Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Peymanns Welt

claus-peymann

Auf dem Weg ins Schauspiel dachte ich noch während ich über den Holbeinsteg ging, haha, man müsste den Text über Peymann eigentlich damit beginnen, dass auf dem Holbeinsteg jemand mit Kreide schrieb: "Berlins Mitte stinkt", weil Claus Peymann und sein Berliner Ensemble dort ja ihr halbes Publikum rekrutieren. Nun möchte ich aber lieber mit einem Geständnis anfangen. Den Namen Claus Peymann habe ich das erste Mal bei Harald Schmidt gehört, als der ihn in seiner Show mit Benjamin von Stuckrad-Barre spielte (hier anzuschauen). Das zweite Mal hörte ich den Namen Peymann beim Journal, als dort zwei theatrophile Kollegen über ihn sprachen (, die wahrscheinlich den Kopf schütteln, wenn sie lesen, dass ich Peymann aus Sat1 kenne). Anyway: als nun in unserer Zeitschrift stand, dass, wer alles über Peymann wissen wolle, ins Schauspiel gehen müsse, war zumindest klar, dass die Möglichkeit bestand, eine große Bildungslücke zu schließen. Und es wurde mehr als das.

Die Lesung auf dem Buch "Peymann von A bis Z", ausgewählt und herausgegeben von Hans-Dieter Schütt, ist eigentlich mehr eine Aufführung. Zwei Stühle auf der schwarzen Bühne des Kleinen Hauses, daneben zwei Katheder, Claus Peymann und sein Dramaturg Hermann Beil treten aus dem Schatten, bringen zwei Wassergläser und zwei zerlesene Ausgaben des Buches mit. Später soll Beil die Hommage André Hellers vorlesen, der vermutet, dass Peymann eine Wohngemeinschaft ist mit den unterschiedlichsten Charakteren und morgens werde gelost, welcher von ihnen das Haus verlassen dürfe. Wenn das so ist, dann war gestern der nette und witzige Herr Peymann draußen, der auch ein klitzekleines bisschen größenwahnsinnig und egozentrisch ist, davon aber Kenntnis hat und deswegen wiederum nett und witzig ist.

hermann-beil
Hermann Beil.

Aus den 26. Kapiteln des Buches lesen die beiden tatsächlich so manches vor. Y lassen sie aus, da ist auch nur ein Bild zu sehen, auf dem C.P. in weißem Kittel ein Y macht. Ansonsten endet jedes Kapitel mit einem Punkt. "Peymann. Punkt." sagt einer der beiden dann, während er aufsteht und Weisheiten zum Klingen bringt. Zum Beispiel: "Wahnsinnig zu sein, ohne wahnsinnig zu sein, das ist Kunst." Oder: "Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters wegen der Unsterblichkeit der menschlichen Probleme." Schön, oder?

Es geht natürlich auch absurd. Etwa, wenn daran erinnert wird, wie sich Peymann mit Lokalpolitikern abgeben muss. In Bochum etwa rät man ihm, zum Bürgermeister in die Sauna zu gehen. Auch weil sich dort "manche heikle Frage des Budgets kläre". Peymann: "Natürlich verbat sich mit das, ich geh doch nicht zu einem Kommunalheini in die Sauna! Wieso, hieß es dann, der Zadek ist da auch immer hingegangen." Lustig, oder?

Aus Bochum sind auch einige Hausmitteilungen überliefert, die C.P. dort herumgeschickt haben soll. Beispiele? An die Kantine: "Wieder kein Joghurt im Angebot. Soll ich die Kantine denn auch noch übernehmen?" Oder an die Technik: "Die Palme im 'Nathan' ähnelt bereits einem Klobesen und sollte dringend instandgesetzt werden." Oder an die Redaktion: "Mein Gott, wenn ich die Korrekturen in der Druckfahne nicht gemacht hätte, wäre es ja völlig zum Einschlafen gewesen. Leute, Leute, wir machen doch keine Prospekte für Möbel oder Sommerkleider, sondern eine Zeitung fürs Theater ..."

