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Live im Mousonturm

The Schwarzenbach

Kein Eiertanz um Begriffe wie Song und Schönheit. Die Band definiert sie einfach neu für sich. Auf dem neuen Album „Farnschiffe“ und live am 19. Februar im Mousonturm.
Liest man den klein gedruckten, zweiseitigen Diskurs von Diedrich Diederichsen im CD-Booklet über The Schwarzenbach und weiß zudem, dass die Texte des Quartetts vom ehemaligen Spex-Chefredakteur und „Polit-Denker“ (Spiegel online) Dietmar Dath stammen, könnte man zweifeln, ob man genügend Vorbildung besitzt, um das Konzert im Mousonturm besuchen zu dürfen und man sich zudem dafür schämen muss, dass man „Farnschiffe“, das Album mit der Musik des Kammerflimmer Kollektiefs, beim ersten Hören einfach nur schön fand. „Im Gegenteil“, ist die unerwartete, überraschende Antwort des Wahl-Frankfurters und FAZ-Feuilletonisten. „Dann haben wir Glück gehabt, wenn das geklappt hat.“ Wir, das sind Heike Aumüller (Stimmen, Synthesizer), Johannes Frisch (Kontrabass), Thomas Weber (Gitarren, Elektronik) und Dietmar Dath (Stimme). Das Kollektief war früher schon bei Lesungen dabei, dann nahm man 2009 „Im erwachten Garten“ auf, gespielte und gelesene Passagen fein säuberlich getrennt.

„Am Anfang war das nur als ein Geschenk für eine ganz bestimmte Person gedacht, der ich nicht einfach nur einen Text schenken wollte und da habe ich mit Kammerflimmer geredet. Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon ein paar Lesungen zusammen gemacht, irgendwann stiegen sie ein, dann stieg ich aus, dann spielten sie wieder, dann stieg ich wieder ein, dann wurden sie leise, dann las ich wieder... Und nach dem Prinzip wollten wir auch die Platte („Im erwachten Garten“) machen. Das hat auch leidlich geklappt. Dann hatten wir damit wieder ein paar Auftritte und haben relativ schnell gesehen, dass uns das so keinen Spaß macht, dieses Ding einfach nur aufzuführen. Dann habe ich neue Texte geschrieben, Thomas Weber fing an mich zu triezen, das war doch teilweise schon melodisch, man sollte doch mal alles stärker miteinander verschmelzen zu lassen, über längere Strecken zusammen machen. Und daraus ergaben sich kürzere, in sich geschlosseneren Einheiten“, erinnert sich Dath.

Tatsächlich wuchs seitdem alles zu einem organischen, homogenen neuen Kosmos zusammen, The Schwarzenbach als echtes Bandgefüge. „Ich weiß nicht, ob ich allein etwas, dass für mich so neu ist, hätte versuchen können/wollen/sollen.“ Extrem beglückend empfindet Dath deshalb die Kollaboration mit dem Kollektief. Statt Electronica-Rock-Improvisations-Gewitter nun „eher ein warmer Sommerregen“ (Dath), der – wenn man sich mal befreit von den üblichen Wahrnehmungen – mit seiner Spoken Words-Performance an vertonte Beat-Poesie von Ginsberg, Gysin und Burroughs („Den Beatnik-Hintergrund gibt es auf jeden Fall,“) und dessen ansatzweise gesungenen Passagen stimmlich an Lou Reed und Leonard Cohen erinnern. „Ich werde immer ein bisschen still wenn solche Namen fallen“, gibt sich Dath bescheiden.

