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Foto: Andreas Dosch
Foto: Andreas Dosch

Dosch@Berlinale 2016 – Teil 4:

Golden Years

Zum Ende der 66. Internationalen Filmfestspiele Berlin ist unser Kino-Redakteur Andreas Dosch in Geberlaune. Hier kommen seine Preis-Favoriten. Sonderangebote von Lild & Co. nicht eingeschlossen.
Ich habe meinen diesjährigen Berlinale-Star gefunden! Es ist der kleine Samuele, Sohn eines Fischers, der auf der italienischen Insel Lampedusa lebt. Dort gibt es wenige Einwohner, gerade mal um die 6000. Doch in den letzten 20 Jahren sind 400.000 dazugekommen – nicht Einwohner, sondern Flüchtlinge. Die Zahl der bei den FluchtversuchenVerstorbenen liegt weit im fünfstelligen Bereich. Samuele allerdings ist viel mehr damit beschäftigt, ein Experte im Umgang mit der Steinschleuder zu werden – er zielt auch gerne mal auf durchreisende Singvögel. Sein linkes Auge ist taub, er braucht eine Augenklappe nebst Brille. Samuele nimmt das relativ gelassen. Samuele ist ein kleiner Publikumsliebling in dem be(d)rückenden Dokumentarfilm „Fuocoammare“ („Fire at Sea“), der dieses Jahr im Wettbewerb läuft und – so entscheide es der Cineasten-Gott – am kommenden Samstag den Hauptpreis abräumen wird. Oder irgend einen Preis: das steinschleudernde Pubertär-Bärchen meinetwegen. Auch ich war erst zögerlich, mich diesem Film auszusetzen, das Thema ist halt ein schweres. Doch was der italienische Regisseur Gianfranco Rosi daraus macht, wie er die harte Realität des Geflüchteten-Szenarios und das Alltagsleben der Lampedusa-Bewohner spiegelt, es dabei auch noch schafft, das Herz (und Hirn) des Betrachters zu erobern: pfuh ... Respekt! Mein absoluter Gewinner. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit, auf baldiges Wiederlesen.

Aber halt, nicht so schnell: Die Berlinale-Saison 2016 geht langsam zuende, ich trete – nicht ohne Erleichterung – meinen Rückflug an. Zeit für ein Fazit soll aber schon sein, schließlich muss ich noch in Buchstabenform digitalisierte Prämien verleihen. Hey, ho, let's go: Da es sich erneut um ein Festival toller Frauen handelte (Meryl Streep, Emma Thompson, Julianne Moore, Sandrine Kiberlain, Greta Gerwig, Isabelle Huppert, Teyonah Parris, Jennifer Hudson, Julia Jentsch usw...), dürfen sich alle Genannten entweder das verständnisvolle Softie-Bärchen mit Vollbart und Haardutt aussuchen (trinkt gerne ein „Tannenzäpchen“, ist ein aufmerksamer Zuhörer und räumt obendrein die Spülmaschine aus), oder aber sie greifen zum muskelbepackten Macho-Grizzly mit Platin-veredeltem, ausfahrbarem „Grrr-Cock“.

Die Männer bekommen indes allesamt das massiv luftgepolsterte Latexbärenweibchen (im Falle Clooneys sogar mit Kanzlerinnen-Stimme: „Ja, das machen Sie gut, George. Sehr gut, sehr, sehr gut ...“) Und wo wir gerade so schön in Unkorrektheit schwelgen: Das abgemagerte Veganer-Bärli („Mein Pelz gehört mir!“) verleihe ich hiermit feierlich an den sehenswerten Wettbewerbsbeitrag „Quand on a 17 ans“ („Being 17“) vom französischen Altmeister André Techiné. Begründung der Jury: Mit der Köpfung des Hahns hat dieses filigrane Drama um die Seelenlandschaft und die changierende Beziehung zweier männlicher Jugendlicher an der Grenze zum Erwachsensein nicht nur auf subtile Weise eine Situation des rauen Emotionswechsel geschaffen, nein: Präzise, erfahren und schnell knickt er dem Federvieh den Kopf ab: größter Lacher auf der Berlinale! Obwohl: Als der Hauptdarsteller im ebenfalls französischen Wettbewerbsfilm „Les Nouvelles de la Planète Mars“ das kleine Schoßhündchen von der Brücke wirft – auch diese bärenstarke Szene hat eine lobende Erwähnung verdient.

