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Diskussion um documenta 15
„Von Einschränkung der Kunstfreiheit sind BDS-Kritikerinnen betroffen“
„Kunstfreiheit am Limit?“ fragt die jüdische Gemeinde und lässt im Kontext der documenta 15 über Antisemitismus im Kunstbetrieb diskutieren.
Die documenta 15 dürfte hauptsächlich wegen ihres Antisemitismus-Eklats in Erinnerung bleiben. Die Ausstellung, die Sabine Schormann ihren Posten kostete, wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert: Insbesondere dem indonesischen Kuratorenteam ruangrupa wurde ein Boykott Israels sowie jüdischer Künstler im Antisemitismus-Kontext vorgeworfen, was sich nach der Eröffnung zu bestätigen schien. Schließlich hatte niemand von ruangrupa die antisemitische Bildsprache des Banners von Taring Padi erkannt, was die Antisemitismus-Debatte um die documenta noch befeuerte.
Ein Expertengremium fand im Nachgang deutliche Worte. Demnach sei das Krisenmanagement beziehungsweise der Umgang mit Antisemitismusvorwürfen sowie mit Antisemitismus „von Ignoranz, Verharmlosung und Abwehr geprägt“ gewesen. Der Vertrauensverlust in den Aufarbeitungswillen deutscher Kulturinstitutionen werde nur langfristig behoben werden können.
documenta 15: „Kunstfreiheit am Limit?“ fragt die jüdische Gemeinde
Die jüdische Gemeinde in Frankfurt ging die Causa nun ihrerseits an. „Kunstfreiheit am Limit?“ hieß es im Ignaz Bubis-Gemeindezentrum, wo nach Lehren aus der documenta 15 geforscht wurde. Es diskutierten Angela Dorn, Hessische Kunstministerin, Kunsthistorikerin Julia Voss und Stella Leder, Autorin und Dramaturgin. Durch den Abend führte Claudius Seidl von der FAZ. Vorab fand Vorstand Marc Grünbaum einleitende Worte. Mit dem Abend wolle man nach vorne blicken, dennoch bleibe „eine tiefgreifende Verletzung aus jüdischer Sicht“. Auch stelle sich die Frage, wie künftig mit antisemitischer Kunst umgegangen werde. Er wolle in keiner Gesellschaft leben, die Hass und Antisemitismus akzeptiere.
Die Debatte um Kunst- und Meinungsfreiheit müsse immer im Licht einer wehrhaften Demokratie geführt werden. Und zwar dahingehend, dass sich Hetze außerhalb demokratischer Strukturen bewege – was diskriminierende Kunst miteinbezieht. In diesem Kontext hält er es für richtig, dass die Stadt das Roger-Waters-Konzert abgesagt habe. Alles sei letztlich auch eine Frage der Haltung.
Absage des Roger-Waters-Konzerts in Frankfurt begrüßt
Nicht nur zurückblicken wollten auch die Diskutantinnen, schließlich sei längst besprochen, wer was falsch gemacht habe. Doch was könne man lernen aus dem documenta-Desaster? Angela Dorn sprach von Vertrauen, das wiederhergestellt werden müsse. Viele der gemachten Fehler seien „nicht zu entschuldigen“. Wichtig sei zukünftig, ein Expertengremium von außen zu installieren, das als Kontrollinstanz fungiere. Auch müssten die Rollen geschärft werden, wobei hier wohl entscheidend ist: Wer ist wann für was verantwortlich – und wer hat welche Handlungsoptionen? Es sei ein großer Auftrag, im Kulturbetrieb nach antisemitischen Stereotypen zu forschen.
