In der Stadt Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis wurden die deutsche und die hessische Flagge vor einer Polizeistation falsch herum gehisst. Das Brisante: Das Ganze geschah am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag. Nun ermittelt der Staatsschutz.
Helen Schindler /
Im südosthessischen Schlüchtern waren die deutsche und die hessische Flagge vor der dortigen Polizeistation über Stunden hinweg falsch herum, also auf dem Kopf stehend, gehisst worden. Zunächst ging man von einem Versehen aus, inzwischen wurden aber strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Denn der Vorfall ereignete sich am 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die Flaggen möglicherweise aus politischen Gründen absichtlich falsch herum aufgehängt wurden. Nun ermittelt das Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte. Laut Innenministeriums-Sprecher Michael Schaich wird wegen zweier möglicher Verstöße ermittelt: Wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (Paragraf 90a) und wegen Volksverhetzung (Paragraf 130 Strafgesetzbuch). Die an besagtem Tag Dienst habenden Beamten seien in andere Dienststellen innerhalb der Behörde versetzt worden. Wie viele Polizisten davon betroffen sind, ist nicht bekannt. Eine abschließende strafrechtliche Bewertung erfolge durch die Staatsanwaltschaft in Frankfurt, so Schaich weiter.
Nun muss der Staatsschutz klären, welche Absichten hinter dem Hissen der Flaggen stecken. Der Fall in Schlüchtern bildet nur den jüngsten Vorfall in einer ganzen Reihe von bedenklichen Ereignissen. Denn mit dem Vorwurf rechtsextremer Tendenzen in den eigenen Reihen muss sich die hessische Polizei schon seit einiger Zeit auseinandersetzen. Im Dezember vergangenen Jahres wurde bekannt, dass mehrere Beamte des 1. Polizeireviers in Frankfurt fremdenfeindliche und rechtsextremistische Nachrichten ausgetauscht hatten. Kurz darauf drang an die Öffentlichkeit, dass die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız bereits im August ein Drohfax erhalten hatte, in dem sie und ihre Tochter mit dem Tode bedroht wurden. Inzwischen hat die Anwältin, die unter anderem im NSU-Prozess als Nebenklägerin aufgetreten war, drei weitere Drohschreiben erhalten. Zwei davon waren mit dem Absender „NSU 2.0“ versehen. Die darin enthaltenen persönlichen Daten sind über einen Dienstcomputer des ersten Polizeireviers abgerufen worden. Sechs Beamte wurden vom Dienst suspendiert, gegen sie wird seit Dezember ermittelt. Ob ein Zusammenhang zwischen den Beamten und den Drohschreiben an Başay-Yıldız besteht, ist noch nicht geklärt. Zudem geriet ein weiterer hessischer Polizist in den Verdacht, rechtsradikales Gedankengut zu teilen und die gewaltbereite Neonazi-Gruppe Aryans zu unterstützen. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens in Sachsen-Anhalt gegen zwei Aryans-Mitglieder fand man auf einem Handy der Angeklagten einen Chatverlauf, in welchem der hessische Beamte mehrfach interne polizeiliche Informationen mitteilte. Außerdem wurden Mitte Januar die Wohnungen zweier hessischer Polizisten durchsucht, die gegen das Waffengesetz verstoßen haben und sich der Volksverhetzung strafbar gemacht haben sollen.
Innenminister Peter Beuth (CDU) sprach daraufhin von Einzelfällen, die nicht auf ein rechtes Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei hinwiesen. Bei den einzelnen Verdachtsfällen handle es sich um verschiedene Sachverhalte, bisher könne keine Verbindung festgestellt werden. Die Betonung liegt dabei auf „Verdachtsfälle“, denn, so ließ ein Sprecher des Innenministeriums mitteilen, „auch für Polizisten gilt die Unschuldsvermutung.“ Erst vor wenigen Tage hatte sich Polizeipräsident Gerhard Bereswill im Rechtsausschuss zum Polizei-Skandal geäußert. Er betonte, dass es sich um „ein punktuelles, aber kein strukturelles Problem“ handle. Die Landesregierung plant unterdessen die Einrichtung einer unabhängigen Meldestelle. „Die Ombudsstelle soll insbesondere auch Anlaufstelle für Probleme zwischen Bürgern und Sicherheitsbehörden sowie auch für Angehörige der Sicherheitsbehörden sein. Sie berät Beschwerdeführer unbürokratisch und klärt Sachverhalte zügig auf“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen.
Die Rufe nach einer umfassenden Aufklärung werden derweil immer lauter. Nancy Faeser, innenpolitische Sprecherin der hessischen SPD, sagte, sie erwarte vom Innenminister einen umfassenden Bericht und wiederholte ihren bereits in der Vergangenheit geäußerten Vorwurf, dass Minister Beuth an „seiner Kommunikation mit dem Parlament arbeiten muss“. Die Vorfälle in Schlüchtern zeigten einmal mehr, dass dem Innenminister das Gespür dafür fehle, „wann er von sich aus auf den Innenausschuss zugehen und über wesentliche Vorgänge in seinem Geschäftsbereich informieren muss.“