Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Im Herzen ein getürkter Italiener...

30 x Dolce Vita in und um Frankfurt: In der Titelgeschichte des aktuellen JOURNAL bringen wir Mittelmeerstimmung in die Stadt. Doch wie fühlt sich eigentlich ein "echter" Italiener am Main? HR-Journalist Franco Foraci erklärt es uns.
Allora: Ich bin ein Sizilianer oder vielleicht ein Deutscher sizilianischen Ursprungs oder ein verkappter Italiener oder ein italienischer Deutscher oder ein sizilianischer Deutsch-Italiener oder ein Hesse mit Migrationshintergrund, wahlweise ein Journalist mit Migrationshintergrund. Oder ein bemitleidenswerter Tedeschizzato. Germanisiert, verkopft, entitalianisiert. Die Grenze zwischen Integration und Assimilation, wer zieht sie schon. Ich erst recht nicht. Mir fehlen einfach die sprachlichen und faktischen Instrumente dazu. Das Fleisch willig, der Geist ziemlich schwach für einen solchen Kraftakt. Zu philosophisch? Mitnichten, in diesem meinem neuen Heimatland, das eigentlich ein Schlaraffenland mit Zahlenschloss ist – dessen Code jeder sucht und meist nicht findet -, kann es gar nicht kompliziert genug zugehen. Warum sollte es sich das Multikulti-Volk einfacher machen als die edlen Germanen?
Ich habe mir eine schöne Überlebensstrategie angeeignet, in diesem neuen Heimatland, dessen Passbewohner ich seit zehn Jahren bin. All das zu sein, was ich zu Beginn ansprach, verschafft unheimlich viele Vorteile. Und wenn es mal Nachteile gibt, schimpfe ich umso lieber, damit sich diese auch in einen Vorteil verwandeln. Bis es sich in wohliger Selbstverständlichkeit wieder einstellt – das Grundgefühl des intelligenten Schwebezustands. Zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Mentalitäten, zwischen zwei Lebenswelten, zwischen zwei Moralvorstellungen. Das macht Laune. Denn die Ergebnisse meiner Entscheidungen sind vielfältig, interessant. Kurzum: so inkonsequent wie unwiederholbar, und deshalb schön. Gott bewahre mich vor Klischees!! So mache ich mir dann und wann auch ernste Gedanken über mein Leben als Pseudosizilianer.
Wäre ich ein Mitglied der Mafia, ich hätte in der Bundesrepublik Deutschland die perfekte Tarnung gefunden. Fernsehjournalist in Frankfurt, ab und an als unfreiwilliger Sozialarbeiter unterwegs, silbrige Haare, charmant, vertrauen erweckendes Auftreten, für Sizilianer eine überdurchschnittlich große Statur, in der Sprache keine einzige italienische Betonung. Und die Kleidung sportlich-nett bis bürgerlich: Nichts Besonderes, aber auch nichts typisch Germanisches.
Gewöhnlich gehe ich bei den meisten als Deutscher durch, der irgendwo her ist, nur nicht aus Frankfurt. Der Stadt, in der ich seit nunmehr seit über 32 Jahren lebe. Mir fehlt einfach die „frankforterischee“ Atemtechnik, ansonsten bin ich durch und durch normal; ein Frankfurter allemal.
Gerate ich mit mir bis dahin nicht bekannten Deutschen zusammen, merken die erst, dass ich aus Italien komme, wenn ich mich nach Rosa-von-Praunheim-Manier selber oute. Die Dialoge hören sich dann ein ums andere Mal so an: „Ach was, das hätte ich aber nicht gedacht! Woher bist Du denn?“ Ich will für meine Antwort etwas ausholen, merke aber sofort, dass mein Gegenüber nur an maximal einem Satz interessiert ist. Ich sage: „Geboren wurde ich im Nordosten Siziliens, in einem kleinen Ort im Provinzgebiet rund um die Hafenstadt Messina. Der Ort heißt Tortorici. Die Gegend gehört zur einzigen zusammenhängenden, grünen Lunge Siziliens. Von dort wollten meine Eltern eigentlich nicht ...“ Und so weiter und so fort. Ich breche ab, wenn die Reaktion die immergleiche Grimasse ist: Mein deutscher Gesprächspartner bewegt seine Mundwinkel nach oben, öffnet seine Augenlieder, als hätte er gerade eine wundersame Erscheinung der dritten Art erblickt, dann fällt wie aus der Pistole geschossen die Frage, von der er glaubt, sie sei der witzigste Einfall, den ich je gehört habe: „Mafiamitglied, was?“ Ha, ha, ha. Sitzen andere dabei lachen sie mit. Ich ziehe meine Mundwinkel zusammen, runzle meine Stirne und zeige, was ich davon halte: nichts! Die Reaktion meiner Sitznachbar ist ungefähr so als begrüße ein Sizilianer einen gebürtigen Hessen mit den Worten: „Immer den Stinkekäs’ inner Hand, was?“ Echt einladend.
