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Oliver Augst im Gespräch

Musik oder Wurstwaren?

Am 19. September startet die Weltkulturen Abendschule mit einer neuen Veranstaltungsreihe „The World Through Your Ears“. Das JOURNAL FRANKFURT sprach mit dem Kurator der Reihe, Oliver Augst.
JOURNAL FRANKFURT: Das Museum für Weltkulturen als Ort der Reihe – hat der das Thema bestimmt oder das Thema die Location?

Oliver Augst: In einer Zeit der " multiple modernities", die pulsierend zwischen Tradition und Moderne changiert, verstehe ich die Vermittlung von Weltkultur nicht allein wiedergebend, be- und festschreibend, sondern als vielschichtig-fließende, sich allzeit erneuernde "musikalische" Übersetzung.
Die Idee für die Reihe ist vor längerer Zeit bei einer gemeinsamen Kunstführung im Schwarzwald zusammen mit der Direktorin des Museums, Frau Deliss, geboren worden. Ich dachte damals gleich, ein Museum der Weltkulturen, das geht doch nicht ohne Musik! Zumal es eine breite Musikinstrumentensammlung im Museum gibt. Und da hatten wir gleich das interessante Dillemma auf der Hand: Die museale Komponete, die materielle Dinge aufbewahrt, also die Ur-Idee eines Museums, kann nicht konservieren, was aus den Instrumenten herauskam (oder kommt, bzw heute weiß man ja teilweise gar nicht mehr was aus den Instrumenten rauskommen kann, weil sie aus konservatorischen Gründen nicht mehr gespielt werden dürfen.) Also müssen Klänge, Abläufe her, die so oder ähnlich schon immer erklungen sind: Maultrommel, Stimme, Trommel, Bewegung, Ritual...etc.

“The World Through Your Ears“ – das Angebot kommt vom Kurator, die Wahrnehmung ist dem Publikum überlassen. Trotzdem steckt ja eine Idee/eine Attitude hinter den Veranstaltungen?

Unter unserem internen Arbeitsbegriff ÜBERSETZUNG soll - wie oben schon angerissen - im Sinne von oraler Tradition, Storytelling, Vocal-Stories, Liedern, Geschichten mit den Mitteln von Text/Sprache/Klang angeknüpft werden an die sogenannten mythischen Gesänge, "Performances", Rituale, Tänze und Aufführungen, die in allen Urvölkern auf verschiedene Art und Weise gefunden werden können. Davon werden Beispiele bei unserem Auftaktsgespräch am 19.9. gezeigt.

Nicht nur Konzerte werden angeboten, auch Gespräche, Workshops. Klingt – anders als bei anderen/ähnlichen Events – nicht nur Einwegkommunikation. Das Publikum soll also eingebunden werden?

Ja, das ist eine der Besonderheiten dieser Reihe, die im Rahmen der Museumsarbeit und -vermittlung erwünscht und unterstützt wird: Anders als in klassischen Konzerten ist der Zuhörer nicht einfach Konsument eines bereits abgesteckten Angebots, sondern Beteiligter einer kommunikativen Situation mit Akteuren, die ihre Werke unmittelbar selbst vermitteln. Damit wird einerseits die Bedeutungsschwere des ritualisierten Musikbetriebs unterlaufen, und zugleich werden neue, konkrete Bedeutungen erzeugt.
Und das passt auch zu dem Thema, das wir umreißen wollen und als eine Art "erhöhtes Erzählen" verstehen. Es behandelt die großen Fragen nach dem "wo komme ich her?" etc. und gleichzeitig und nebeneinander die allgegenwärtigen großen Themen Kunst, Familie, Gesellschaft, Politik, Religion, Wirtschaft usf.. Die mündliche Überlieferung von Wissen, Traditionen etc. fand im Rahmen von besonderen Situation, "Kostümen", verabredeten Abläufen, Regeln und in vertrauensvoll abgeschlossener und gesicherter Runde statt. Wir nennen so etwas heute Konzert, Performance, Theater... Lecture-Performance, Workshop. Und bieten zum Beispiel einen "Jodelkurs für Herz und Gemüt" an.
Auch das Veranstaltungsformat spielt eine Rolle. Eine Reihe, die selbst experimentell auf ihren Inhalt Bezug nimmt, ihn also nicht als These, sondern als offenen Raum begreift, benötigt dafür einen offenen Kommunikationsmodus.

Ein Begriff wie Weltkulturen, ähnlich wie auch schon Begriffe wie Ethno, Weltmusik u.Ä. wird immer vor allem mit dem Fremden aus der Fremde assoziiert. Die Deutschen denken immer, ethnische Musiker gäbe es erst jenseits des Brenners, schlimmer noch auf den anderen Kontinenten... Dass die Ohren hier mit Jodeln und Maultrommeln konfrontiert werden, ist das auch ein Singnal in die Richtung, die eigene Kultur mehr wahrzunehmen, die einem mitunter fremder als das Fremde erscheint?

