverkehr mit seiner Mutter, seiner Schwester etcetera durchzuführen.
Herr T. spricht unsere Sprache nicht, hat eine Dolmetscherin dabei, äußert sich zu den Vorwürfen aber dennoch nicht. Der private Sicherheitsmensch, der als Zeuge auftritt, wirkt so vertrauenerweckend wie alle privaten Sicherheitsmenschen. Da könnte man auch Herrn T. anstellen. Weswegen er hier vor Gericht aussagen soll, weiß der Mann nicht. Geschlagen worden sei er nicht, an die Beleidigung könne er sich nicht erinnern. Aha. Die Anzeige stammt allerdings von ihm. Die Richterin regt an, den Vorwurf der Körperverletzung und der Beleidigung fallen zu lassen. Die Staatsanwältin ziert sich noch – Herr T. sitzt schließlich gerade wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung in Haft. Doch die Richterin macht schnell klar: „Mit einer solchen Zeugenaussage verurteile ich niemanden.“ Also fordert die Staatsanwältin wegen des Hausfriedensbruchs eine Strafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 5 Euro. Heraus kommen dann schließlich 30 Tagessätze. A propos heraus: Auch das Gefängnis hat Herr T. hinter sich – der Tag der Verhandlung war gleichzeitig der letzte Tag seines Knastaufenthaltes.Christoph Schröder
Herr T. spricht unsere Sprache nicht, hat eine Dolmetscherin dabei, äußert sich zu den Vorwürfen aber dennoch nicht. Der private Sicherheitsmensch, der als Zeuge auftritt, wirkt so vertrauenerweckend wie alle privaten Sicherheitsmenschen. Da könnte man auch Herrn T. anstellen. Weswegen er hier vor Gericht aussagen soll, weiß der Mann nicht. Geschlagen worden sei er nicht, an die Beleidigung könne er sich nicht erinnern. Aha. Die Anzeige stammt allerdings von ihm. Die Richterin regt an, den Vorwurf der Körperverletzung und der Beleidigung fallen zu lassen. Die Staatsanwältin ziert sich noch – Herr T. sitzt schließlich gerade wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung in Haft. Doch die Richterin macht schnell klar: „Mit einer solchen Zeugenaussage verurteile ich niemanden.“ Also fordert die Staatsanwältin wegen des Hausfriedensbruchs eine Strafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 5 Euro. Heraus kommen dann schließlich 30 Tagessätze. A propos heraus: Auch das Gefängnis hat Herr T. hinter sich – der Tag der Verhandlung war gleichzeitig der letzte Tag seines Knastaufenthaltes.Christoph Schröder
5. Januar 2012, 16.24 Uhr
Christoph Schröder
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