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Der Mann vom Mars

Frankfurter kennen Bertil Mark als Schlagzeuger von Fruit. Mit „Insight Outside“ hat er jetzt ein earBOOK veröffentlicht – mit Musik und Bildern. Hier nun unser Interview zum Feature in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT.
Journal Frankfurt: Es war sicherlich nicht interessant, einmal nur ein „normales“ Album zu machen – so nach dem Motto der Schlagzeuger und Sideman emanzipiert sich? Wie kam es zu Deinem earBOOK?
Bertil Mark: 2003, auf einer Reise durch Japan, habe ich mir gedacht, ich muss unbedingt Fotos machen, wer weiß wie oft ich da überhaupt hinkomme. Ich hatte eine kleine Digitalkamera vom letzten Geld, das ich hatte, gekauft und mitgenommen und angefangen Fotos zu machen, Schnappschüsse. Dann gab es ein Bild aus der U-Bahn – ein Mädchen saß auf der anderen Seite des Bahnsteigs, dann fuhr die U-Bahn ein und ich habe eine Serie geschossen. Da war ein Bild dabei, durch die Fenster hindurch... Danach habe ich angefangen, bewusster Fotos zu machen. Weil ich ja immer im Innenkreis dieser Tourneen unterwegs habe, habe ich die Welt immer nur als Arbeiter gesehen. Ich war immer in einer Blase unterwegs, ein sehr behütetes Reisen, habe aber trotzdem auch Stimmungen aus dem Land mitgenommen, weil ich ja auch immer mit Leuten aus dem Land gearbeitet habe. So habe ich die Länder anders kennen gelernt als ein Pauschal- oder Rucksacktourist indem ich aus diesem Innenkreis heraus dann Fotos nach draußen gemacht habe. Auch dadurch, dass ich immer die Perspektive wechsele, mal als Lichtdesigner, mal als Musiker, unterwegs bin, ergaben sich unterschiedliche Sihtweisen. Als Musiker hat man ja definitiv viel mehr Zeit, auch tagsüber mal rumzuschauen. Aber ich habe dann auch konsequent jeden Off day, wenn ich das körperlich geschafft habe, genutzt, um zu erkunden wo ich gerade war.
Da war´s aber noch ein langer Weg bis zur Veröffentlichung jetzt...
Ich wollte tatsächlich dieses Bilderbuch nur für Freunde machen, meine Eltern, meinen Bruder, die Kinder. Dann dachte ich es wäre doch lustig ich mache noch einen Soundtrack zu den Bildern. Da hatte ich noch gar nicht die Idee das zu veröffentlichen. Das war eher eine schöne Fügung. Eine gute Freundin hat den Kontakt gemacht zu den earBOOKS, die fanden das klasse und das war dann der Startschuss im April letzten Jahres. Da habe ich dann Gas gegeben, zwischendurch war ich immer auf Tourneen. Manches von der Musik wurde in Umkleidekabinen aufgenommen, einige Bläser in Wien, im Nightliner den Sänger von der Vorband. Und so ging es immer weiter und weiter. Das war zufällig, dass so ein großes Projekt daraus wurde. Alles parallel zu den Tourneen, denn ich hatte keinen Zeitdruck. Die Musik ist so bunt geworden wie die Bilder. So bin ich halt.
Du hast den beiden CDs unterschiedliche Titel gegeben: Insight und Outside, die Innensicht, das Draußen, introvertiert/extrovertiert – all die widersprüchlichen Pärchen. Hast Du die Songs nach Inhalten/Stimmungen zugeordnet?
Nach Stimmungen. Sie sind ja alle hoffnungsvoll, auch wenn der Ausgangspunkt nicht immer so ist. Die eine Seite ist eher etwas melancholischer, hat eine andere Tiefe. Outside, da ist alles ein bisschen schwerer, Insight ist ein bisschen flaffiger, auch augenzwinkernder.
Wenn man beide CDs so auf sicher wirken lässt, kommt einem ein Begriff in den Sinn, der vielleicht furchtbar klingt: undogmatisch. Hier ist keiner, der sich über ein bestimmtes musikalisches Genre definiert oder sagt, ich stelle mich als Instrumentalist vor oder ich, der Drummer, bin jetzt auch die Frontsau und singe... Das schien bei Dir alles gar nicht wichtig?
Nein, gar nicht, Wir haben ja damals, als wir vor 12 Jahren auf den Mars gezogen sind, auch zwei Compilations gemacht, Leute eingeladen, die mit mir dann Musik gemacht haben. Ich weiß nicht, ob Du Stimmen diesmal alle erkannt hast: Gentleman und Thomas, da sind die Stücke, die noch am nächsten dran an dem, was sie sonst machen, aber bei allen anderen habe ich ein andere Facette aufgezeigt. Es sind Stücke geworden, die sie sonst so nicht machen würden, auf jeden Fall.
Bei allem fehlenden Dogmatismus, hat das Album doch eine Botschaft – die Mars-Message.