„Ich glaube was zu diesen Parallelen verführt, ist nicht unbedingt der Versuch, diesen Leuten nachzueifern weil es mich in der Tat eher geschockt hat, das zu lesen. Das ist ja ein Riesenhammer, das erschlägt einen ja auch. Wartet mal ab bis ihr das live gesehen habt, dann vergeht euch der Bowie gleich wieder“, lacht Dath. „Wo es herkommt oder womit es viel zu tun haben könnte: Ich weiß nicht wie es bei Lou Reed war, aber es gibt auf der ,New York’-CD das "Dirty Blvd."-Stück, wo er im Grunde genommen die ganze Zeit nur spricht und am Ende geht es um ein Entkommen aus diesem Text, der zwar lyrisch gestaltet ist, aber aufgrund dieser vor sich hin brummelnden Stimme klingt wie Prosa, die eine Scheiß-Situation beschreibt, dann kommt gegen Ende der Ausbruch, die Flucht, okay, der Junge träumt davon verschwinden zu könne, fly, fly away, und auf einmal ist eine Melodie da und die kam, glaube ich, aus dem Moment heraus, und wenn nicht, dann ist er eine noch trockenere und kalkulierender Sau als wir dachten“, formuliert seinen Respekt für Reed. Ob das, was er im Studio gesprochen/quasi gesungen hat, live genauso funktioniert, glaubt Dath nicht. Das hat er schon bei den Proben (Dath sagt „Probierereien) schnell gemerkt. „Es wird Melodien geben, aber unter Umständen sind es andere (lacht). Teilweise komme ich nicht mehr in bestimmte Tiefen beim Proben wo ich denke, das hatte damit zu tun, dass wir im Studio den ganzen Tag schon rumgeschrien haben, das hatte damit zu tun, dass wir gesoffen haben, das hatte damit zu tun, dass es schon der vierte Aufnahmetag war – das ist ja alles nicht reproduzierbar auf einer Bühne. Man lernt tatsächlich inwieweit Ausdruck oder Expressivität von 10.000 Außenfaktoren abhängt und eben nicht nur von demjenigen nur, aus dem heraus was ausgedrückt wird. Es trägt so vieles bei, Wetter, Tageszeit, wenn sich einer von innen heraus mit aller Inbrunst ausdrückt, Das habe ich alles nicht gewusst. Ich muss jetzt alle meine 500 Plattenkritiken umschreiben.“

Dass „Farnschiffe“ Begriffe wie Talking Blues, Krautrock, sogar Popsongs assoziiert, nimmt er gerne auf. „Man kann sich irgendwann nicht mehr anlügen: das waren halt einfach Songs, ein Wort, um das wir lange herumgetanzt sind.“ Aber man muss keine krampfhafte Vermeidungsstrategien betreiben wenn man sich wie die Vier auf einen gemeinsamen guten Geschmack als Basis verlassen kann und gegenseitiges Vertrauen The Schwarzenbach ermöglicht. Aber natürlich entspricht Dath auch Erwartungshaltungen („Dath vertritt eine kommunistisch-marxistische Haltung“ zitiert Wikipedia einen Beitrag in Die Welt von 2008, seine Schriften gelten als „gesellschafts-politisch geprägt“) ohne die verstärkten Projektionen bedienen zu wollen. Sein Ex-Blatt Spex rief jüngst das „Projekt Protestsong“ ins Leben, gewonnen haben den „Wettbewerb“ das Leipziger Trio Brockdorff Klang Labor. Mit dem Song „Festung Europa“ vom Album „Die Fälschung der Welt“, ganz andere Musik als bei The Schwarzenbach, aber beim selben Label, ZickZack von Alfred Hilsberg (gerne als Pionier der Szene auch „Punk-Papst" genannt) veröffentlicht. Pop goes politics again. Dath spricht davon, dafür eine neue Gestalt zu finden, die auch einen politischen Anspruch hat oder zumindest haben kann. „Ich glaube schon, dass alles, was man an Popkultur so interessant findet, diesen Moment immer noch in sich trägt als alles mal eins war. Man sagt immer 60’s, wo gar nicht so genau auseinanderzufiltern war, ist das jetzt politisch gemeint, eine ästhetische Verweigerungsgeste oder umgekehrt eine ästhetische Umarmungsgeste.“

„Farnschiffe“ lebt auch von Zitaten und Widmungen auf unterschiedlichen Levels. Nach mehrmaligem Hören merkt man, ach, da war doch eine Zeile aus „Stairway To Heaven“. Viel offensichtlicher ist der Verweis auf die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach (als Namensgeberin für die Band) und kurz vor Ende als vorletztes Stück („Tender Disquisitions“) die zärtliche Widmung an Bianca Schmidt, wo manch einer denken mag, das ist ein Allerweltsnamen, aber es geht um eine konkrete Figur, die auch seit geraumer Zeit hier in Frankfurt verortet ist. Die Rechtsverteidigerin vom 1. FFC Frankfurt. Wie kommt es denn dazu?

