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Foto: Detlef Kinsler
Foto: Detlef Kinsler

High Life im Gallustheater

Unmittelbarer Ausdruck der Lebenswelten

„High Life“ heißt das Pilotprojekt, in dem Studierende der University Of Applied Science in Frankfurt mit Drogensüchtigen zusammenarbeiten – für Einblicke in deren Lebenswelten. Ulrike Pfeifer und David Lang haben das mit auf den Weg gebracht.
JOURNAL FRANKFURT: Für den Bereich Musik bei „High Life“ zeichnen Sie beide verantwortlich. Wie kamen Sie für dieses Pilotprojekt zusammen?

David Lang: Uli und ich kennen uns aus zahlreichen gemeinsamen Projekten als freiberufliche Musiker, so hat sich unsere Zusammenarbeit in der Hochschule quasi ergeben. Wir haben in der JVA Rockenberg „Romeo und Julia“ zusammen mit den Gefängnisinsassen in der JVA-Kirche auf die Bühne gebracht. Uli hat schon vorher zwei ähnliche Projekte mit Maja Wolff auf die Beine gestellt. Dann gab es, angestoßen durch meine langjährige Tätigkeit in der Suchtarbeit, die Idee mal was mit süchtigen Patienten zu machen und da etwas zu versuchen, was eigentlich relativ schwierig ist, weil bei schwerst Drogenabhängigen die Konzentrationsfähigkeit und das Durchhaltevermögen nicht besonders groß sind. Wir waren total erstaunt wie gut sie mitgemacht haben. Wobei es zunächst recht schwierig war Teilnehmer zu rekrutieren.

Ulrike Pfeifer: Die Idee zum Projekt hatte David, der als Arzt bei der Malteser Suchthilfe arbeitet und den ich sehr als Musiker und Musikproduzent schätze. Zunächst sind wir an fast alle Frankfurter Drogenhilfe-Institutionen herangetreten. Dort gab es zum Teil Vorbehalte, ob wir die Klienten tatsächlich erreichen, doch wir waren alle erstaunt, wie groß die Resonanz war.

Lang: Wir hatten die große Sorge, dass die Leute einmal auftauchen und dann nie wiederkommen. Von daher mussten wir uns ein Konzept überlegen, das Flexibilität mitbringt. Wenn einer nur einmal auftaucht, sich an den Rechner setzt, eine gute Idee hat und diese einspielt, wollten wir diese auch für das gesamte Projekt verwenden dürfen. Das haben wir hinbekommen, indem wir gesagt haben, ok: wir suchen einfach kreative Keimzellen. Das, was an kreativem Output kommt, ein paar Textzeilen, eine Melodie oder wenn jemand ein Instrument spielen kann, das nehmen wir dann mit und versuchen daraus ganze Songs zu entwickeln, indem wir auch Ergebnisse aus unterschiedlichen Einrichtungen sammeln. Wir haben uns auf wenige Tempi und Tonarten geeignet und hatten dann die Möglichkeit die Keimzellen miteinander zu kombinieren. Das Konzept bot aber auch die Möglichkeit, dass Einzelne, oder kleine Gruppen ihre Ideen selbstständig zu Ende entwickeln konnten, was weit öfter vorkam, als wir zunächst annehmen konnten. Wir sind davon ausgegangen, dass wir erst mal drei Songs zusammenkriegen oder vielleicht einen Rap mit gefühlten 27 Strophen und sind jetzt Mitte Dezember bei 20 Songs, komplett mit A-, B- und C-Teil.

Wann haben Sie denn mit dem Projekt angefangen?