Am meisten Spaß macht es mir aber, wenn vorher über Ausländer gepflegt despektierlich (man will ja heute nicht direkt als Rassist gelten, auch wenn mancher so denkt wie er sich glaubt, krampfhaft clever zurücknehmen zu können) hergezogen wurde. Plötzlich haben die, die sich da zweideutig geäußert hatten, kaum noch Mut, sich an der weiteren Diskussion zu beteiligen. Wer kann es ihnen verdenken. Mit solchem Habitus gewinnt man ja nicht einmal mehr Wahlen, wie unser liebes Hessen zeigt. Ich ergreife in solcherlei Situationen jedenfalls die Gelegenheit beim Schopfe (ach, wie liebe ich diese deutschen Sprachhülsen) und tue meinem missionarischen Eifer in Sachen multikulturelle Gesellschaft Genüge. Trotz großer Migrationshintergrundtheorien gibt es sie nämlich faktisch noch. Mein überzeugendstes Argument bin ja schließlich ich selbst.
„Warum regst Du Dich eigentlich so auf?“, schallt es in gedämpften, anbiedernden Ton zurück. „Du warst doch nicht gemeint. Italiener sind sowieso keine Ausländer für uns.“ Eben da ist der Punkt, an dem ich schier verzweifle. Zum x-ten Male rede ich mir den Mund fusselig, erkläre einen deutschen Pass zu besitzen, aber noch mein altes Gehirn, operiere mit Begriffen wie „migrationsfreundlich“, „Toleranz“ und „konstruktive Konfliktbereitschaft“, versuche zu vermitteln, dass es doch keine „besseren“ oder „schlechteren“ Ausländern geben kann. Dass man auch selbst etwas dafür tun muss, um die anderen, angeblich Fremden, nicht zu verstehen. Die meisten Ausländer, sage ich, sind mittlerweile – ob sie nun türkische, senegalesische oder italienische Wurzeln haben – nichtdeutsche Deutsche ohne deutschen Pass. Da wäre sie wieder die sezierende deutsche Sprache: „nichtdeutsche Deutsche“, irgendwie doch andere Menschen, hier gut - da schlecht. Oje! „Deutsch sein“ und „deutsch denken“ funktionierten doch nicht ausschließlich über den Besitz eines maschinenlesbaren Ausweises. „Wir machen leider um diesen ‚kleinen Unterschied’ zu viel Aufhebens“, ergänze ich.
So rede ich in Gegenwart von Deutschen stets selbstverständlich von „wir“ oder „uns“, obwohl ich rechtlich lange dem Ausländergesetz unterworfen war und dem ius sanguinis zufolge niemals Blutsdeutscher werden kann. Genauso geht es mir, wenn ich in einer Runde zusammensitze, die nur aus „Migranten“ besteht. „Wir“ oder „uns“ meint hier dann eben die Ausländer oder Italiener, je nachdem. Wir faktisch nichtdeutschen Einheimischen tun uns mit der Unterscheidung dieser Begriffe selten schwer.
Übrigens: war gerade im Fernsehen zu hören, dass irgendein ‚drangheta’-Klan aus Kalabrien (!) in Westdeutschland reihenweise Menschen vor einer Pizzeria ermordet hat, kann ich die Uhr danach stellen, dass mich (Sizilianer !) am nächsten Morgen jemand mit breitem Grinsen fragt: „Na, wo warst du gestern Abend? Die Knarre noch bei Dir?“ Meine prompte Antwort: „Klar, und du? Schon zurück vom Führerbunker? ...“ Komisch, es wirkt immer wieder!
