Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Rotifer in der Römerstadt

Ab in die Küche

Mit einem Song über „The Frankfurt Kitchen“ sorgte der Österreicher Robert Rotifer für Furore, wurde sogar ins Museum of Modern Art eingeladen. Jetzt feiert er Ernst Mays 125. Geburtstag mit – inklusive Band.
JOURNAL FRANKFURT: Wie kommt ein in England lebender österreichischer Musiker auf die Idee einen Song über die „Frankfurter Küche“ zu schreiben?
Robert Rotifer:
Es gibt so viele mögliche Antworten auf diese Frage: Eine davon ist, dass ich eines Tages im Zug von Canterbury nach London gesessen bin, dem rhythmischen Rattern von Rädern auf Schienen zugehört und mir dabei überlegt hab, wie es wäre, einmal einen Song über was Nützliches zu schreiben, das normalerweise nicht in einem Popsong vorkommt. Beim Gedanken an was Nützliches kam ich auf Küchengeräte, beim Gedanken an Küchen fiel mir in Verbindung mit dem Zugrattern der rhythmisch interessante Name Margarete Schütte-Lihotzky ein. Von da an schrieb sich alles von selbst.

Von einer Widmung an die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky kann man überall lesen – ganz sicher am allerwenigstens ein Akt lokalpatriotischen Stolzes von Wiener zu Wienerin sozusagen?
Nein, ich bin ja seit fast fünfzehn Jahren schon Ex-Wiener, und Schütte-Lihotzky wurde von Wien ja nicht unbedingt gut behandelt, wenn man bedenkt, wie viele Jahre sie dort im Gefängnis verbracht hat und wie wenig Anerkennung ihr die Stadt bis kurz vor ihrem Tod gezollt hat.

Untrennbar mit Schütte-Lihotzky sind Wahrnehmungen wie „Austria's first female architect“, „hero of Austria's anti-Nazi resistance“, „pioneering feminist“ – zudem war sie eine enge Freundin einer Ihrer Großmütter. Gab es dadurch eine besondere Verbindung, haben Sie sie vor ihrem Tod 2000 persönlich kennen gelernt?
Grete Schütte-Lihotzky war ein Name, der mir seit meiner Kindheit sehr vertraut war. Meine Großeltern mütterlicherseits waren jüdische Emigranten, die sich im Krieg in Frankreich im Untergrund dem kommunistischen Widerstand angeschlossen hatten. Insofern war es logisch, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Wien Schütte-Lihotzky kennenlernten. Meine Großmutter war mit ihr zusammen eine der Begründerinnen des Bundes Demokratischer Frauen. Ich hab sie wohl sicher als Kind bei dem einen oder anderen Anlass getroffen, aber meine Erinnerungen hängen mehr an den Geschichten, die ich über sie gehört hatte. Bewusst war mir, dass sie trotz ihrer Verdienste als Widerstandskämpferin und als Architektin große Schwierigkeiten hatte, im sozialdemokratischen Wien Aufträge im Sozialbau zu kriegen. Nachdem es in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft ehemalige Nazis wesentlich leichter fanden, sich zu integrieren, habe ich das als großes Unrecht empfunden. Ich wollte aber keinen Popsong über ihre Zeit im Widerstand schreiben. Das riecht schnell nach geborgtem Heldentum. Also habe ich mich auf die Frankfurter Küche konzentriert. Und dann, als ich das Videokonzept anging, stieß ich auf ein Radio-Interview mit ihr, in dem sie sich darüber beschwerte, immer auf die „verdammte Küche“ reduziert zu werden. Also hab ich mich im Video auf ihre anderen architektonischen Leistungen konzentriert und als Anspielung auf ihre politische Rolle einfach das Cover ihrer übrigens sehr empfehlenswerten Autobiographie „Erinnerungen an den Widerstand“ abgebildet.

Wo liegt für Sie die besondere Faszination „Frankfurt Kitchen“ – im Ästhetischen, im Funktionalen, im Sozial-Historischen, gar Politischen?
Vor allem in der Umkehrung der Dynamik des Innendesigns, wonach Dinge, die bei den modebewussten Wohlhabenden Anklang finden, später den Weg in die Massenproduktion finden. Bei der Frankfurter Küche war das spannenderweise umgekehrt: Da wurde ein Modell für den Sozialbau begehrenswert für alle.

