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Denn wovon lebt der Mensch?

Das 2. Brotfabrik-Festival der vielen Facetten

Ein mutiges Unterfangen, ganz sicher: Das 2. Brotfabrik Festivals war erstmals fünf Tage lang – inklusive und neu im Programm Filmvorführung und Matinee. Und die Ankündigung von Markus Gardian, dem Programmverantwortlichen, konzentriert neue, auch weniger bekannte, aber immer interessante Musiker und Bands vorzustellen, wurde problemlos eingelöst. Künstlerisch ein voller Erfolg, kommerziell hätte man sich noch mehr Zuspruch gewünscht. Denn nur der Abschlussabend mit Songs of Spices (da stand auch Quadro Nuevo auf der Poster, denn das ist ein Sideproject des Saxophonisten der erfolgreichen deutschen Band) war restlos ausverkauft („Tolle Stimmung und ein total angenehme Atmosphäre“, schwärmte Conny Wynen von der Brotfabrik danach), bei den anderen Konzerten gab’s immer – leider – genug freie Plätze. Warum, darüber kann nur gemutmaßt werden... Zu spezielles Programm (eigentlich nicht), zu wenig Werbung (ganz sicher nicht). Zu wenig Wahrnehmung in den hiesigen Medien (ganz sicher, was die Tageszeitungen betrifft, die waren etwas schneubig). Ganz sicher nicht zuträglich war, dass noch Semesterferien waren. Denn gerade und besonders die Hochschule für Musik hat unter den Studenten sicherlich ein an so einem Festival mit Schwerpunkt Jazz und Ethno interessiertes Publikum.



Das erste Highlight gleich am Eröffnungsabend: Fragile, das Frankfurter Duo Petra Woisetschläger (Gesang, Piano) und Udo Betz (Kontrabass), hatte als fast Heinz Sauer mit auf der Bühne. Selten genug, dass Sauer mit einer Vokalistin spielt, konnte man gespannt sein, wie die Fragile-Eigenkompositionen und ausgesuchten Coverversionen funktionieren würde. Auf eines muss man – auch als Mitmusiker – immer gefasst sein: dass der Saxophonist bei Auftritt nicht zwingend das spielt, was er bei der Probe oder dem Soundcheck gespielt hat. Hier bedeutete das ganz konkret, dass der Starsolist recht zurückhaltend agierte, dem Gesang den nötigen Raum ließ, aber dann doch immer mal wieder mit überraschenden wie grandiosen Einwürfen überzeugte, so auch beim Nine Inch Nails-Klassiker „Hurt“ frei nach der Interpretationen von Johnny Cash. Da schon emotional tief und schwer, traf unser Trio den Ton ebenfalls und sorgte da für Gänsehaut. Ganz anders danach Lee Konitz & Minsarah. Minsarah spielten – anders, als wenn sie auf eigenen rechnung auftreten – weit weniger innovativ als gewohnt, ordneten sich irgendwie dem Star in ihren Reihen unter, der – ist er unantastbar, weil er (mit 21) bei der Geburt des Cool Jazz dabei war? – irgendwie sehr traditionell und eher unspannend blieb. Lustige Geschichte am Rande. Konitz (Jahrgang 1927), der auch mal mit Posaunen-Legende Albert Mangelsdorff spielte, wusste nicht, dass am gleichen Abend auch Heinz Sauer (Jahrgang 1932) auftreten würde, nörgelte und frotzelte Backstage herum („Der muss doch schon Neunzig sein....“ ...und das als der Ältere) während Sauer Kommentare losließ, die hier besser nicht wieder gegeben werden. Jedenfalls gingen sich die Beiden eher aus dem Weg. Punktsieger war allemal Heinz Sauer, nicht nur wegen der hipperen Klamotten, sondern auch des spezifischeren Tons...



