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Mehr als wählen: Projekt DemokratieWagen
„Demokratie ist immer auch ein Wagnis“
Der Verein mehr als wählen will durch neue Formen der Bürgerbeteiligung Räume schaffen, in denen politische Partizipation greifbar wird. Nach dem Demokratiekonvent von 2019 startet nun das Projekt DemokratieWagen. Ein Gespräch mit Mitinitiator Dominik Herold.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Herold, Sie haben eine „Initiative für innovative Demokratie“ mitgegründet. Was darf man sich darunter vorstellen?
Dominik Herold: Wir verstehen Demokratie nicht nur als Regierungsweise oder Staatsform, sondern als Lebensform. Das bedeutet, dass es in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, wie Bildung, Kultur oder Wirtschaft, demokratische Verfahrensweisen geben muss. Dabei geht es uns zunächst um eine Gestaltbarkeit der Welt an sich. Also darum, dass Menschen darin bestärkt werden, ihre Gesellschaft mitgestalten zu können.
Nun ergibt sich die Mitgestaltbarkeit einer Gesellschaft unter anderem aus der Möglichkeit, wählen zu gehen. Sie sprechen jedoch bewusst von „mehr als wählen“ und wollen damit auch Nicht-Wähler*innen erreichen. Warum?
Ich glaube, dass viele Menschen nicht wählen, weil sie das Gefühl haben, ohnehin nichts ändern zu können. Die Politikerinnen und Politiker werden dann in der Wahrnehmung schnell zu „Schein-Repräsentanten“, die zu weit weg sind von den Bedürfnissen eines großen Teils der Bevölkerung. Viele fühlen sich nicht abgebildet. So verfestigt sich systematisch der Eindruck, dass die Gesellschaft schon immer so war und auch bleiben wird, wie sie derzeit erscheint. Dabei lässt sich ja durchaus empirisch aufzeigen, dass dem nicht so ist. Vor rund 100 Jahren hatten Frauen beispielsweise noch kein Wahlrecht. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass Frauen wählen dürfen. Wir möchten aufzeigen, dass Ordnungen sich verändern können und dass die Welt eben auch eine andere sein kann. Eine, die man selbst mit formt.
Das klingt ausgesprochen simpel. Aber ist dieses Mitgestalten nicht immer auch eine Frage von Privilegien?
Natürlich erleichtern Privilegien, Zeit und Ressourcen die Öffnung solcher demokratischen Räume. Menschen, die in Lohnarbeit stehen, können sich nicht tagtäglich damit beschäftigen, was Demokratie bedeutet und wie man diese weiterentwickeln kann. Das allein kann aber kein Argument sein, nicht parallel zu den Kämpfen für bessere Bezahlung, Bildungschancen oder Steuergerechtigkeit zu versuchen, Mitbestimmungsorte aufzumachen – eben um solchen Themen und dem Bewusstsein dafür, mehr Raum zu verschaffen. Ich denke, ich kann diese Problematik aus einer eigenen Perspektive nachvollziehen, da ich selbst nicht aus privilegierten Verhältnissen stamme. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt und provinziellen Strukturen, wo mir viele Wege verstellt waren.
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Dominik Herold, 28, hat politische Theorie studiert und promoviert aktuell an der Goethe-Universität Frankfurt. Vor drei Jahren hat er den Verein mehr als wählen e.V. mitgegründet. Der Verein für „innovative Demokratie“ will durch neue Formen der Bürgerbeteiligung Räume schaffen, in den politische Partizipation greifbar wird. Nach dem Demokratiekonvent von 2019, einem demokratischen Bürgerforum, startet nun das Projekt „DemokratieWagen“. Der DemokratieWagen ist ein ehemaliger Linienbus, der zu den Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern in die verschiedenen Stadtteile fahren soll. Er soll mit der „herkömmlichen Logik, dass Demokratie nur an ausgewählten und 'altehrwürdigen' Orten stattfinden kann“ brechen. Am 21. und 22.10. wird der Bus vorgestellt, es gibt ein umfangreiches öffentliches Rahmenprogramm. Mehr Informationen finden Sie hier.
