Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Der Darm macht mobil

darm4

„Hast du Lust durch einen Darm zu laufen?“, fragt mich mein Chef. Fragend sehe ich ihn an. Ist das eine Funfrage? Nein, er meint das ganz ernst. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) habe heute ein begehbares Darmmodell namens „Faszination Darm“ am Hauptbahnhof ausgestellt, um für eine Vorsorgeuntersuchung zu werben. Die KV wirbt damit als 20 Meter langes Eventtool und als Europas größtes Darmmodell.

Etwas skeptisch mache ich mich auf den Weg. Ob es mich dazu bringen wird, meinen Darm spiegeln zu lassen, nur weil ich mir diesen jetzt vielleicht aus zu nächster Nähe ansehen kann? Man wird sehen.

Ich trete in den Bahnhof und da ist er: Rosa, fleischig und rund. Stolze 20 Meter ist er lang, nur 12 Meter mehr als der echte Darm eines Erwachsenen. Ganz schön lang. Ich trete durch den runden Eingang und kann es nicht leugnen. Blendet man die Plastikhaut und die anderen Besucher aus, fühlt es sich wirklich an. Als würde ich eine Reise in sein Inneres unternehmen.

darm1
Links: gesunder Darm. Rechts: von Morbus Crohn entzündeter Darm.

Einzelne Schilder hängen an der Wand. Das erste beschreibt die Fakten: Der Darm sei Teil unserer Intuition, ein Zweithirn, dass über Nervenzellen Angst, Stress und Nervosität aufnimmt. Dass man in schlimmen Situationen Bauchweh kriegt, ist also kein Wunder.

Seine Oberfläche sei 400 bis 500 Quadratmeter groß. Das entspreche ungefähr der Grundfläche von fünf geräumigen 3-Zimmer-Wohnungen. Ich greife mir an den Bauch. So etwas riesiges soll in mir drinnen sein? Dann sehe ich nach oben: Nun ja, riesig hat hier eine andere Dimension.
Der Darm ist in drei Ampelfarben eingeteilt. Ich befinde mich im grünen Bereich, hier ist alles noch okay. Ein paar Schritte weiter lande ich bei Orange. Hier wird es schon etwas bedrückender. Kleine Geschwüre, Polypen, kommen aus den Wänden raus. Ein dunkler Ausschlag legt sich über das rosa Fleisch. Es handelt sich dabei um eine akute Entzündung namens Morbus Crohn, mit ihr steigt das Risiko für Darmkrebs. Das habe ich jetzt schon mal gelernt.

darm2
So sieht ein Karzinom in groß aus.

Inzwischen sehe ich den Eingang nicht mehr, ich bin im wahrsten Sinne des Wortes mitten drin.
Ich laufe weiter in den roten Bereich. Und da ist er: Ein riesiger, klumpiger Tumor. Die Pest des 21. Jahrhunderts. 73 000 Menschen im Jahr erkranken an Darmkrebs, 28 000 von ihnen überleben ihn nicht. Jetzt fühlt es sich nicht mehr bedrückend an, ich empfinde die pure Abscheu. Der kleine Polyp am Anfang des Darms ist zu einem riesigen Geschwür gewachsen, das in den Gang hinein ragt. Auf dem Schild daneben steht: „Auch er war vor Jahren einmal ein gutartiger Polyp. Wäre er damals bei einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt und entfernt worden, wäre daraus kein Krebs entstanden.“ Die harte Realität.

darm5

Spätestens an diesem Punkt werden diejenigen, die sich das alles noch mit Humor angesehen haben, schlucken müssen. Ich denke die KV hat ihren gewünschten Effekt erzielt. Die Entwicklung ist sehr anschaulich, auch für jemanden, der keine Medizin studiert. Das letzte Schild hat die Überschrift: „Darmkrebs ist erblich“. Wieder ein Schlucken. Es ist ein Selbstabfragetest mit drei Fragen um herauszufinden, wie gefährdet man ist. Verspüre ich da etwa ein wenig Angst? Wenn ja, dann tut das auch mein Darm. Alle drei drehen sich darum, ob Darm-, Magen-, oder Gebärmutterkrebs schon mal in der Familie aufgetreten sind. Ich kann alle drei verneinen und ja, ich bin erleichtert. Doch so ganz ist das Unwohlsein nicht weg.

darm3

Ich trete aus dem Darm hinaus und beobachte eine Frau, die unschlüssig vor dem Eingang steht. Nach ein paar neugierigen Blicken wendet sie sich ab und geht. So manch einer will sich mit so etwas nicht konfrontieren. Ich laufe zurück in die Redaktion und verdränge das gesehene ziemlich schnell. Irgendwie verspüre ich das Bedürfnis, meine Eltern anzurufen und sie zu fragen, ob sie schon mal eine Darmspiegelung gemacht haben. Und damit wäre dann auch meine Frage zu Beginn beantwortet: Man muss sogar manchmal Dinge aus allernächster Nähe sehen, um sie wirklich ernst zu nehmen.
 
25. Februar 2009, 19.00 Uhr
Melina Kalfelis
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Schreibzimmer 2024
Alle Schreibwerkzeuge parat
Im September und Oktober findet im Jungen Literaturhaus Frankfurt wieder die Schreibwerkstatt mit zwei Autorinnen statt. Noch bis zum 2. Juni können sich interessierte Jugendliche bewerben.
Text: Lisa Veitenhansl / Foto: © Esra Klein
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
5. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Moving Targets
    Ponyhof | 19.00 Uhr
  • Pvris
    Zoom | 20.00 Uhr
  • Vierfarben Saxophon, Saxopon hochzwei und Tobias Rüger
    St. Bonifatius | 17.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Welcome
    Bockenheimer Depot | 16.00 Uhr
  • Female Guitar
    Festeburgkirche | 19.30 Uhr
  • GRLPWR vol.2
    Orangerie im Günthersburgpark | 18.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Ursula März
    Haus am Dom | 11.00 Uhr
  • Licht aus, Messer raus
    Stadttheater | 17.00 Uhr
  • Der kleine Horrorladen
    Staatstheater Mainz | 18.00 Uhr
Kunst
  • Ausgeschlossen
    Archäologisches Museum Frankfurt | 10.00 Uhr
  • Milli Bau. 5000 km bis Paris
    Kunstforum der TU Darmstadt | 13.00 Uhr
  • Christelle Oyiri
    Zollamt MMK | 11.00 Uhr
Kinder
  • Opernkarussell
    Neue Kaiser | 14.00 Uhr
  • Rückwärts
    Theaterhaus | 11.00 Uhr
  • +family MitMachKonzert – für kleine und große Ohren
    Orangerie im Günthersburgpark | 11.00 Uhr
und sonst
  • Frankfurter Automobilausstellung
    Klassikstadt | 10.00 Uhr
  • SV Wehen Wiesbaden – Holstein Kiel
    Brita-Arena | 13.30 Uhr
  • Pflanzenmarkt
    Freilichtmuseum Hessenpark | 09.00 Uhr
Freie Stellen