Solche Sachen sind ja wie kleine Charakterisierungen, nur dass sie eben nicht so wirklich zusammenpassen wollen. Es geht dann natürlich an diesem Sonntagmorgen auch um Berühmtheiten. Herbert Grönemeyer etwa: "Dummerweise habe ich in Bochum einen Schauspieler rausgeschmissen: Herbert Grönemeyer. Das war einer meiner finsteren Fehler. Allerdings ist er selber nicht ganz schuldlos daran gewesen. Er kam in mein Büro und meinte resigniert, ich hätte aus Stuttgart so großartige Schauspieler mitgebracht, dass er nun gar nicht wisse, was er noch an diesem Theater solle. Leider antwortete ich ihm, das wisse ich auch nicht. Er ging."

claus-peymann2

Grönemeyer bleibt nur eine Randperson, eigentlich geht es in Peymanns Leben um die wirklich Großen. Thomas Bernhard, Peter Handke, manchmal auch Siegfried Unseld. Bernhard nennt ihn in einem Brief "Großfürst der Schnürböden." Handke haut Bernhard aufs Maul, als C.P. die beiden einmal zusammenbringt. Und auf der zweiten Aufführung von Handkes "Publikumsbeschimpfung", da ringen Peymann und Wolf Wondratschek miteinander, weil dieser die Aufführung stürmen wollte. Überhaupt diese 60er-Jahre. Da fährt er tagsüber auf eine Demo 300 Kilometer entfernt, prügelt sich mit den Bullen und abends haben Studenten seine Bühne besetzt, damit da nicht so ein reaktionärer Scheiß (wie Handke) gespielt wird. Konnte ja nichts werden mit der Revolution. "Frankfurt", sagt Peymann trotzdem, "war ne dolle Zeit." Die Arbeit im TAT (er spricht das T.A.T. aus, so wie er nun ja auch im B.E. ist, in der F.A.Z. steht mehr dazu), die Zeit an sich, die Stadt. Nun war er wieder zurück, zwei Stunden im vollbesetzten Kleinen Haus und man merkte, er genoss es. Auch den Schlussapplaus. Dreimal kommt er mit Beil zurück auf die Bühne, verbeugt sich und gibt dann das Zeichen, das Buch draußen zu kaufen. 19,90 Euro, so teuer ist also ein Theaterleben.
 
23. März 2009, 09.40 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Frankfurt Rhein-Main
Widerhall der Bilder
Die 5. Ausgabe der Triennale RAY will Fotografie als Resonanzraum erfahrbar machen. Ein Streifzug quer durch Frankfurt und Rhein-Main: unsere Highlights.
Text: Katharina J. Cichosch / Foto: © Rauminstallation von Gaëlle Choisne
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
3. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Low500
    Lotte Lindenberg | 21.30 Uhr
  • Fischer-Z
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
  • Witch'n' Monk
    Kreativfabrik Wiesbaden | 20.00 Uhr
Nightlife
  • Fifty/Fifty - Die Party für Best Ager
    Centralstation | 20.30 Uhr
  • La Grande Fortuna
    Fortuna Irgendwo | 22.00 Uhr
  • Electric Grooves
    Tanzhaus West | 23.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • L'Italiana in Londra
    Oper Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Siegfried Jung und Susanne Endres
    Casals Forum | 19.00 Uhr
  • Ulrich Tukur und das hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 20.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Freies Wort – Freies Europa?
    Literaturhaus Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Das Kind in mir will achtsam morden
    Wasserburg | 20.00 Uhr
  • Gifted3
    Gallus Theater | 20.00 Uhr
Kinder
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 17.00 Uhr
  • Lichtspielplatz
    DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum | 11.00 Uhr
  • Pop Up-Technothek – MINT zum Anfassen
    KiBi – Zentrale Kinder- und Jugendbibliothek | 15.00 Uhr
Freie Stellen