Die hat mich ja auch geprägt.
Wie würdest Du die heute, mit ein wenig Abstand, formulieren...? Der erste Text zum Mars, eurer Künstlerkolonie in der Eifel, damals las sich schon sehr philosophisch.
Damals hätte ich das noch gar nicht so formulieren können – aber diese Innensicht und das Draußen, das ist es was passiert. Die Welt verändert sich die ganze Zeit, am besten man verändert sich mit und fängst dabei an, immer mehr zu sortieren, was man wirklich nicht in der Gesellschaft braucht. Ich versuche nach wie vor, Leute positiv zu inspirieren, hey, ich hab was gefunden, das kannst du doch auch was finden... Ich möchte nicht gegen etwas sein, ich möchte lieber gerne für etwas eintreten – das ist mir wichtig. Dieser harmonische Revolutionsgedanke, der ist ganz klar auch in dieser Musik verankert. Schön auch bei dem Stück von Clueso zu sehen. Sehr viele Texte greifen das Thema auf, alle aus anderen Perspektiven, aber man merkt, die Leute fangen an, machen dabei noch ein Stück mehr auf. Mein Arbeitstitel war „Taschenrechner“ und dann schreibt Clueso einen kritischen Text über das Internet und den Wahnsinn darin...
War das eine wesentlich Erfahrung bei der Produktion: die Bereitschaft der Künstler zu erleben, die Sicherheit ihres gefundenen Stils aufzugeben, bewusst das Risiko eingehen, anderes auszuprobieren und das in einer fast spielerischen Atmosphäre?
Clueso sagte, als es fertig war, das war total frei. Ich hab den Jungs immer verschiedene Layouts geschickt, sie haben sich was ausgesucht und in der Nacht war´s meist schon fertig. Als ich ihn das nächste Mal getroffen habe, hat er gesagt – das war so super, an diesem Song zu arbeiten, denn bei Bertil macht man sich keine Gedanken... Man fließt einfach. Wenn ich mit jemand Anderen etwas mache, müsste ich wieder dieses Hip-Hop-Ding bedienen, bei Bertil, das ist alles frei, man macht einfach... Das war mit Jan von Selig genauso – das Stück ist zuhause bei ihm im Wohnzimmer auf ner Matraze entstanden bevor wir am nächsten Morgen zu einem Konzert gefahren sind. Alles Momentaufnahmen. Und das passt auch zu den Bildern. Denn so mache ich auch Fotos. Der Peter von den „Sportis“, der kam um 18 Uhr an auf dem Mars. Um 2 Uhr nachts war das ganze Ding fertig.
Also ein echtes „Luxusprojekt“...
Mir war auch klar, wenn ich irgendwann mal so was wie eine Solo-CD mache, dass das nicht bei normalen Plattenfirmen stattfinden kann. Denn ich finde nicht in Charts statt. Das ist nicht meine Welt. Hier haben wir es tatsächlich geschafft, dass für jedes verkaufte Exemplar ein Baum gepflanzt wird – das ist meine Währung.
Das earBOOK wird es auch nur ganz romantisch als Gesamtkunstwerk geben – nicht als Downloads, Buch und Musik in einem als Doppel-CD.
Bei vielen Kollegen wäre es „nur“ ein Namedropping, wer da alles dabei ist, u.a. nämlich Thomas D., Peter von den Sportfreunden Stiller, Jan Plewka von Selig, Gentleman, Urlaub in Polen und Imani Coppola. Bei Dir scheint das vollkommen egal – big names neben no names, es geht um die Menschen und die Kommunikation...
Ganz wichtig – ich umgebe mich mit Menschen, die ganze Zeit, seitdem ich 15 bin. Da war ich das erste Mal auf Tour, da ging es ja los. Mit 18 bin ich dann in diesen Zirkus rein geraten und habe wirklich das Glück gehabt, immer nur gute Menschen kennen gelernt zu haben, mit denen ich auf Tour sein durfte, jetzt gerade erst mit Bonaparte, ein Riesenkollektiv, mehr Zirkus als alles andere, großartig, denn da kommen auch verschiedene Nationalitäten kommen zusammen. Melody Gardot , das ist auch abgefahren, wenn auch auf einem ganz anderen Level. Menschen aus alle Welt kommen zusammen, arbeiten zusammen, an einem Ding, ergänzen sich, ein Beweis dafür, dass wir alle eins sind, auch wenn wir andere Herkunftsländer haben – das ist mir ganz wichtig. Ich genieße das, bin fleißig und versuche das auch weiter zu führen.
Wir müssen natürlich auf Frankfurt kommen...
Ich habe nie hier gewohnt, da ich ja in Bingen am Rhein aufgewachsen bin, hatte ich noch ein Zimmerchen bei meinen Eltern und bin immer hin und her gefahren. Vor Fruit war mein erster Bezug zu Frankfurt die ersten Konzertbesuche in der Batschkapp. 1997 fing das mit der Band an, das ging bis 2000. Wir haben das nicht weiter führen können, dann bin ich auf den Mars gezogen Ende ’99. Ich fand die Demos der Band damals super, denn das war genau mein Ding, die Kombination, Rock, Atmosphäre, Elektronik, TripHop, sehr, sehr spannend, sehr innovativ für die Zeit...