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Haben Sie sich dadurch „abgehängt“ gefühlt?
In mir wuchs die Überzeugung, dass ich diese Welt nicht mitgestalten kann, und dass ich nicht legitimer Teil dieser bin – und das obwohl ich männlich und weiß bin und damit bereits mehr Privilegien genieße als viele andere. Mein „Klassenbewusstsein“ hat sich bei mir aber erst ausgebildet, weil ich mich an konkreten Orten beteiligt gefühlt habe. Erst dann habe ich festgestellt: „So wie es bisher war, muss es nicht sein. Ich darf trotz meiner sozialen Herkunft mitbestimmen.“ Ich glaube dieses Gefühl, diese Erkenntnis ist essentiell. Gerade deshalb ist es mir besonders wichtig, eben die Menschen zu erreichen, die sich in dieser Gesellschaft alleingelassen und nicht gehört fühlen. Das klappt aber natürlich nicht, wenn ich einfach nur in der Uni einen Vortrag halte. Der DemokratieWagen ist unser Versuch, diese Menschen in ihren alltäglichen Lebensbereichen zu erreichen.
Aber wer sind denn konkret die Menschen, die Sie ansprechen wollen?
Man kann diese Menschen, um die es uns geht, nicht auf einen einzigen Begriff bringen. Das wäre tatsächlich zu simpel. Sie sind weiblich, schwarz, haben Migrationsgeschichte oder befinden sich in einer prekären Lebenssituation. Sie sind jung, beteiligen sich nicht – oder aber, sie beteiligen sich viel, aber niemand sieht sie. Natürlich gibt es sogenannte unterrepräsentierte Gruppen, die wir auch versuchen anzusprechen, aber unsere Gesellschaft ist insgesamt so vielfältig, dass es gar nicht möglich ist, sie durch einen gewählten Abgeordneten oder ein Parlament vollständig zu repräsentieren.
Das klingt nun aber etwas destruktiv.
Ich denke, es zeigt zunächst einmal auf, dass jede Ordnung Ausschluss erzeugt, und dass wir fortwährend daran arbeiten müssen, diese Ordnungen demokratischer zu machen. Im politischen Alltag ist es nicht möglich, jeden Einzelnen abzubilden. Und so werden gewissermaßen komplette Gruppen einfach liegen gelassen. Für diese Gruppen wird mitunter keine Politik mehr gemacht, weil es sich nicht lohnt, weil es sich am Ende nicht an der Wahlurne auszahlt.
Ist Demokratie also in der uns bekannten Form überholt?
Es ist wichtig zu betonen, dass Demokratie auch immer wieder das Infragestellen von Ordnungen bedeutet. All dieser Widerspruch, dieser Dissens, der Konflikt muss ausgetragen werden. Es gibt einen gewissen Konsens in unserer Gesellschaft, was Demokratie ist und wer daran beteiligt werden kann. Aber auch dieser Konsens muss hinterfragt werden. Insofern würde ich schon sagen, dass unsere Demokratie eine Aktualisierung benötigt.
Sie haben Ihr Projekt „DemokratieWagen“ genannt. Erfordert Demokratie Mut?
Demokratie ist immer auch ein Wagnis. Und wie immer, wenn es um Demokratie geht, ist es auch ein Experiment. Es geht darum, herauszufinden, wie wir Menschen ansprechen können. Dafür müssen wir zunächst einmal zu diesen Menschen gehen, ihnen zuhören und das Gefühl geben, dass wir sie ernst nehmen. Der DemokratieWagen ist sicher nicht das ultimative Heilmittel – das anzunehmen wäre ein fatales Zeichen. Aber das Projekt ist eben eine Möglichkeit, verschiedenen Menschen demokratische Erfahrungsräume zu öffnen.
Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) und Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) stellen gemeinsam mit dem Verein mehr als wählen e.V. den DemokratieWagen vor. (Foto: DH)
Dominik Herold: Wir verstehen Demokratie nicht nur als Regierungsweise oder Staatsform, sondern als Lebensform. Das bedeutet, dass es in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, wie Bildung, Kultur oder Wirtschaft, demokratische Verfahrensweisen geben muss. Dabei geht es uns zunächst um eine Gestaltbarkeit der Welt an sich. Also darum, dass Menschen darin bestärkt werden, ihre Gesellschaft mitgestalten zu können.
Nun ergibt sich die Mitgestaltbarkeit einer Gesellschaft unter anderem aus der Möglichkeit, wählen zu gehen. Sie sprechen jedoch bewusst von „mehr als wählen“ und wollen damit auch Nicht-Wähler*innen erreichen. Warum?
Ich glaube, dass viele Menschen nicht wählen, weil sie das Gefühl haben, ohnehin nichts ändern zu können. Die Politikerinnen und Politiker werden dann in der Wahrnehmung schnell zu „Schein-Repräsentanten“, die zu weit weg sind von den Bedürfnissen eines großen Teils der Bevölkerung. Viele fühlen sich nicht abgebildet. So verfestigt sich systematisch der Eindruck, dass die Gesellschaft schon immer so war und auch bleiben wird, wie sie derzeit erscheint. Dabei lässt sich ja durchaus empirisch aufzeigen, dass dem nicht so ist. Vor rund 100 Jahren hatten Frauen beispielsweise noch kein Wahlrecht. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass Frauen wählen dürfen. Wir möchten aufzeigen, dass Ordnungen sich verändern können und dass die Welt eben auch eine andere sein kann. Eine, die man selbst mit formt.
Das klingt ausgesprochen simpel. Aber ist dieses Mitgestalten nicht immer auch eine Frage von Privilegien?
Natürlich erleichtern Privilegien, Zeit und Ressourcen die Öffnung solcher demokratischen Räume. Menschen, die in Lohnarbeit stehen, können sich nicht tagtäglich damit beschäftigen, was Demokratie bedeutet und wie man diese weiterentwickeln kann. Das allein kann aber kein Argument sein, nicht parallel zu den Kämpfen für bessere Bezahlung, Bildungschancen oder Steuergerechtigkeit zu versuchen, Mitbestimmungsorte aufzumachen – eben um solchen Themen und dem Bewusstsein dafür, mehr Raum zu verschaffen. Ich denke, ich kann diese Problematik aus einer eigenen Perspektive nachvollziehen, da ich selbst nicht aus privilegierten Verhältnissen stamme. Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt und provinziellen Strukturen, wo mir viele Wege verstellt waren.
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Dominik Herold, 28, hat politische Theorie studiert und promoviert aktuell an der Goethe-Universität Frankfurt. Vor drei Jahren hat er den Verein mehr als wählen e.V. mitgegründet. Der Verein für „innovative Demokratie“ will durch neue Formen der Bürgerbeteiligung Räume schaffen, in den politische Partizipation greifbar wird. Nach dem Demokratiekonvent von 2019, einem demokratischen Bürgerforum, startet nun das Projekt „DemokratieWagen“. Der DemokratieWagen ist ein ehemaliger Linienbus, der zu den Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern in die verschiedenen Stadtteile fahren soll. Er soll mit der „herkömmlichen Logik, dass Demokratie nur an ausgewählten und 'altehrwürdigen' Orten stattfinden kann“ brechen. Am 21. und 22.10. wird der Bus vorgestellt, es gibt ein umfangreiches öffentliches Rahmenprogramm. Mehr Informationen finden Sie hier.
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Haben Sie sich dadurch „abgehängt“ gefühlt?