Richtig. Uns geht es nicht um "weiter, schneller, größer..." - wir wollen sowas wie die tradiditionellen ethnischen musikalischen Prinzipien mit unserer aktuellen Ästhetik abgleichen, - und fangen da mal vor der eigenen Haustüre an (ggf wird die Reihe ja später mit einem größeren geografisch-kulturellen Bogen weitergeführt und aufgezogen...) die Zusammenhänge liegen auf der Hand, da braucht man kein Musikethnologe oder -wissenschaftler sein: Formal können Verwandtschaften mit der Performance-Kunst aufgezeigt werden, wenn etwa in einem mythischen Urzeit-"Spiel" aus Papua Neuguinea das Schlüpfen eines Tiers aus einem bereitgestellten Gefäß inszeniert, Brillen an Bindfäden an Sträuchern aufhängt, Geldscheine gerollt und dazu getanzt wird. Musikalische Berührungspunkte zur sog. Neuen Musik des 20. Jahrhunderts tauchen auf, wo Flötentöne eher in Schichten, Layern, Clustern, in "Bruchverdichtungen" und multimetrischen wie tonalen Auflösungen als in zählbaren Taktmaßen und klassischen harmonischen Verbindungen - so zb. bei Männerhausritualen in Papua Neuguinea - organisiert werden. (Stichwort "minimal Music")
Der Freejazz greift seit Jahrzehnten auf die scheinbar improvisierten Musikformen und Rhythmen zB. von Kriegstänzen junger Männer aus Westafrika zurück. Diese und viele weitere Beispiele herauszuarbeiten und aus dem Hier und Jetzt künstlerisch umzusetzen, wird als Aufgabe an die geladenen Komponisten, Musiker, Performer, Stimm- und Sprachkünstler herangetragen. Gleichzeitig steigt das wissenschaftliche Team des Weltkulturenmuseums ein, diese Positionen mit zu erarbeiten und deren künstlerische Umsetzungen zu begleiten, kritisch zu befragen etc..

Es tauchen wieder Musiker auf, die schon in anderen von Ihnen kuratierten Reihen im raum für kultur oder dem Städel zu sehen waren. Was macht die Namen so interessant, dass man sie den Menschen gerne immer und immer wieder präsentiert? Für was für einen Geist stehen diese „Geister“?

Ich verstehe meine kuratorische Arbeit ja nie als "Agentur-Tätigkeit", ich wähle aus keinem Katalog, bin nicht im Verteiler von Bemusterungs-CDs etc. Ich bin mit allen Musikerinnen und Künstlerinnen auf irgendeine Art und Weise selbst als Künstler verbunden, mit den meisten habe ich selbst schon zusammen gespielt. Der Pool dieser Persönlichkeiten ist daher naturgemäß begrenzt, wandelt und entwickelt sich homogen - wie im wirklichen Leben - von Zeit zu Zeit und repräsentiert natürlich immer auch meine eigene Positionierung. Wichtig ist mir: - die Auswahl der Künstler gibt keine offenkundigen stilistischen oder gattungsspezifischen Einschränkungen vor, unterscheidet nicht zwischen ernsten und unterhaltenden Gattungen - die Reihe fokussiert auf das, was man als Bereich nicht-akademischer musikalischer Formen bezeichnen könnte. die musikalische Praxis, die jenseits der Vorgaben der institutionalisierten Musikwelt nach neuen Ausdrucksformen sucht, bringt ganz spezifische, anders geartete Ansätze hervor. So geht es beispielsweise darum, sich nicht ausschließlich mit musikalischem Material zu beschäftigen, sondern es in offene Zusammenhänge zu transportieren, so daß der musikalische Prozeß mit anderen Ebenen in Beziehung tritt. Das kann den unmittelbaren, bespielten Raum, physische Materialien, Situationskontexte oder auch musikalische oder nicht-musikalische Elemente der Alltagswelt betreffen. Ebenso kommen Idiosynkrasien und körperliche Ausdrucksebenen der unmittelbaren Akteure ins Spiel. Statt sich in einen musikalischen Kanon einzuordnen werden immer neue Eigenwelten kreiert.
Die Musiker sind alle große Geschichtenerzähler , die weit über ihre Musiker-Tellerränder hinausblicken... Wer jemals Hanns Eislers Aufnahme von 1955 gehört hat, wie er selbst sein Lied „Die haltbare Graugans“ singt, maßlos bellt und krächzt und den Vergleich mit anderen klassisch eingesungen Versionen des Liedes nicht scheut, wird verstehen, was Eisler meinte, wenn er (in Anlehnung an den Schriftsteller und Physiker Georg Christoph Lichtenberg) den Aphorismus prägte, „Wer nur von Musik etwas versteht, der versteht auch davon nichts."
An diesem Grundgedanken orientiert sich die Auswahl der Persönlichkeiten, die Komponist und Interpret ununterscheidbar in sich selbst verkörpern. Es sind Figuren, Macher, Motoren, Erfinder..., die großen und kleinen Originale selbst, die sich unüberhörbar mit der Geschichte der klingenden Künste anlegen und mit einem erweiterten Kunst-Musik-Begriff eine historisch-schillernde Position einnehmen.

Was ziehen Sie vor: Musik oder Wurstwaren? (Eric Satie) Die Künster stehen leichtfüßig und doch mutig, diskursiv-angriffslustig zwischen den eng gesetzten Stil-Fronten und zielen so umso mehr auf die Spitzen der internationalen Gegenwartsmusik ab. Ein paar Seitenhiebe aus der hohen Kunst der gepflegten Unterhaltung inklusive.
 
11. September 2012, 09.28 Uhr
Interview: Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
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