„Oh je“, seufzt Dath. „Das sind halt alles hoch persönliche Geschichten. Ich habe das Gefühl gehabt, wenn man sich so nackisch hinstellt und dann noch singt und sich so verhält wie sonst nur in Briefen, E Mails oder persönlichen Gesprächen, dann muss auch eine Menge von dem Zeugs mit bedacht werden, das tatsächlich das eigene, persönliche Leben ausmacht Würde man das alles jetzt runter erzählen, wie diese Verbindungen funktionieren, also da gibt es jemanden, der sich mit Frauenfußball beschäftigt und der fürs eigene Leben eine große Rolle spielt, dann würde das tatsächlich ein 500-Seiten-Roman werden. Aber so, auf Platte, hat man die Möglichkeit, das alles ineinander zu blenden oder nebeneinander zu stellen weil Musik eben tatsächlich ein anderes Medium ist, das nicht dauernd diese Referenzen braucht oder Fußnoten setzen oder sagen muss: es war einmal vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxis, sondern das einfach zusammenklingen lassen und dann gucken kann, ist es ein Kontrapunkt oder Harmonie oder was auch immer.“ Das würde, so Dath, zu einer zu langen Fassung werden „von dem was früher ,Das ist meine Schulklasse’ hieß oder ,Das sind meine Freunde’, diese ganzen Referenzen, zu denen ja auch noch die dazu kommen, dass Heike Aumüller und Thomas Weber plötzlich sagen, das klingt doch wie ,Who Do You Love?` (aber wohl eher in der "Quicksilver Messenger Service-", denn in der Original Bo Diddley-Version, Anm. des Verfassers), das spielen wir jetzt auch noch. Ich sag mal so: John Cage hat irgendwann mal gesagt, an einem schlechten Tag, wenn ich im Studio bin, bin ich da, und in meinem Kopf sind meine Freunde und Feinde und Kritiker, an einem besseren Tag gehen die alle weg und dann gibt´s nur mich und die Musik und einem ganz guten Tag bin ich auch weg und es bleibt nur noch die Musik. Wir haben es aber in die umgekehrte Richtung ausgelegt. Es ist doch ein guter Tag wenn die alle da sind. Und die hört man jetzt alle, und die sieht man alle, sie sind im Namen drin und auch im kleinen Fotoalbum, das in der Platte liegt.“

Da Dietmar Dath wieder fest zum Team des FAZ-Feuilletons gehört, stellt sich natürlich die Frage, ob Frankfurt (wieder) der Lebensmittelpunkt ist. „Ich war das letzte halbe Jahr tatsächlich nur zwei Mal in Freiburg, das hat sich schon verändert im Gegensatz zu früher, diesen sieben Jahre, als ich das erste Mal hier war. Da bin ich ja gewandert durch unterschiedliche Immobilien, 10 oder 12 oder gar 13 mal umgezogen. Jetzt bin tatsächlich seit über einem Jahr in derselben Wohnung weil ich ganz normal und konventionell eine Wohnung gemietet habe. Allerdings ist es immer noch so, wenn ich mal fünf Minuten zum Verschnaufen komme, dass ich sehr oft die Stadt verlasse, z.B. nach Berlin, Freunde besuchen. Das heißt Freizeit habe ich hier immer noch keine. Da ich generell keine Freizeit mehr habe, bin ich aber viel mehr in Frankfurt.“
 
9. Februar 2013, 16.28 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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