Stella Leder betonte die Notwendigkeit der Prävention und eine Politisierung der Debatte. Insbesondere müssten antisemitische Strukturen stets mitgedacht werden: „Solche Leute haben der documenta gefehlt.“ Leute, die über BDS (Kampagne gegen Israel: „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, K.T.) sprechen und sich entsprechend auskennen. Eine Politisierung der Debatte forderte auch Julia Voss, zumal die documenta „medientechnisch als Verstärker“ gewirkt hätte und zwar dahingehend, Antisemitismus weiter zu verbreiten. „Was wäre, wenn antisemitismuskritische Perspektiven auf wichtigen Posten säßen?“
Antisemitismus historisch in der documenta angelegt
Weiter verwies sie auf die Vergangenheit der Kasseler Schau, die historisch bereits den Antisemitismus in sich trage. So sei documenta-Mitgründer Werner Haftmann nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern ab 1944 aktiv bei Kriegsverbrechen in Norditalien involviert gewesen, wie das Deutsche Historische Museum herausgefunden hat.
1955 wollte die Ausstellung bei ihrer Erstausgabe zwar eine radikale Abgrenzung vom Nationalsozialismus und eine Rehabilitierung der von Nazis diffamierten und verbotenen Kunstwerke – geschwiegen wurde jedoch über die eigene Vergangenheit. „Menschen, die ermordet worden waren - jüdische aber auch politische Künstlerinnen und Künstler - tauchten auf der documenta nicht auf“, erklärte Voss.
„Wie antisemitisch ist der Kunstbetrieb?“, wollte Claudius Seidl wissen. Leder sprach von der documenta als „kein Einzelfall“. In den Kulturbetrieben spiegelte sich gerade in Punkto BDS-Bewegung der Antisemitismus, wobei mit jener zu naiv umgegangen werde. Denn tatsächlich sei es so, dass BDS die „Räume verengt“ und zwar dahingehend, dass israelische Künstlerinnen nicht mehr eingeladen würden.
BDS verengt die Räume in den Kunstbetrieben
Dass Kunstinstitutionen BDS bzw. der Kampagne nahestehende Leute unterstützten, machte es für die kritischen Künstlerinnen um so problematischer. Nach dem Motto: „Ist mein Platz in einem Haus, wo Antisemiten eingeladen werden?“ Viele würden sich nicht mehr trauen, BDS etwa als antisemitisch zu bezeichnen. Andere wiederum würden Kritik an Israel als eine Art „Widerstandsgestus“ begreifen.
Kunstministerin Dorn bezeichnete die BDS-Bewegung als „groß in der Kunst- und Kulturszene“, was „in Teilen“ sehr gefährlich sei. Ein Problem sei, dass die „Aufarbeitung des Holocaust ins koloniale Erbe“ ziele. „Die postkolonialen Bewegungen arbeiten sich am Staat Israel ab. Aber es müssen beide Aufarbeitungen unabhängig voneinander stattfinden.“ Deutschland hätte hier eine „besondere Verantwortung“.
Zuschauer klagt Kunstministerin Dorn wegen des antisemitischen Banners auf documenta an
Leder verwies an dieser Stelle auf die Verantwortung der Politik. Aus dem Publikum war in Richtung Dorn die Anklage zu vernehmen, dass sie das antisemitische Banner von Taring Padi hätte hängen lassen sollen . Daraufhin Dorn: „Wer das Recht hatte, das Bild abzuhängen, war die Geschäftsführung. … Aber es hätte gar nicht hängen dürfen.“
„Kunstfreiheit kollidiert mit Menschenwürde. Und wir setzen uns für die Menschenwürde ein.“
Zukünftig müssten juristische Gutachten Kunstwerke beleuchten. Allerdings sei Kunst, solange sie das Strafrecht nicht berühre, geschützt. Dennoch sei in Sachen Diskriminierungsverbot die Geschäftsführung in der Pflicht gewesen. „Das ist ein Spannungsfeld.“
Auf Kunstfreiheit kam auch Leder zu sprechen. BDS sei mit ihrer Kampagne erfolgreich, entsprechend sitze man in Sachen ‚Einschränkung der Kunstfreiheit‘ einer „Geschichte“ auf. Einschränkungen gebe es in den Strukturen – doch davon seien die BDS-Kritikerinnen betroffen. Und dies, weil Kulturinstitutionen durch Initiativen unterstützt „BDS legitimiert haben“. Ein schöner Schlusssatz kam von Voss: „Kunstfreiheit kollidiert mit Menschenwürde. Und wir setzen uns für die Menschenwürde ein.“
Ein Expertengremium fand im Nachgang deutliche Worte. Demnach sei das Krisenmanagement beziehungsweise der Umgang mit Antisemitismusvorwürfen sowie mit Antisemitismus „von Ignoranz, Verharmlosung und Abwehr geprägt“ gewesen. Der Vertrauensverlust in den Aufarbeitungswillen deutscher Kulturinstitutionen werde nur langfristig behoben werden können.