Pfeifer: Mit dem Projekt haben wir im Frühsommer angefangen. Im April gingen die Vorbereitungen los und im August starteten die Workshops in den einzelnen Institutionen mit ersten Aufnahmen, Musik, Video, Theater, Kunst. In den letzten drei Monaten ist das ziemlich explodiert, es wurde so viel Song-Material, alles war so reichhaltig und es gab so viele Nachfragen, dass wir dann eher das Problem hatten: wie kriegen wir alles unter? Unser Ziel war, diese Vielseitigkeit zusammenzuführen und zu komprimieren. Und David macht das mit den musikalischen Ergebnissen richtig genial. Es sind Anfängerinnen und Anfänger dabei, die vorher noch nie etwas mit Musik zu tun gehabt haben, die sich zum ersten Mal darin ausdrücken; und es gibt gute Instrumentalisten und erfahrene Rapper – alle haben etwas zu sagen. Wir wollten von jedem einzelnen Beteiligten etwas in die CD einfließen lassen wie in ein großes Puzzle, in dem sich alles ergänzt. Das war unser Ziel.

Lang: Und die Guten helfen auch den weniger Erfahrenen. Wenn ein Song eine gute Melodie hat, aber einfach noch zu unfertig ist, dann spielen die Erfahrenen etwas dazu und wir versuchen es so zu einem kompletten Song zu machen.
Wir waren echt erstaunt: es gab zum Beispiel eine junge Frau, die schon viel Straßenmusik gemacht hat, die so eine moderne Auffassung von Songwriting hat, auch toll singen kann. Auch der Arbeitsprozess hat Beeindruckendes gezeigt: Da gab es eine 47-jährige Frau, die sagte, eigentlich wollte sie schon immer Musik machen, mit 11 habe man ihr gesagt, du kannst nicht singen, nur brummeln, und dann hat sie sich das bis zu dem Tag, an dem wir aufgetaucht sind, auch nicht mehr getraut. Ihre Lieblingsmusik ist Reggae, so hat sie sich an den Computer gesetzt und ein paar Reggae-Grooves zusammengeschnitzt und wir haben ihr dann gesagt, mach doch gleich noch einen Text und eine Melodie dazu. Wenig später stand sie unterm Kopfhörer vorm Mikrofon, sang immer wieder ihren Refrain, es wurde von Mal zu Mal besser und sie hat gestrahlt: Es sei ein so tolles Erlebnis gewesen. Und so kommt letztlich ein ganzer Song dabei heraus. Jetzt haben wir auch ein Reggaestück.

Es könnten sich ja jetzt Unbeteiligte fragen, warum macht man so ein Projekt? Klar, es ist praktische Arbeit für die Studenten und es gehört sicher auch zu den Lehrinhalten, Welten aufeinanderprallen zu lassen; es hat einen didaktischen wie therapeutischen Wert… Zu oft wird ja auch vergessen was die Kunst kann … Und da gibt es sicherlich viele unterschiedliche Ebenen auf denen da was passieren kann ...

Lang: Was die Kunst kann, das ist wirklich das Stichwort. Die Klienten sind ja in alle möglichen therapeutischen Prozesse involviert: Arbeitsstrukturierung, Alltagsstrukturierung. Und man versucht, die Leute wieder irgendwie zu kriegen, für irgendwas zu gewinnen, was der Strukturlosigkeit, der Sucht entgegenwirkt. Das ist unheimlich schwer. Oft gehen sie nur ein paar mal hin und dann gewinnt die Sucht wieder die Oberhand. Das ist bei der Musik anders, da kriegt man die Leute. Es war toll für mich die Klienten mal von einer ganz anderen Seite her kennen zu lernen. Dort wo man aus einem anderen Blickwinkel heraus oft nur die Schwere der Drogenabhängigkeit sieht zeigte sich hier überraschend Begeisterungsfähigkeit und Enthusiasmus. Beispielsweise setzte sich eine Klientin eine ganze Nacht hin und schrieb vier Texte, war dabei sehr konzentriert, machte sich viele Gedanken, war total gefesselt, wollte unbedingt etwas Gutes zustande bringen. Das hätte ich nie für möglich gehalten, dass so eine Dynamik entstehen kann. Toll.

