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Experimente mit offenem Ausgang

Tanztheaterszene siedelt sich im Gallus an

Während die Frankfurter Theaterszene heiß über ihre Evaluierung diskutiert, hat das neue Zentrum für Proben und Forschung seine ersten Räume im Gallus bezogen.
Jetzt hat der Tanzboden ein Zuhause gefunden. Zwei Jahre lang war er in Holzkisten verstaut und wurde temporär für das Festival Tanzpanorama aufgeschlagen im Studierendenhaus, im Frankfurt LAB und der Plattform Sarai. Jetzt bleibt er liegen, in der Schmidt­straße  12, Tür an Tür mit dem LAB. Froh und erschöpft sehen Kristina Veit, Norbert Pape und Florian Ackermann auf das neue Tanzstudio. Im Pilotprojekt „Zentrum für Proben und Forschung“ – kurz „Z“ –, das die drei gemeinsam mit Nina Vallon und Jan Deck konzipierten, können künftig Tänzer, Performer und Choreografen arbeiten. Entworfen wurde es 2011 mit Blick auf den Kulturcampus Bockenheim, auf Initiative von Stephan Mumme und Hausbesitzer Jürg Leipziger ist es nun zunächst im Gallus ansässig.

Im „Z“ werden neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Austauschs erprobt, denn es soll langfristig nicht von einer Gruppe geleitet werden, sondern vielmehr als offene, selbstorganisierte Struktur fungieren: „Es ist für uns ein erster Schritt, eine nachhaltige Struktur für die freie Szene in Frankfurt zu schaffen“, so Florian Ackermann. „Bei Residenzen und Koproduktionen ist stets Mobilität gefordert, die ein sozial unverträgliches Leben mit sich bringt. Darum muss es möglich sein, vor Ort gut zu arbeiten, und wir fragen uns: Wie kann man die Leute hier beheimaten?“ „Z“ bietet Frankfurter Künstlern eine Residenz, für einen Tag bis zu sechs Wochen kann man gegen eine geringe Gebühr in den Studios recherchieren und probieren. Dabei sind Transparenz und das Teilen von Ressourcen wichtige Stichworte. „Wir wollen eine kontinuierliche künstlerische Arbeit ermöglichen und in der Stadt entstehende Dynamiken aufgreifen“, sagt Norbert Pape. Noch sucht das Kernteam aus Veit, Ackermann, Pape und Nina Vallon nach einem Vergabeschlüssel für die Räume und denkt über die Einrichtung eines Beirats nach. „Wir versuchen zu ermitteln, welche Notwendigkeiten bestehen, bevor wir Strukturen schaffen“, erzählt Ackermann. „Unser Schwerpunkt ist die projektbasierte Arbeit im Bereich Choreografie und Performance, alles andere ist ein Experiment mit offenem Ausgang, bei dem es sicher auch brenzlig und wild werden kann.“ Seele des Zentrums soll das Gemeinschaftsbüro sein, in dem sich Künstler, aber auch Wissenschaftler und Geistesverwandte treffen können.

Dabei ist die Konstruktion einer offenen Arbeitsstruktur typisch für eine Generation von Theaterschaffenden, die weniger in festen Ensembles als in Netzwerken arbeitet. Seit Jahren fordern freie Theatermacher, dass die Kulturpolitik diesen Veränderungen durch flexiblere Förderstrukturen nachkommen muss. Mündlich hat das Zentrum bereits eine Zusage für Konzeptionsförderung des Kulturamtes erhalten, die Höhe ist allerdings noch unklar. Eine Erneuerung der Förderstruktur, die zeitgenössischen Produktionsformen gerecht wird, vermisst auch der umstrittene Bericht der Perspektivkommission, der im Auftrag des Kulturdezernats erstellt wurde. Die Eröffnung von „Z“ fällt in eine Umbruchzeit, denn seit der Veröffentlichung des Berichts Mitte Mai häufen sich kritische bis zornige Stimmen, vor allem von den Theatermachern: Der Bericht gebe kein objektives Bild wider, er sei unausgewogen und das Verfahren intransparent. Vor allem aber ist die heftig entflammte Debatte von Angst geprägt – und von Missverständnissen. Jeder fürchtet um seine hart erkämpften, häufig kaum ausreichenden Mittel, die existierenden Strukturprobleme werden überdeckt von einem herbeigeredeten Generationenkonflikt.

Kulturamtsleiterin Carolina Romahn verteidigt ihr Vorgehen: „Wir wollten einen objektiven Außenblick auf die Szene erhalten und sie damit konfrontieren.“ Das Ergebnis der Kommission, die unter anderem eingefahrene Strukturen, eine überkommene Ästhetik und mangelnde Nachwuchsförderung kritisiert, überraschte sie nicht: „Die Reaktion auf den Bericht zeigt, dass die freie Szene in Frankfurt zum Establishment gehört, das sich nicht beurteilen lassen will, während die Innovationen vom Schauspiel Frankfurt kommen.“ Es habe den Bericht gebraucht, um Bewegung in die Szene zu bringen und Gespräche über ihre Zukunft zu initiieren. Theatermacher Willy Praml widerspricht dieser Einschätzung: Die nahezu unkommentierte Veröffentlichung des Berichts sei irritierend gewesen. „Der Kulturdezernent hätte sagen können, welche Pläne er mit dem Bericht verfolgt. Dann hätte es die Spaltung gar nicht gegeben, mit der die Thea­terszene jetzt kämpft.“ Und: „Solange es keine vertrauensbildenden Diskussions- und Entscheidungsprozesse gibt, hat man natürlich Angst, dass einem etwas aus den Fingern gerissen wird.“

Die vollständige Abhängigkeit der Theater von einem Geldgeber sieht Romahn als problematisch an: „Es ist wichtig, sich als Künstler bestimmte Techniken anzueignen, um überlebensfähig zu sein. Allein am Topf und Tropf der Stadt Frankfurt zu hängen – so kann die Zukunft nicht aussehen.“ Allerdings muss auch die Stadt nachholen, was sie in den vergangenen zwanzig Jahren versäumte. „Im Bericht kommt das Kulturamt nicht gut weg“, betont Romahn, „aber ich finde es gut, dass uns ein Spiegel vorgehalten wird.“ Unter anderem will sie dafür kämpfen, dass trotz der Sparmaßnahmen zumindest ein Teil der nach der Schließung des Volkstheaters 2013 frei werdenden Mittel umverteilt wird.

Auch in der Szene selbst ist das Veränderungspotenzial längst erkannt, forderte sie doch schon 2009 mit dem Papier „Perspektiven 2013“ weit gehende strukturelle Änderungen. 101 Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler und Tänzer haben nun den Aufruf „Perspektive Zukunft“ unterzeichnet, der einige Vorschläge der Perspektivkommission unterstützt und empfiehlt, diese in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Kulturamts, des Kulturausschusses und der freien Szene zu diskutieren, um schließlich einen Zeitplan für ihre Umsetzung festzulegen. Auch Carolina Romahn betont, im notwendigen Veränderungsprozess den Dialog mit den Theatermachern zu suchen. Fortsetzung folgt.

Eine Version dieses Artikels erschien zuerst im Journal Frankfurt vom 4. Juli 2012.
 
20. August 2012, 11.33 Uhr
Esther Boldt
 
 
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