... und das – um es mal festzuhalten – aus Frankfurt...!
Die Platte höre ich immer noch gerne, sie klingt auch phantastisch, das ganze Herzblut, was wir da rein gesteckt haben, hat sich auf alle Fälle gelohnt. Dann war ich auf einmal hier...
Wie hast Du Frankfurt damals wahrgenommen?
Ich habe gelernt, dass jede Stadt, die noch so hässlich scheint und stressig ist, durch die Menschen, die Du kennen lernst und durch das Umfeld, in dem du dich bewegst, komplett verändern kann. Und so war das auch damals, es war ein großartiges, kreatives Umfeld mit Catenia, der Sängerin und Frank, dem Gitarristen. Und ich habe mich da gut wohl gefühlt. Ich habe Frankfurt von einer anderen Seite kennen gelernt. Was nach wie vor angehalten hat. Weil auch andere Menschen immer dazu gekommen sind. Jetzt gerade erlebe ich in Frankfurt eine Renaissance für mich – durch neue Künstlerfreunde, durch die ich wieder neues Aspektew sehen kann.
Und da sind wir wieder beim Undogmatischen zurück – Chanty auf der einen Seite und Wollny auf der anderen, die Sängerin der Teenie-Girl Group Fräulein Wunder und der Avantgarde-Jazz-Pianist auf dem selben Album und auch Augenhöhe – das finde ich schon klasse....
Einer anderer Frankfurter ist auch noch auf der Platte, der lebt in Offenbach und kommt auch aus Bingen: Holger Düchting (Chamber). Wollny haben wir hier in seinem Kämmerchen aufgenommen. Und da ja der Computer ein Hauptinstrument von mir war, habe ich auch vieles, was ich von anderen Musikern mal aufgenommen habe, da mit reingebastelt. Da haben ganz viele Musiker miteinander Musik gemacht, die sich gar nicht kennen.
Trotzdem wirkt das organischer als die meisten Platten mit Samples und vergleichbarere Ästhetik...
Das war ja auch schon immer live auf der Bühne mein Bestreben – organische Elektronik. Und das ist mir gelungen. Auch das Imperfekte – manchmal habe ich nur mit dem Laptop aufgenommen, auch Laptop-Mikrophon benutzt, weil ich nichts anderes hatte.
Du bist durch Deinen Bruder zur Tontechnik gekommen...
Ich hab da früh angefangen, mit 15, Licht zu machen – das hat mich sehr fasziniert. Bin dann auch früh raus gekommen aus Bingen. Mit Wolf Maahn, Fettes Brot, 5 Sterne de Luxe.
Noch mal zur Bandbreite – wie kommt´s auf der einen Seite zur Zusammenarbeit mit unserem Fräuleinwunder, andererseits mit Wollny? Wie geht das?
Michael hat auf ein paar Stücken mitgespielt, wo er nicht erwähnt ist, das war ein sehr schönes Zusammentreffen, auch durch Vivien, die Freundin, die uns damals bekannt gemacht. Ich arbeite auch mit der Band The Notwist, mache da Licht, und Michael suchte einen Produzent für sein letzte Platte und hatte sich vorgestellt, dass das der Bassist Micha Archer sein könnte. Und das waren die beiden in Berlin im Konzert und da habe ich sie kennen gelernt. Wir blieben dann in Kontakt, haben uns befreundet und ich habe ihn dann gefragt und er hat gesagt, klar, ich hab Lust auf alles. Und so bin ich dann auch zu ihm nach Frankfurt gefahren. Ich hatte ein paar Liedern mitgenommen, er hat sie sich angehört und ist abgegangen – das war sehr beeindruckend, wir er angefangen hat zum improvisieren. Shanty haben ich auch auf Tour kennen gelernt, ihr gesagt, komm doch mal mit auf den Mars, einen Nachmittag, einen Abend, wo die Musik aus uns heraus geflossen ist.
Also keine Hemmungen, keine Skrupel, keine Berührungsängste nach dem Motto, die bewegen sich auf einem anderen Feld, da gehöre ich nicht hin, das könnte jetzt komisch kommen, wenn ich mit dem was mache?
Ich bin nicht nur das einer oder das andere, ich bin alles. Wenn ich eine normale Platte gemacht hätte, wäre das sicher sehr schwer. Leute würden das vielleicht gut finden, könnten es aber dann nicht zuordnen und dadurch würde ich mit der Musik dann nirgendwo stattfinden. Ich gehöre zu keiner Szene, ich bin mit allen unterwegs. Aber die Beschränkung, die sich auch jeder Künstler auferlegt, ist ja auch wichtig. Bei mir gab’s aber keine Vorgaben.
 
11. Mai 2011, 08.45 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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