Auf den Song und auch die Animation haben Sie viele Feedbacks bekommen. Waren Sie überrascht?
Es hat mich erfreut, aber nicht unbedingt überrascht, weil ich beim Aufnehmen in aller Bescheidenheit schon gespürt habe, dass da was Interessantes im Gange ist. Am meisten gefreut hat mich eine Postkarte von Robert Wyatt, in der er mir geschrieben hat, dass er den Song liebt, gerade weil er so spezifisch ist. Robert Wyatt ist einer meiner Helden.

Es gibt ja auch immer mal Einladungen wie vom Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, dem MoMA in New York und jetzt zum 125. Geburtstag von Ernst May von der Ernst May Gesellschaft in Frankfurt, um mitten in der Römerstadt-Siedlung ein Open Air zu spielen. Wird der Besuch des Ernst May Hauses in Steinwurfweite Ihres Auftrittsortes auf der Bastion Ihre erste persönliche Begegnung mit einer Frankfurter Küche sein?
Es hat mich immens gefreut, weil es die bestmögliche Gelegenheit ist, den Ort zu sehen, wo die Frankfurter Küche sozusagen geboren wurde. Mit der Küche selbst bin ich mittlerweile recht gut vertraut, sowohl in Hamburg als auch in New York waren Originale in direkter Umgebung meines Videos ausgestellt.

Beim Hören Ihrer Songs bekommt man den Eindruck: Hier agiert ein Songwriter in bester Storyteller-Tradition eines Pete Townshend oder Ray Davies, die mehr als alle anderen Briten als Beobachter und Kommentatoren in ihren Songs Sozialgeschichte abgebildet haben – plakativer und subtiler zugleich, als das vielleicht Geschichtsbücher tun können. Sehen Sie sich in dieser Traditionslinie?
Ich habe viel von all diesen Menschen gelernt. Vielleicht sollte man da auch noch Edwyn Collins nennen, auf dessen neuem Label mein nächstes Album erscheinen wird. Da ist sicher eine Verwandtschaft vorhanden. Vor allem sehe ich aber das Geschichtenerzählen beziehungsweise das Vermitteln von Beobachtungen in dieser Phase der Geschichte des Gitarrenpopsongs als die einzige echte Legitimation dafür, noch etwas zu diesem ansonsten künstlerisch ausgeschöpften, mehrfach de- und rekonstruierten Genre beizutragen. Es gibt immer noch mehr Geschichten zu erzählen und Dinge zu beobachten. Und solange es die gibt, ist der Song immer noch ein großartiges Vehikel dafür.

Wie wichtig ist für Sie musikalisches Output, dass Sie auch als Journalist arbeiten und was macht einen Musikerkollegen als Interviewpartner für Sie interessant?
Es ist nur insofern wichtig, als ich dadurch die materielle Möglichkeit habe, Musik zu machen, ohne von ihr leben zu müssen. Könnte ich von ihr leben, würde ich sicher trotzdem schreiben, aber wohl eher Bücher. Ich habe ja schon einen Roman geschrieben, der allerdings noch auf seine Veröffentlichung wartet. Was das Gespräch anlangt, erfährt man unter Musikern im Proberaum, im Studio oder im Pub oft mehr Interessantes, als wenn man das Aufnahmegerät andreht. Das führt dann beim Schreiben manchmal zu dem Gewissenskonflikt: Was ist für die Öffentlichkeit bestimmt?

Einmal im Jahr sind Sie Kurator eines Festivals in ihrer Heimatstadt. Warum haben Sie damals Wien den Rücken gekehrt, wie halten Sie Kontakt und wie nehmen Sie die österreichische Szene wahr? Ich musste gerade Christina Stürmer erleben.
Ich bin damals in die administrative Ebene des Radiomachens aufgestiegen, und die hat mich nicht interessiert. Ich wollte lieber selbst Geschichten machen, also bin ich dort hin gezogen, wo es die Interviews gab. Außerdem hatte ich in Wien gerade Zivildienst als Sanitäter gemacht und war vom alltagsrassistischen Konsens im Krankenwagen abgestoßen. Ich wollte mich ein bisschen von der Stadt erholen. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass die Platten, die mich aus Wien erreicht haben, immer besser und besser wurden. Ich habe mehr und mehr davon in meiner Sendung für den österreichischen Radiosender FM4 gespielt und eine Kolumne darüber in der Wiener Stadtzeitung Falter geschrieben. Wenig später wurde ich eingeladen, das Programm eines Wiener Popfests zu gestalten. Das habe ich nun zwei Mal gemacht. Es gibt großartige Leute in Wien, sei es Ernst Molden oder Maja Osojnik oder Der Nino aus Wien oder Ginga, die Liste ist endlos. Die von Ihnen angesprochene, wohl populäre Christina Stürmer hat nichts damit zu tun, worum es beim Popfest geht. Beim Popfest geht es darum, vier Tage lang die Utopie einer idealen Wiener Popwelt zu leben, ohne sich mit der verzerrten Wahrnehmung des österreichischen Medienmainstream aufzuhalten.

