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Mein lieber Freund und Spargelstecher
Herr P. fährt Bahn
Der Frühling war eine besondere Zeit für Herrn P., denn nun konnte er all die Dinge tun, die er am liebsten machte. Dazu gehörte, an sonnigen Vormittagen mit einem Weidenkörbchen bewaffnet hinaus in Wald und Flur zu fahren, um dort jungen Löwenzahn und Bärlauch zu sammeln, aus denen er Gemüse und Salat bereitete oder Waldmeister für die anstehende Maibowle. Herr P. kam sich gerade wie Rotkäppchen vor, „fehlt nur noch der böse Wolf“, dachte er, als ihn ein lautes Rascheln aufschrecken ließ. Aus dem Gebüsch traten zwei Männer in zerrissener Arbeitskleidung, die an den Armen aneinandergekettet waren. Beide transpirierten heftig, atmeten schwer und hatten es augenscheinlich eilig. „Wo geht’s zur Straße?“, rief einer Herrn P. zu, und dann: „Haben Sie ein Auto?“ „Nicht dabei“, antwortete Herr P., „aber eine Monatskarte. Auf die dürfen mehrere Personen fahren.“ Die beiden sahen sich kurz an und nickten. Dann zerstörte ein Schuss die idyllische Szenerie, und von Weitem näherte sich wütendes Hundegebell. „Nix wie weg, sie kommen!“, sagte der andere, und Herr P. machte sich verdutzt, aber schnellen Schrittes mit den zwei Unbekannten zur Haltestelle auf. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ihnen um gesuchte Hartz-IV-Empfänger, die vor der Zwangsarbeit auf einem nahe gelegenen Spargelfeld ausgebüchst und nun auf der Flucht waren. Der eine, ein ehemaliger Diplomingenieur, faselte etwas von einem Bekannten im Ausland, bei dem man untertauchen könne, und Herr P., der Mitleid empfand, versprach, sie bis an die Grenze zu bringen. Er erinnerte sich an Edgar, einen S-Bahn-Fahrer, der ihm noch etwas schuldete. Und so geschah es, dass Herr P. gemeinsam mit den beiden Flüchtenden von Edgar in einem abgekoppelten Zugwagen auf Nebenstrecken an den bewaffneten Kontrollen vorbei Richtung Grenze kutschiert wurde. Alles lief glatt, nur die letzten hundert Kilometer mussten zu Fuß zurückgelegt werden. Die Männer übernachteten in leer stehenden Scheunen, ernährten sich von Würmern, Wildkräutern, rohem Spargel und schlossen Freundschaft. „Wenn du mal nach Costa Rica kommst, besuch uns“, sagten Felix und Bodo zum Abschied, schüttelten Herrn P. dankbar die Hände und machten sich im Dunkeln davon. Der winkte ihnen hinterher, bis sie außer Sicht waren, wanderte zum nächsten Bahnhof, stieg in den ersten Zug und machte die Waggontür hinter sich zu.
Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 9/2007; Illustration: Stephan Rürup
Der Frühling war eine besondere Zeit für Herrn P., denn nun konnte er all die Dinge tun, die er am liebsten machte. Dazu gehörte, an sonnigen Vormittagen mit einem Weidenkörbchen bewaffnet hinaus in Wald und Flur zu fahren, um dort jungen Löwenzahn und Bärlauch zu sammeln, aus denen er Gemüse und Salat bereitete oder Waldmeister für die anstehende Maibowle. Herr P. kam sich gerade wie Rotkäppchen vor, „fehlt nur noch der böse Wolf“, dachte er, als ihn ein lautes Rascheln aufschrecken ließ. Aus dem Gebüsch traten zwei Männer in zerrissener Arbeitskleidung, die an den Armen aneinandergekettet waren. Beide transpirierten heftig, atmeten schwer und hatten es augenscheinlich eilig. „Wo geht’s zur Straße?“, rief einer Herrn P. zu, und dann: „Haben Sie ein Auto?“ „Nicht dabei“, antwortete Herr P., „aber eine Monatskarte. Auf die dürfen mehrere Personen fahren.“ Die beiden sahen sich kurz an und nickten. Dann zerstörte ein Schuss die idyllische Szenerie, und von Weitem näherte sich wütendes Hundegebell. „Nix wie weg, sie kommen!“, sagte der andere, und Herr P. machte sich verdutzt, aber schnellen Schrittes mit den zwei Unbekannten zur Haltestelle auf. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ihnen um gesuchte Hartz-IV-Empfänger, die vor der Zwangsarbeit auf einem nahe gelegenen Spargelfeld ausgebüchst und nun auf der Flucht waren. Der eine, ein ehemaliger Diplomingenieur, faselte etwas von einem Bekannten im Ausland, bei dem man untertauchen könne, und Herr P., der Mitleid empfand, versprach, sie bis an die Grenze zu bringen. Er erinnerte sich an Edgar, einen S-Bahn-Fahrer, der ihm noch etwas schuldete. Und so geschah es, dass Herr P. gemeinsam mit den beiden Flüchtenden von Edgar in einem abgekoppelten Zugwagen auf Nebenstrecken an den bewaffneten Kontrollen vorbei Richtung Grenze kutschiert wurde. Alles lief glatt, nur die letzten hundert Kilometer mussten zu Fuß zurückgelegt werden. Die Männer übernachteten in leer stehenden Scheunen, ernährten sich von Würmern, Wildkräutern, rohem Spargel und schlossen Freundschaft. „Wenn du mal nach Costa Rica kommst, besuch uns“, sagten Felix und Bodo zum Abschied, schüttelten Herrn P. dankbar die Hände und machten sich im Dunkeln davon. Der winkte ihnen hinterher, bis sie außer Sicht waren, wanderte zum nächsten Bahnhof, stieg in den ersten Zug und machte die Waggontür hinter sich zu.
Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 9/2007; Illustration: Stephan Rürup
21. März 2009, 15.23 Uhr
Andreas Dosch
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