Der bayerische Komiker und Kabarettist Karl Valentin hat in einer seiner unnachahmlichen Vorstellungen – zu Zeiten wohlgemerkt, als Deutschlands romantisierter Preußenstaat Ausländer entweder nur als Baströckchen-Exoten oder glubschäugige, zahnlose, russische Ungeheuer kannte – einmal mit der für ihn charakteristischen weisen Ironie einen wunderbaren Satz formuliert: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde!“ Zu deutsch: Ausländer gibt es nur im Ausland. Folglich ist das eigene Land da, wo man kein Fremder ist. Logisch, nicht wahr? Wer also als Ausländer-Migrant in der Fremde seine Heimat sieht, weil er sich wie ich dort zu Hause fühlt (sprachlich wie landschaftlich wie kulturell), der kann kein Fremder sein. Das Wort „multikulturell“ kannte Karl Valentin freilich noch nicht, aber er wusste trotzdem, wovon er mit seinem sinnigen Wortspiel sprach. Wer Fremde zu Fremden erklärt, grenzt sich selbst aus – Valentin, ein verkannter Psychologe. Schließlich waren die Bayern damals selbst – und sind es wohl für manchen heute noch – den deutschen Blutsdeutschen, gelinde gesagt, höchst fremdartige Wesen. Platterlende, dirndlgestörte, pilsgesteuerte Lederhosenversteher.
Na, denke ich mir so, das muss doch einschlagen, eine Aha-Effekt wäre hier das mindeste! Aber denkste!: Kommt von der anderen Seite des verstummten Tisches, manchmal ist es auch der Telefonhörer bei meinen täglichen Recherchen, ein müdes Nicken gar, muss ich schon sehr zufrieden sein. Und außerdem, frage ich ein wenig rhetorisch, wie soll ich mich denn bezeichnen? Pass hin oder her. Ein Italiener bin ich genauso wenig wie ein Deutscher, trotzdem oder gerade weil ich beide Sprachen fließend spreche. Ich denke in beiden Kulturen und träume mal auf deutsch, mal auf italienisch, mal auf sizilianisch.
„Dann bist du halt ein getürkter Italiener!“ Wirklich rührend, wie sich die Diskussion wieder in „Witz-komm-raus“-Attitüden verflüchtigt. Meine Geduld ist aber durch solch geniale Exkurse längst nicht zu strapazieren ... Darin bin ich weder deutsch noch italienisch noch sizilianisch.
Vor wenigen Jahren noch waren wir Italiener die Ausländer schlechthin. Als ich 1975 das erste Mal in Deutschland in die Schule gehen durfte, war „Spaghetti-Fresser“ die harmloseste Beschimpfung, die ich täglich hörte. Ich nahm es mit Humor, fühlte mich zusätzlich angespornt und zahlte stets mit gleicher Münze heim: „Kartoffel-Fresser“ hieß meine nüchterne Rache, bis ich begriff wie lecker diese Erdäpfel schmecken. Fortan variierte ich mein polarisierendes Vokabular. Spaghetti, asiatische Importe eines berühmten Weltreisenden – sie haben uns längst zu Stars in der Werbung aufsteigen lassen: Oder haben sie in den Neunzigern nicht mitgesungen beim einfallsreichen Spot für „Pasta, Pasta, Maggi, Maggi, Pasta, Pasta“ oder genüsslich zugeschaut beim noch heute aktuellen „Pizza de deux“ von Dr. Oetker? Vorne ein Traumpaar in oraler Aktion, hinten eine kitschige Venedigtapete. Traumhaft schön!
Die Kosmetikindustrie hat es noch viel bunter getrieben. Sie hat uns schon zu Helden erhoben: Für Oil of Dingsbums (eine Hautmilch) durfte ein italienisch aussehender barista (schwarze Haare, dunkler Teint, tiefschwarze Augen) in der Eisdiele, wo sonst, beim Anblick einer deutschen Blondinenpracht mit schmalziger Stimme „Mamma mia“ sagen! Selbst die Fernsehlotterie Glücksspirale mochte bei ihren größten Erfolgen auf den Italiener eine geraume Weile nicht verzichten. Wissen Sie noch: Eine deutsche Luxusdame unterhält sich mit zwei Mafia-Größen à la Capone (zu erkennen als Spionenhutträger in eklig-geschniegelten Crème-Anzügen) im Rolls Royce. Der Tipp von der Frau: Kauft Euch doch ein Los von der Glücksspirale. So könnt Ihr auch mal auf ehrliche Weise zu Eurem Geld kommen. Die Anregung wird höflich und dankend angenommen. Schließlich ist ein Mafioso der perfekte Gentleman. Ein bisschen geschossen wird trotzdem noch: Das Los wird mit dem schallenden Geräusch einer Kugel durchbohrt. Sie wissen doch, die Instinkte!! Die bösen.