Man hat ja was erlebt, hat viel zu erzählen, glaubt aber nicht daran, dass man das wirklich kann … Da braucht es diesen Anstoß.

Pfeifer: Wir hatten bei vielen Beteiligten den Eindruck, dass es befreiend wirkt, die eigene Geschichte, die eigenen Gedanken und Gefühle in Poesie und Musik umzusetzen. Auch wenn es teilweise mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden ist, scheint dabei die eigene Kraft und Kreativität wieder mehr spürbar zu werden.

Lang: Was ich auch extrem spannend finde an dem Projekt, ist, dass es eine Kommunikation ermöglicht auf einer Ebene, die es sonst so nicht gibt. Denn das Projekt findet in ganz verschiedenen Einrichtungen statt, z.B. auch in Einrichtungen, aus denen die Leute während bestimmter Zeiten nicht raus dürfen, weil sie clean bleiben wollen, keinen Kontakt mit Drogenkonsumenten haben dürfen. Und dann erzählen diese Teilnehmer auf der CD, wie es ihnen jetzt geht, nachdem sie es geschafft haben clean zu bleiben, wie sie auf ihre Zeit zurückschauen, als sie noch drauf waren. Und das erzählen sie sozusagen anderen, die auch an dem Projekt teilnehmen und möglicherweise gerade selbst schwer gegen ihre Sucht ankommen. Die erfahren dann direkt: so geht es jemandem, der in einer Therapieeinrichtung ist. Das ist eine ganz spannende Geschichte, man bekommt viele Einblicke. Wir saßen bei der Zusammenschau der Ergebnisse zusammen und hörten uns gespannt die Ideen der Teilnehmer an: da erwischt es einen stellenweise knallhart. Beispielsweise erzählt einer vom Frühstück und der Geliebten im Arm. Ja welche Geliebte, deren Kuss so bitter schmeckt? Die Nadel im Arm. Eine tolle, pointierte Idee und wie er das dann rüberbringt, da wirst du voll gepackt, da bist du mitten drin in seiner Welt. Der bitter schmeckende, eiskalte Kuss vom Heroin, jetzt kann ich mir vorstellen wie sich das anfühlen muss.

Pfeifer: Ja, es ist interessant, mit solch unterschiedlichen Einrichtungen zu arbeiten: Mit niederschwelligen Einrichtungen, in denen die Leute Methadon bekommen oder Konsumräume genutzt werden, bis hin zu Selbsthilfegruppen, die versuchen, vollkommen clean zu leben, und man merkt einfach, wie verschieden mit der Sucht umgegangen wird. Wir haben kein Thema vorgegeben, aber die meisten Beteiligten wollten die Drogensucht thematisieren, wie sie damit umgehen, welche Hoffnungen sie haben, wie sie ihr Leben sehen, woher sie ihre Kraft nehmen.

Bei den unterschiedlichen Annäherungsphasen – wann/wie kommen die Studierenden ins Spiel?

Pfeifer: Die Studierenden waren von Anfang an in das Projekt eingebunden. Sie haben entschieden, in welchen Einrichtungen sie welche Medien anbieten möchten, haben die Konzepte für die einzelnen Workshops erarbeitet und die Kontakte zu den Beteiligten aufgebaut. Zudem ist es Teil des Konzeptes in unserem Schwerpunkt „Kultur und Medien“, die Studierenden in die Medien einzuführen und auch das technische und künstlerische Knowhow zu vermitteln. So konnten sie auch selbstständig die Workshops in den Institutionen durchführen und haben den engen Kontakt zu ihren Gruppen entwickelt.

Die Studierenden sind ja auch nicht unbedingt professionelle Texter und Musiker ...

Pfeifer: Ja, das ist unterschiedlich. Es ist ein großes Projekt, nicht nur Musik, jeder der über 30 Studierenden konnte seinen künstlerischen Schwerpunkt einbringen: Theater, Video, Musik, Foto, Kunst, mit geleitet und unterstützt von den Kollegen Bernhard Kayser und Barzan Kadir.