Mit „The Hosting Couple“ gibt es bald ein neues Rotifer-Album und auch da gibt es wieder Besonderes zu vermelden, zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Wreckless Eric – trotz französischem Exil ein typischer Brite. Wie Sie das musikalisch beeinflusst?
Ich kenne Wreckless Eric seit den frühen neunziger Jahren. Irgendwann hat er begonnen, sich ernsthaft für meine Musik zu interessieren, und letztes Jahr hat er dann gesagt: „Ich möchte ein Album für dich produzieren.“ Meine Reaktion war: „Wann fangen wir an?“ So etwas kann man sich nicht entgehen lassen. Ich war bereit, mich allen seinen Ideen auszusetzen, auch wenn er ein sehr intensiver Charakter ist. Dazu kommt noch, dass Darren Hayman, zumindest in Großbritannien bekannt als der Sänger und Songschreiber der Band Hefner und sehr meinungsstarker Charakter, seit einiger Zeit mein Bassist ist. Verbunden mit mir selbst als besessen analytischem Typ war dieses Dreiergespann eine sehr geladene Runde. Aber diese Atmosphäre hat sich produktiv in die Energie der Musik übersetzt. Es gab keinen Moment des entspannten Herumsitzens, wie man das sonst von Studios her kennt. Alles war entscheidend, alles eine potenzielle Auseinandersetzung.

Nun die unfaire Frage: Wo sehen Sie sich musikalisch-stilsitisch eigentlich im weiten Feld der Singer und Songwriter?
Musikalisch-stilistisch sehe ich mich ehrlich als ein narrativer Pop-Songwriter mit starker Bindung an die Ästhetik der Sechziger und Siebziger Jahre, bloß geht es bei mir nicht um Retro als Nostalgievehikel, sondern eher um jene gewisse Leichtfüßigkeit, die in der Rockmusik der Achtziger und schon überhaupt im meist sehr statisch bombastischen, sogenannten Indie-Rock verloren gegangen ist.

>> MayFest 125 am 30.7. in der Römerstadt, Im Burgfest 125, ab 16.30 Uhr. Robert Rotifer & Band stehen ab 20.45 Uhr auf der Bühne.
 
29. Juli 2011, 11.17 Uhr
Interview: Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Der „Musikmonat Mai! Frankfurter Musiktage für Schulen“ soll musikalische Bildung und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördern. Auch Mathematik soll durch Musik leichter von der Hand gehen.
Text: Sabine Maurer / Foto: © HfMDK
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
7. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Chilly Gonzales
    Alte Oper | 20.00 Uhr
  • Rymden
    Centralstation | 20.00 Uhr
  • Walter Trout
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Die Weiße Rose
    Staatstheater Mainz | 20.00 Uhr
  • Das Schloss am Ende der Straße
    Die Kammeroper Frankfurt im Palais Livingston | 20.00 Uhr
  • Ensemble Modern
    Oper Frankfurt | 19.30 Uhr
Theater / Literatur
  • Evan Tepest
    Literaturforum im Mousonturm | 19.30 Uhr
  • Erste Bücher
    Literaturhaus Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Krabat
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
Kunst
  • Alice Springs. Retrospektive
    Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim | 10.00 Uhr
  • There is no there there
    Museum für Moderne Kunst (MMK) | 11.00 Uhr
  • Anton Corbijn
    Anita Beckers | 11.00 Uhr
Kinder
  • Oma Monika – Was war?
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
  • Shoot’n’Shout
    Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Wartburg | 10.00 Uhr
  • Rückwärts
    Theaterhaus | 10.00 Uhr
und sonst
  • Das Alte Frankfurter Polizeipräsidium „on demand“ – Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt …
    Frankfurter Stadtevents | 10.00 Uhr
  • Tuesday Night Skating
    Hafenpark | 20.30 Uhr
  • Geparde auf dem Farmland in Namibia – Forschung zur Lösung eines langjährigen Konfliktes
    Zoo Frankfurt | 18.00 Uhr
Freie Stellen