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Kolumne von Ana Marija Milkovic

Endlich Sex in the City

Was hat der Esprit Montmartres mit dem Esprit eines Ferdinand Kramers gemein? Anders gefragt: Was vebindet die Ausstellung in der Schirn mit der im Museum Angewandte Kunst? Unsere Kolumnistin hat Antworten.
Vergangene Woche habe ich zwei Ausstellungseröffnungen in Frankfurt besucht. Die eine Ausstellung widmet sich einer Epoche um 1900, die einem Viertel in Paris und dessen Bewohnern einen Esprit verlieh, den wir heute die Belle Epoque nennen. Die andere Ausstellung ist einem Architekten, Innenarchitekten, Designer und Publizisten gewidmet, der weltweit, aber vor allem in Frankfurt tätig war. Montmartre hängt nun in Frankfurts Schirn, Exponate aus Ferdinand Kramers Werk sind im MAK ausgestellt.

Die Schirn, unmittelbar am Römer gelegen, wurde als Ausstellungsgebäude über Plätze, Arkaden, Vestibüle, Treppenhäusern, Umgänge, Langhaus und Rotunde definiert. Das architektonische Konzept, angelehnt ans Mittelalter, ist eigenwillig stimmig, die Proportionen sind es aber definitiv nicht. Der wichtigste Ausstellungsfläche der Schirn ist ein langer, unwirtlicher, schwer zu bespielender Raum. Formal betrachtet ist dieser Raum eine Sackgasse, ein Wendehammer, eine für Menschen angelegte Schleppkurve, eine Mansarde. Wenn wir Frankfurter eingeladen sind die neueste Ausstellung der Schirn zu besuchen, ziehen wir dafür bis unters Dach. Irgendwie ist das auch nett von uns.

Gegenüberliegend, auf der anderen Seite des Mains, steht das MAK, das Museum für Angewandte Kunst. Das Gebäude erschließt sich im Inneren über eine Rampe und ist unsere Hall of Fame für gelungene, moderne Architektur. Richard Maier, der Architekt, baut nur in Weiß. Dass ein solches Credo auch zur Marotte werden kann, ist eine andere Geschichte.

Diese Geschichte hier ist Richard Maiers erstes Werk in Europa und eines seiner herausragenden Bauten. Wir Frankfurter dürfen auch stolz sein auf unsere Stadt, die einmal das Know-how und den unternehmerischen Mut besaß, internationale Avantgarde zu entdecken, sie zu fördern und tatsächlich auch zu bauen. Auch das ist eine andere, weitere Geschichte. Geschichte sind neuerdings auch, nach langjähriger Sanierung des Museums, die Vor- und Einbauten vor Fenster- und Ausstellungsflächen, die einst Sichtbezüge und Räume künstlich versperrten. Dort wo ein hermetisch abgeriegeltes Gebäude im Park stand, steht heute ein Museum, das sich nach außen öffnet.

Dagegen wirkt die Schirn wie ein aufwendig angelegtes Kabuff. Der Belle Epoque ist das zuträglich. Die Welt um Montmartre ist bizarr. Sie ist dreckig, pudrig, puffig, versoffen, intim, nicht steril. Früher war Syphilis und Tuberkulose, Scheitern und Sterben allenthalben. Viel Sex. Selten hat mir eine Ausstellung wie diese die Stimmung einer Zeit so nah gebracht, die ich nur aus der Literatur und von Bildern kennen kann. Erik Satie kannte ich bislang nur von seiner Musik. Nun steht er mir gegenüber, annähernd lebensgroß, im Blick das, was mich berührt.

Fast steril hingegen muten die Räume des MAK an. Alles ist weiß, hell, hygienisch, dem Fortschritt geschuldet. Der Park setzt mit sattem Grün den erforderlichen Akzent. In seiner rhythmisierten ästhetischen Aufgeräumtheit bleibt die Architektur keine Antwort schuldig. Das Gebäude ist ein gebautes Manifest der Moderne. Überraschend wie Ferdinand Kramers ausgestellte Exponate im Kontext zum Gebäude wirken: Überholt! Diese Ausstellung ist die schönste, die ich in den Räumen des MAKs sehen durfte. Sie ist ein ehrliches, gut aufbereitetes Zeitdokument. Und die Ausstellungsarchitektur ist sexy.

Die Protagonisten der Belle Epoque sind tot. Ferdinand Kramer ist tot. Der epochale Geist, der sie umtrieb ist auch nicht mehr. Die Belle Epoque definierte sich über Mitglieder des Bürgertums, die Montemartre in Paris aufsuchten um am Rande der Gesellschaft zu leben, zu arbeiten und sich mit jenen zusammen zu tun, die von Geburt ausgegrenzt waren. So sind die Werke der Belle Epoque ein Zeitdokument jener, die sich den sozialen Brüchen ihrer Zeit stellten und diese nicht nur portraitierten, sondern lebten. Die ausgestellten Werke transportieren auch eine Epoche, die Frauen wegen schlechter Bezahlung in die Prostitution trieb. Durch das Zusammenleben der unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen entstand auch eine Förderung jener, die ihre eigenen Talente entdeckten. Die Belle Epoque ist ein Zeitdokument einer großen Kommune, die sozialkritische Themen nicht vorrangig diskutierte, sondern sie belebte.

Ferdinand Kramer war gebürtiger Frankfurter und bereits im Team von Ernst May 1925 tätig. 1952 wurde er Baudirektor der Goethe-Universität. Sein Anspruch lag darin begründet, Innovation nicht ausschließlich aus Neuerungen heraus zu definieren, sondern mittels Augenmaß das funktionierende Alte mit dem Neuen zu verbinden. So lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Entwurfshaltungen der Architekten Kramer und Maier im Zusammenspiel im MAK betrachten. Die ausschließlich nach vorne gewandte Stringenz Maiers Architektur arbeitet im Dialog zwischen Innen- und Außenraum und nicht mit der Geschichte eines Ortes, einer Stadt, einer vorherrschenden Architektursprache. Gebäude und Park definierte Richard Maier neu. Die Ausstellungsarchitektur vor Ort ist ein hervorragend gestaltetes Bindeglied zweier Entwurfsphilosophien, die gegensätzlicher nicht sein können, aber beide zeitgeschichtlich der Moderne zugeschrieben werden müssen.

Zwischen der Belle Epoque und Kramers Hauptwerken liegen fünf Jahrzehnte, dazwischen zwei Weltkriege. Annähernd soviel Zeit ist bis in unsere heutige Gegenwart vergangen. Künstler, Architekten, Kulturschaffende haben ausgedient ihren Wirkungsgrad epochal zu gestalten. Hin und wieder gelingt ein gutes Werk.

"Es ist gestrig die Kommerzialisierung der Kunst zu beklagen. Avantgarde ist die Artifizierung des Kommerzes", schrieb kürzlich ein Musiker. Ab kommender Woche, gegenüber der Belle Epoque in der Schirn, lässt sich dieses Phänomen gut betrachten.
 
12. Februar 2014, 11.15 Uhr
Ana Marija Milkovic
 
 
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