In mir wuchs die Überzeugung, dass ich diese Welt nicht mitgestalten kann, und dass ich nicht legitimer Teil dieser bin – und das obwohl ich männlich und weiß bin und damit bereits mehr Privilegien genieße als viele andere. Mein „Klassenbewusstsein“ hat sich bei mir aber erst ausgebildet, weil ich mich an konkreten Orten beteiligt gefühlt habe. Erst dann habe ich festgestellt: „So wie es bisher war, muss es nicht sein. Ich darf trotz meiner sozialen Herkunft mitbestimmen.“ Ich glaube dieses Gefühl, diese Erkenntnis ist essentiell. Gerade deshalb ist es mir besonders wichtig, eben die Menschen zu erreichen, die sich in dieser Gesellschaft alleingelassen und nicht gehört fühlen. Das klappt aber natürlich nicht, wenn ich einfach nur in der Uni einen Vortrag halte. Der DemokratieWagen ist unser Versuch, diese Menschen in ihren alltäglichen Lebensbereichen zu erreichen.
Aber wer sind denn konkret die Menschen, die Sie ansprechen wollen?
Man kann diese Menschen, um die es uns geht, nicht auf einen einzigen Begriff bringen. Das wäre tatsächlich zu simpel. Sie sind weiblich, schwarz, haben Migrationsgeschichte oder befinden sich in einer prekären Lebenssituation. Sie sind jung, beteiligen sich nicht – oder aber, sie beteiligen sich viel, aber niemand sieht sie. Natürlich gibt es sogenannte unterrepräsentierte Gruppen, die wir auch versuchen anzusprechen, aber unsere Gesellschaft ist insgesamt so vielfältig, dass es gar nicht möglich ist, sie durch einen gewählten Abgeordneten oder ein Parlament vollständig zu repräsentieren.
Das klingt nun aber etwas destruktiv.
Ich denke, es zeigt zunächst einmal auf, dass jede Ordnung Ausschluss erzeugt, und dass wir fortwährend daran arbeiten müssen, diese Ordnungen demokratischer zu machen. Im politischen Alltag ist es nicht möglich, jeden Einzelnen abzubilden. Und so werden gewissermaßen komplette Gruppen einfach liegen gelassen. Für diese Gruppen wird mitunter keine Politik mehr gemacht, weil es sich nicht lohnt, weil es sich am Ende nicht an der Wahlurne auszahlt.
Ist Demokratie also in der uns bekannten Form überholt?
Es ist wichtig zu betonen, dass Demokratie auch immer wieder das Infragestellen von Ordnungen bedeutet. All dieser Widerspruch, dieser Dissens, der Konflikt muss ausgetragen werden. Es gibt einen gewissen Konsens in unserer Gesellschaft, was Demokratie ist und wer daran beteiligt werden kann. Aber auch dieser Konsens muss hinterfragt werden. Insofern würde ich schon sagen, dass unsere Demokratie eine Aktualisierung benötigt.
Sie haben Ihr Projekt „DemokratieWagen“ genannt. Erfordert Demokratie Mut?
Demokratie ist immer auch ein Wagnis. Und wie immer, wenn es um Demokratie geht, ist es auch ein Experiment. Es geht darum, herauszufinden, wie wir Menschen ansprechen können. Dafür müssen wir zunächst einmal zu diesen Menschen gehen, ihnen zuhören und das Gefühl geben, dass wir sie ernst nehmen. Der DemokratieWagen ist sicher nicht das ultimative Heilmittel – das anzunehmen wäre ein fatales Zeichen. Aber das Projekt ist eben eine Möglichkeit, verschiedenen Menschen demokratische Erfahrungsräume zu öffnen.
Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) und Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) stellen gemeinsam mit dem Verein mehr als wählen e.V. den DemokratieWagen vor. (Foto: DH)
21. Oktober 2020, 10.50 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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