documenta 15: „Kunstfreiheit am Limit?“ fragt die jüdische Gemeinde
Die jüdische Gemeinde in Frankfurt ging die Causa nun ihrerseits an. „Kunstfreiheit am Limit?“ hieß es im Ignaz Bubis-Gemeindezentrum, wo nach Lehren aus der documenta 15 geforscht wurde. Es diskutierten Angela Dorn, Hessische Kunstministerin, Kunsthistorikerin Julia Voss und Stella Leder, Autorin und Dramaturgin. Durch den Abend führte Claudius Seidl von der FAZ. Vorab fand Vorstand Marc Grünbaum einleitende Worte. Mit dem Abend wolle man nach vorne blicken, dennoch bleibe „eine tiefgreifende Verletzung aus jüdischer Sicht“. Auch stelle sich die Frage, wie künftig mit antisemitischer Kunst umgegangen werde. Er wolle in keiner Gesellschaft leben, die Hass und Antisemitismus akzeptiere.
Die Debatte um Kunst- und Meinungsfreiheit müsse immer im Licht einer wehrhaften Demokratie geführt werden. Und zwar dahingehend, dass sich Hetze außerhalb demokratischer Strukturen bewege – was diskriminierende Kunst miteinbezieht. In diesem Kontext hält er es für richtig, dass die Stadt das Roger-Waters-Konzert abgesagt habe. Alles sei letztlich auch eine Frage der Haltung.
Absage des Roger-Waters-Konzerts in Frankfurt begrüßt
Nicht nur zurückblicken wollten auch die Diskutantinnen, schließlich sei längst besprochen, wer was falsch gemacht habe. Doch was könne man lernen aus dem documenta-Desaster? Angela Dorn sprach von Vertrauen, das wiederhergestellt werden müsse. Viele der gemachten Fehler seien „nicht zu entschuldigen“. Wichtig sei zukünftig, ein Expertengremium von außen zu installieren, das als Kontrollinstanz fungiere. Auch müssten die Rollen geschärft werden, wobei hier wohl entscheidend ist: Wer ist wann für was verantwortlich – und wer hat welche Handlungsoptionen? Es sei ein großer Auftrag, im Kulturbetrieb nach antisemitischen Stereotypen zu forschen.
Stella Leder betonte die Notwendigkeit der Prävention und eine Politisierung der Debatte. Insbesondere müssten antisemitische Strukturen stets mitgedacht werden: „Solche Leute haben der documenta gefehlt.“ Leute, die über BDS (Kampagne gegen Israel: „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, K.T.) sprechen und sich entsprechend auskennen. Eine Politisierung der Debatte forderte auch Julia Voss, zumal die documenta „medientechnisch als Verstärker“ gewirkt hätte und zwar dahingehend, Antisemitismus weiter zu verbreiten. „Was wäre, wenn antisemitismuskritische Perspektiven auf wichtigen Posten säßen?“
Antisemitismus historisch in der documenta angelegt
Weiter verwies sie auf die Vergangenheit der Kasseler Schau, die historisch bereits den Antisemitismus in sich trage. So sei documenta-Mitgründer Werner Haftmann nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern ab 1944 aktiv bei Kriegsverbrechen in Norditalien involviert gewesen, wie das Deutsche Historische Museum herausgefunden hat.
