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Praktikantenweisheiten (VII)

POTTWas kommt Ihnen in den Sinn bei dem Begriff „Ruhrpott“? Industrie? Kohle? Großstädte? Als ich vor ein paar Wochen das Angebot bekam, an einer Pressereise für junge Journalisten in das Ruhrgebiet teilzunehmen, war ich hellauf begeistert. Viele meiner Freunde schwärmen seit Jahren von der Gegend: Es sei der Wahnsinn, viele große Städte nebeneinander, nonstop Party. Als ich dann am 18. September in Herne eintraf, war ich schon ein wenig schockiert: Ich stand auf einem winzigen, heruntergekommenen Bahnhof inmitten einer Kleinstadt, in der wir nachts verzweifelt nach ein bisschen Leben suchten.

Wir, das sind 22 junge Journalisten aus ganz Deutschland. Eigentlich nicht nur aus Deutschland. Sogar ein Ukrainer, der hierzulande ein Praktikum macht, war mit von der Partie. Zusammen besuchten wir mehr als zehn nordrhein-westfälische Unternehmen und Veranstaltungsorte. Organisiert wurde das Ganze von dem Verein Pro Ruhrgebiet, Ziel war es, das Image des Ruhrgebiets zu verbessern. So wurde uns vor Augen geführt, wie fortschrittlich die Region doch ist. Die Kommunikations-Firma Materna zum Beispiel hat die SMS entwickelt. Das Future Hotel ist die verwirklichte Idee eines Hauses, in dem alles von einer einzigen Fernbedienung gesteuert wird. Außerdem konnten wir in dem Bottroper Alpincenter Ski oder Snowboard fahren – oder bei dem Versuch kläglich scheitern, so wie ich es tat. Absolutes Highlight war aber ohne Zweifel die Grubenfahrt am letzten Tag: Vier Stunden lang kletterten wir mehr als 1000 Meter unter der Erde durch ein Steinkohlebergwerk. Mein Respekt vor den Arbeitern unter Tage stieg mit der Temperatur und der Menge des Schmutzes. Als es auf die 40 Grad zuging und meine Hautfarbe von hellbraun zu kohleschwarz gewechselt hatte, verwandelten sich Bergarbeiter für mich in Helden.

All das war interessant. Noch interessanter aber war die Tatsache, dass hier 22 angehende Journalisten aufeinander trafen. Es wimmelte nur so von (natürlich ausnahmslos sachlichen) Diskussionen. Denn alle hatten eine andere Art zu recherchieren. Die einen schrieben eifrig jede noch so kleine Aussage mit, die anderen verließen sich da mehr auf die Pressemappen (die meine Tasche um einige Kilo schwerer machten). Mein Argument für die letztere Verhaltensweise war Folgendes: Erst leben, dann drüber schreiben. Allerdings wurde ich von so manchen daraufhin als Philosophin aufgezogen. Zum Beispiel von den zwei angehenden Fotografen. Anstatt aktiv an den Programmpunkten teilzunehmen, wuselten sie um die Gruppe herum und machten Unmengen von Bildern. Ich war nie sicher vor ihnen. Wenn ich mich mal unbeobachtet an einen Baum lehnen wollte, um ein wenig durchzuatmen, hörte ich nicht selten ein leises „Klick“ und entdeckte mit Schreck ein 10 Zentimeter von meinem Gesicht entferntes Objektiv. Bei einer nächtlichen Party auf Zimmer Nummer 9 bezeichnete einer der beiden Kameraverrückten seine Leidenschaft dann überraschenderweise als Makel. Es sei wie ein Zwang, er könne keinen Sonnenuntergang und kein schönes Mädchen mehr sehen, ohne sofort zu überlegen, was für ein gutes Motiv die Szene doch wäre.

Bei den abschließenden Fragerunden zeigten sich die einen als grenzenlos dankbar und wehrten jegliche Kritik mit dem Grund ab – wir würden nicht schätzen, was uns hier geboten wird. Andere hingegen ließen keine Gelegenheit aus, um eine kritische Frage zu stellen. Schnell musste ich auch feststellen, dass ich mit meinem Collegeblock und Kuli ganz schön altmodisch aussehen musste. Die Mehrheit tippte auf einem schicken Laptop herum.

Jeder von uns bezeichnete sich als Journalist. Jeder hatte allerdings auch eine andere Vorstellung davon, was das bedeutet. Soll man immer sachlich bleiben? Gibt es Dinge, die man lieber nicht durch den Kakao zieht? Darf man in einer Partei sein? Wenn man häufig mit Menschen einer bestimmten politischen Richtung zusammen sei, verliere man irgendwann die Lust daran, etwas Negatives über die betreffende Partei zu schreiben, so das Argument mancher. Andere waren allerdings überzeugt, ein guter Journalist müsse ohnehin seine persönliche Sichtweise von der Arbeit trennen können, das sei also kein Problem. Es wurde bis tief in die Nacht hinein diskutiert, wobei das Niveau mit fortschreitender Stunde spürbar sank. Auch Reporter können eben nicht permanent intellektuell sein.

Alles in allem hatten wir zusammen eine lustige Zeit inmitten der flachen Häuser, der riesigen Schornsteine und zahlreichen Forschungslabore. Es stimmt, so sind wir uns einig, dass das Ruhrgebiet einiges zu bieten hat. Doch als ich auf der Heimfahrt durch das Zugfenster den ersten Blick auf die Frankfurter Skyline warf, waren all die traurigen Abschiedsgedanken für einen Moment aus meinem Kopf gewischt. Ich war einfach froh, wieder zu Hause zu sein.

Bild: pixelio/Lars Paege
 
23. September 2009, 11.30 Uhr
Sunita Sukhana
 
 
Fotogalerie:
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