Der zweite, frankophile Abend. Mit dem guten Emile Parisien Quartet und dem noch besseren Andy Emler MegaOctet, die erste Entdeckung des Festivals. Mit eienr Armada an Blasinstrumenten spielen sie „Living European music of the early 21stcentury“ zwischen Avantgarde und anspruchvoller Unterhaltung, streifen dabei Jazz, Rock, E- und Weltmusik. Sie werden sicher wieder gebucht werden. Der dritte Abend. Rockt der Balkan noch? Das bulgarische Duo Martin Lubenov & Vladimir Karparov schon, obwohl nur mit Akkordeon und Saxophonen auf der Bühne. Allerdings spielten die Jungs sich teilweise in einen Geschwindigkeitsrausch, dass es dann mehr um Virtuosität denn Emotionen ging. Trotz retten die Zwei letztlich später am Abend noch den Auftritt von Ljiljana Buttler. Die war fuß-, aber auch auch ein wenig halskrank in die Brotfabrik gekommen. Dank Piano als Basisinstrument hätte ihre Variante, zumal mit ihrer tiefen, fast männlichen Stimme, ein ganz besondere Note in den Balkan-Kanon gebracht. So konnte man nur Mitgefühl aufbringen mit den sympathischen älteren Dame, die fast unbeweglich am Tischchen saß und das Feld dann ihrem Neffen als Sänger überließ, der eher aus dem Unterhaltungsfach kam, aber für Stimmung sorgte.



Der unerwartete Höhepunkt – auch für Conny Wynen von der Brotfabrik und auch einige Profi-Konzertgänger – war der Act der Matinee am Sonntag. Daniel Kahn & The Painted Bird . Um 4 Uhr morgens vom Konzert des Vortages erst angereist, machten die Musiker keinen Hehl daraus, dass das nicht ihre Lieblingsuhrzeit für einen Auftritt ist. Aber dann legten Bandleader und Multiinstrumetalist Daniel Kahn (Akkordeon, Flügel, E-Gitarre, Banjo, Zigarettenkistenukulele, Gesang), Zoe Christiansen (Klarinette), Michael Tuttle (Kontrabass) und Hampus Melin (Schlagzeug plus Speiseölblechkanister und Bratpfanne) einen furiosen Auftritt hin, entpuppten sich als wunderbaren Geschichtenerzähler (Politik und Poesie) als Meister des „Verfremdungsklezmers“.



Wohl dem, der wie Kahn in Detroit („Die Avantgarde de Finanzkrise – und jetzt spielen wir für Westerwelle den „Arbeitslosenmarsch“, so einer der pointierten Ansagen Kahns auf Deutsch – schließlich ist er Wahl-Berliner) geboren und aufgewachsen ist, nah an der Tradition jiddischer Musik, aber auch weit über den Tellerrand hinaus blickend. Eisler und Weill, somit auch Brecht, nicht zuletzt Tucholsky, haben seinen und den Charakter der Musik geprägt. Dann natürlich der Crossover solcher Bands wie Brave Old World, der Kampfgeist eines Woody Guthrie, der Folk-Punk der Pogues, die Theaternähe eines Tom Waits, der Soul einer Nina Simone, der Spirit eines Leonard Cohen, die Prägnanz eines Nick Cave. Kein Wunder, dass auch Begriffkombinationen wie Punk Cabaret oder Gothic American Folk fallen und live auch eingelöst werden. Partisanen und Parasiten 8so auch der aktuellen Albumtitel) sind Thema der Painted Birds und ihres geistvollen Entertainments voll sozialer Kompetenz und mit subversiver Kraft. Schunkeln für die Revolution zu halb jiddisch, halb englischen Texten. Und der selbstbewusste Sänger hat sogar die Chuzpe, Brechts „Denn wovon lebt der Mensch?“ („Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“) eine eigene, neue Strophe hinzufügen und die aktuelle amerikanischen Politik abzuwatschen (auch Obama stößt an seine Grenzen, wenn´s ums Soziale geht) und gleich noch einen Musikerwitz anzuschließen: „Sagt der Arzt zu einem Musiker, es tut mir leid Ihnen sagen zu müssen, sie haben nur noch drei Wochen zu leben... Sagt der Musiker: Und wovon soll ich in dieser Zeit leben?“. Diese Band werden wir wieder sehen. Hoffentlich bald.

Fotos: Detlef Kinsler
 
20. März 2010, 12.04 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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