1955 wollte die Ausstellung bei ihrer Erstausgabe zwar eine radikale Abgrenzung vom Nationalsozialismus und eine Rehabilitierung der von Nazis diffamierten und verbotenen Kunstwerke – geschwiegen wurde jedoch über die eigene Vergangenheit. „Menschen, die ermordet worden waren - jüdische aber auch politische Künstlerinnen und Künstler - tauchten auf der documenta nicht auf“, erklärte Voss.
„Wie antisemitisch ist der Kunstbetrieb?“, wollte Claudius Seidl wissen. Leder sprach von der documenta als „kein Einzelfall“. In den Kulturbetrieben spiegelte sich gerade in Punkto BDS-Bewegung der Antisemitismus, wobei mit jener zu naiv umgegangen werde. Denn tatsächlich sei es so, dass BDS die „Räume verengt“ und zwar dahingehend, dass israelische Künstlerinnen nicht mehr eingeladen würden.
BDS verengt die Räume in den Kunstbetrieben
Dass Kunstinstitutionen BDS bzw. der Kampagne nahestehende Leute unterstützten, machte es für die kritischen Künstlerinnen um so problematischer. Nach dem Motto: „Ist mein Platz in einem Haus, wo Antisemiten eingeladen werden?“ Viele würden sich nicht mehr trauen, BDS etwa als antisemitisch zu bezeichnen. Andere wiederum würden Kritik an Israel als eine Art „Widerstandsgestus“ begreifen.
Kunstministerin Dorn bezeichnete die BDS-Bewegung als „groß in der Kunst- und Kulturszene“, was „in Teilen“ sehr gefährlich sei. Ein Problem sei, dass die „Aufarbeitung des Holocaust ins koloniale Erbe“ ziele. „Die postkolonialen Bewegungen arbeiten sich am Staat Israel ab. Aber es müssen beide Aufarbeitungen unabhängig voneinander stattfinden.“ Deutschland hätte hier eine „besondere Verantwortung“.
Zuschauer klagt Kunstministerin Dorn wegen des antisemitischen Banners auf documenta an
Leder verwies an dieser Stelle auf die Verantwortung der Politik. Aus dem Publikum war in Richtung Dorn die Anklage zu vernehmen, dass sie das antisemitische Banner von Taring Padi hätte hängen lassen sollen . Daraufhin Dorn: „Wer das Recht hatte, das Bild abzuhängen, war die Geschäftsführung. … Aber es hätte gar nicht hängen dürfen.“
„Kunstfreiheit kollidiert mit Menschenwürde. Und wir setzen uns für die Menschenwürde ein.“
Zukünftig müssten juristische Gutachten Kunstwerke beleuchten. Allerdings sei Kunst, solange sie das Strafrecht nicht berühre, geschützt. Dennoch sei in Sachen Diskriminierungsverbot die Geschäftsführung in der Pflicht gewesen. „Das ist ein Spannungsfeld.“
Auf Kunstfreiheit kam auch Leder zu sprechen. BDS sei mit ihrer Kampagne erfolgreich, entsprechend sitze man in Sachen ‚Einschränkung der Kunstfreiheit‘ einer „Geschichte“ auf. Einschränkungen gebe es in den Strukturen – doch davon seien die BDS-Kritikerinnen betroffen. Und dies, weil Kulturinstitutionen durch Initiativen unterstützt „BDS legitimiert haben“. Ein schöner Schlusssatz kam von Voss: „Kunstfreiheit kollidiert mit Menschenwürde. Und wir setzen uns für die Menschenwürde ein.“
30. März 2023, 13.04 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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