Der Italiener, der hat’s dann irgendwie doch drauf. Das weiß die Werbung, Gott sei dank, schon länger als andere. Damit nicht genug. Da gab es doch einst in Bonn und später in Berlin tatsächlich die gefürchtete Toscana-Fraktion, bestehend aus lauter prominenten deutschen SPD-Mitgliedern, die Urlaub auf dem Bauernhof gern mit Politik verbinden, Cosa-Nostra-Feeling mal ganz anders.
Tjaja, das Land wo die Zitronen blühen ... war Symbol für Rückständigkeit und geistige Armut. Heute ist das anders. Jeder kennt Dante, jeder weiß vom Leoparden auf Sizilien. Wir sind das Land der Literatur, das Land der Mode, des Designs, des temperamentvollen Latin Lovers, des sympathischen Chaos, das auch mit dem Ordnungsdiktator Berlusconi immer all’ italiana endet: unbeschwert und voller Optimismus. Nur die WM 2006 hat diese Liebe ein bisschen eingetrübt. Man muss auch gönnen können, das ist nicht gerade die Lieblingstugend meiner germanischen Freunde. Was musste ich mir damals anhören! Aber gut, der Pizza-Boykott ist beendet. Längst. Schwamm drüber.
Wie sagt doch der legendäre Obelix? Die spinnen, die Deutschen. Oder waren es die Römer? Egal. Bei den Blutsdeutschen haben wir Italiener und Pseudodeutschen Punkte gesammelt. Soviel Korruption in Deutschland war nie. Hurra, der Süden ist angekommen. Im wohlfeilen Norden Europas. Entdecken Sie den Alltag, sie werden sehen!
 
5. Juli 2011, 16.15 Uhr
Franco Foraci
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Schreibzimmer 2024
Alle Schreibwerkzeuge parat
Im September und Oktober findet im Jungen Literaturhaus Frankfurt wieder die Schreibwerkstatt mit zwei Autorinnen statt. Noch bis zum 2. Juni können sich interessierte Jugendliche bewerben.
Text: Lisa Veitenhansl / Foto: © Esra Klein
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
4. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Anneke van Giersbergen
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
  • Philipp Dittberner
    Das Bett | 20.00 Uhr
  • Ulf Kleiner, Hanns Höhn und David Meisenzahl
    Stadtkirche | 19.30 Uhr
Nightlife
  • Gibson loves Saturdays
    Gibson | 23.00 Uhr
  • JoyDance
    Brotfabrik | 21.00 Uhr
  • Milk'n'Cream
    Orange Peel | 23.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Otello
    Staatstheater Mainz | 19.30 Uhr
  • Hereinspaziert: KiezPalast
    Alte Oper | 20.00 Uhr
  • Das Schloss am Ende der Straße
    Die Kammeroper Frankfurt im Palais Livingston | 20.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Mein Lieblingstier heißt Winter
    Schauspiel Frankfurt | 20.00 Uhr
  • Circus Gebrüder Barelli
    Festplatz am Ratsweg | 20.00 Uhr
  • Der junge Mann / Das Ereignis
    Theater Willy Praml, Naxoshalle | 20.00 Uhr
Kunst
  • Tod und Teufel
    Hessisches Landesmuseum | 11.00 Uhr
  • Bibel ist divers – QR-Code Safari durch das BIMU
    Bibelhaus Erlebnis Museum | 10.00 Uhr
  • A Gathering of Stories and Memories
    Frauen Museum Wiesbaden | 12.00 Uhr
Kinder
  • Sneaker-Design-Werkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 14.00 Uhr
  • Shoot’n’Shout
    Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Wartburg | 19.30 Uhr
  • Der Mistkäfer
    Staatstheater Mainz | 10.00 Uhr
und sonst
  • Nacht der Museen
    Innenstadt | 19.00 Uhr
  • Tag der offenen Tür
    Universitätsklinikum | 11.00 Uhr
  • Frankfurter Riesling Tag
    Gesellschaftshaus Palmengarten | 14.00 Uhr
Freie Stellen