Bevor wir´s vergessen: mit welchem Ziel studiert man an der University of Applied Science?

Pfeifer: Soziale Arbeit, im Schwerpunkt haben sie sich entschieden für „Kultur & Medien“: Hier werden die Studierenden ausgebildet, Projekte mit künstlerischen Medien durchzuführen, um darüber einen anderen Zugang zu Klienten der Sozialen Arbeit zu bekommen und um diese darin zu unterstützen, ihr Leben besser zu bewältigen und die eigene Lebenssituation zu verbessern. Diese Arbeit knüpft an die Ressourcen der Klienten an: Wo sind die Stärken und wie lassen sich diese ausbauen?

Zur Veranstaltung am 31. Januar im Gallus Theater ...

Pfeifer: Da soll alles, was in den unterschiedlichen Workshops erarbeitet wurde, einfließen. Zum einen wird es im Foyer des Gallus Theaters eine Ausstellung mit verschiedenen Stationen und Projektionen geben, zum Beispiel gibt es eine Wohnzimmerszene, in der man über Videos Einblicke in das Projekt bekommt. Im Theatersaal wird vor allem Musik und Film stattfinden, auch Ausschnitte aus einem dokumentarischen Theater, das der Regisseur Sascha Schmidt betreut. Wer dann alles performt, werden wir sehen. Beteiligt am Projekt sind ja circa 100 Leute. Es geht dann auch um das Selbstvertrauen, sich auf eine Bühne zu stellen. Es sind so viele begabte Menschen dabei und was sich immer wiederholt: es ist kaum Selbstvertrauen da, es gibt wenig Wahrnehmung dessen, was sie können.

Es besteht ja die Möglichkeit, dass irgendwann die Angst kommt, die eigene Geschichte so öffentlich zu machen... Beim Auftritt kommen ja noch mal anderen Leute, vor allem solche, mit denen man sich vorher noch nicht ausgetauscht hat...

Pfeifer: Da denken wir, dass die einzelnen Workshop-Gruppen sich gegenseitig unterstützen, wenn sie zusammen auf die Bühne gehen, zum Beispiel durch die Chöre.

Die Möglichkeit des Scheiterns bei solchen „sozialen“ Projekten müsste ja im Studium schon vermittelt werden. Aber mit dem Wissen enthusiastisch in ein Projekt hineingehen, ist mehr als eine gesunde Basis ...

Lang: Wir haben sehr viel Glück gehabt mit unseren Studenten; Alle haben eine sehr humane, Einstellung, sind sehr respektvoll den Klienten gegenüber getreten, haben vieles toll aufgefangen, z.B. wenn es Wartezeiten gab bis der nächste zu den Aufnahmen ins Studio durfte, haben motiviert, bestärkt und letztlich alles gut am Laufen gehalten.

Wie ist denn letztlich die Bandbreite an musikalischen Stilen ...

Lang: Es gibt auch Singer/Songwriter, ein Gitarrenstück mit russischem Text. Das Spannendste ist wahrscheinlich ein ziemlich moderner Electro-Pop gemischt mit einem Dudelsack und mittelalterlichen Flöten. Und das funktioniert. Es gibt auch ein sehr technoides Stück. Natürlich gibt´s auch viel Rap, stellenweise mit viel Songcharakter.

Wie viel Kulturen sind denn beteiligt?

Lang: Vor allem deutsch- und englischsprachige Songs, darüber hinaus auch das russischsprachige Lied...

Noch ein Satz zum „Echten“, Authentischen des Projektes ...


Pfeifer
: Die Texte berühren, da sie unmittelbarer Ausdruck der Lebenswelten sind, ein Ausdruck, der durch die Musik emotional verstärkt wird. Hier ist es den Beteiligten gelungen, Musik zu ihrem Sprachrohr zu machen.
 
24. Januar 2016, 15.21 Uhr
Interview: Detlef Kinsler
 
 
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