Apropos Franzose: Der dicke Depardieu, immerhin mit zwei Filmen vertreten, erhält eine XXL-Dose mit feinstem russischem Wodka veredelte Bärenmarke. Ein automatisch zum Gruß aufziebharer „Heil Hitler!“-Braunbär geht an die (zumeist deutschen) Nebenfiguren des unfassbar steifdummen Dritte-Reich-Dramas „Alone in Berlin“ („Jeder stirbt für sich allein“ – nach Hans Fallada), bei dem die Drehbuchautoren (Dialogzitat: „Why are you crying?“ „Leave me alone!“) von mir zudem noch mit dem schwärzesten Lakritz-Gummibärchen aus der ganzen Packung ausgezeichnet werden – und ich hasse Lakritz! Den völlig durchgedrehten Kiffer-Koala lege ich sogar noch obendrauf, denn man muss sich das mal vorstellen: „Alone in Berlin“, eine Story über ziviles Ungehorsam während des Nazi-Regimes, located in Berlin, wurde von dem gebürtigen Schweizer Schauspieler Vincent Perez mit europäischer Besetzung gedreht: Emma Thompson (Britin), Brendan Gleeson (Ire), Daniel Brühl (Berliner). Und dann reden sie alle Englisch, versuchen dabei, einen deutschen Akzent hinzukriegen: Brühl fiel das wohl nicht schwer. Man sitzt da und denkt: Eine deutsche Synchronisation könnte jetzt von Vorteil sein. „Hällo, mein Fjührer!“ „Jess, mein Fjührer!“ … Viele deutsche Filmförderungsgelder landen in solchem Bullshit. Es ist traurig. Gleich kommt Anne Frank um die Ecke.
Aber ganz ruhig, Brauner: Bei Spike Lees leidenschaftlich übers Ziel hinausgeschossenem „Hip-Hop-Musical“, ich würde es eher eine „politische-anklagende Urban-Street-Farce“ nennen, da darf man das Institut für Bundesdeutsche Filmsynchronisation nicht beneiden. Denn in „Chi-Raq“, diesem lauten Appell gegen Bandenkriege in den afro-amerikanischen Vierteln der US-Großstädte (hier: Chicago), hat Lee tief in die griechische Mythologie gegriffen und die Sage von der weiblichen Aufständlerin Lysistrata in die Gegenwart versetzt. Inklusive des Kunstgriffes, dass die Charaktere die meiste Zeit in „rhymes“ kommunizieren, also im Hip-Hop-Slang. Ansteckender Film, wenn man sich darauf einlässt. Aber ich beneide keinen dieser Synchro-Typen, die bei der ersten Ansicht wohl gedacht haben müssen: „Ach, du meine Scheiße, wie können wir das bloß übersetzen?!“ Wahrscheinlich telefoniert der deutsche Filmverleiher jetzt schon in der Gegend herum, kontaktiert alle Deutsch-Rapper, die er kriegen kann („Hey, Sido.“ „Was geht?“ „Ich wollte gerne anfragen, ob Sie nicht ...“ „Nerv' misch nisch, ich fick grade!“). Mein bescheidener Vorschlag: Film so lassen! Alles untertiteln! Den Akteuren nicht „ihre Stimmen wegnehmen“! Und damit zitiere ich die Coen-Brüder, nur mal so am Rande. Also, der Gangsta-Reime grölende „Yo“-Bär“ geht an: Spike Lee! Peace & Love! Yeeeeeah!

So: Friede, Freude, Currywurst – habe ich jemanden vergessen? Natürlich, klar: David Bowie! Der Mann ist tot. Glenn Frey, Maurice White, Roger Willemsen – auch alle weg. Dieses Jahr hat echt doof angefangen. Aber Bowie … puh – das war schon ein Schlag. Früher mochte ich den gar nicht so. Bis meine geliebte Frau mich auf Kurs brachte (Frauen haben sowieso immer recht). Und jetzt gibt es keinen Bowie mehr. Aber wenn ich hier so durch Berlin latsche, dann – komisch – ist er in meinem Herzen mit dabei, überall denkt man: „Hier könnte damals Bowie an die Häuserwand gepinkelt haben.“ Daher verleihe ich den goldenen Fozzie-Baer des Berlinale-Jahres 2016 an keinen Geringeren als den „Thin White Duke“. Schließlich war er ja auch in der Muppets-Kinoproduktion „Labyrinth“ dabei. Einverstanden? Gut. Na dann: Thank you and good-bye.
 
19. Februar 2016, 00.40 Uhr
Andreas Dosch
 
 
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