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"Ich bin ein Nostalgiker in Teilzeit"



Teilzeithippie heißt das neue Album von Annett Louisan, am 30. Januar gastiert die Sängerin in der Alten Oper Frankfurt. Im dortigen Opera-Restaurant trafen wir sie vorab zum Interview - bei leichter Klaviermusik im Hintergrund und einem herbstlich-kühlen Frankfurter Himmel vor den Fenstern. Ein Gespräch über Liebe, moderne Kommunikation, das Recht am eigenen Bild und eine Generation, die sich keine Auszeit mehr nimmt.

Journal Frankfurt: Ich hab mir grade nochmal unser Interview von vor drei Jahren angehört - da singst Du in Erinnerung an Deine Zeit vor der Veröffentlichung des Debütalbums die Melodie aus der Rama-Werbung ...

Annett Louisan: ... das bekomme ich jetzt glaube ich nicht mehr zusammen. Nein, schlicht vergessen.

Schade, ich dachte, ich bekomme noch einen zweiten Take.

Es ist soviel passiert seither, es sind auch so viele neue Namen hinzugekommen, so viele alte verschwunden, es ist immer noch eine so intensive Zeit. Gesichter, die speicher ich noch ganz gut. Aber wenn’s mal um eine Telefonnummer geht ...

Muss man heutzutage ja auch nicht mehr, wir sind ja rundum vernetzt.

Das ist richtig. Das Weltwissen konnte sich Goethe ja noch ganz gut aneignen in einem Leben – heute verdoppelt es sich alle paar Jahre. Das hat dazu geführt, dass nur noch der Weg zur Information zählt, nicht die Information selbst. Das ist doch merkwürdig!

In Deinem Lied „Drück die Eins“ geht’s ja um diese Distanziertheit, die diese Vernetzung schafft.

Ich fand es lustig, bestimmte Seelenzustände per Knopfdruck abfragen zu können.

Gelingt Dir das?

Natürlich nicht. Manchmal bei langen Telefonaten – aber meist bin ich am Telefon fast schon autistisch; ich verstehe alles falsch. Sehr wichtige, sehr persönliche Gespräche bei meinem jetzigen Leben übers Handy führen zu müssen, ist manchmal wirklich schwer. Das gleiche gilt für die ständige Erreichbarkeit, der man durch diese modernen Geräte ausgesetzt ist.

Du kannst sie nicht abschalten?

Das geht, aber ... das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Es geht, wenn ich mit meinem Freund unterwegs bin. Ich muss sagen: man wird schnell zum Sklaven seines Handys. Ich schalte es nicht mal mehr nachts ab und baue SMS-Geräusche in meine Träume ein.

Anstrengend!

Sehr.

Hängst Du deswegen im neuen Album den 60er-Jahren nach? Einer Zeit ohne Handys und Computer?

Ich bin ein Nostalgiker in Teilzeit. Ich war schon immer ein großer 60er-Fan. Ästhetisch, visuell, musikalisch, politisch eine absolute Hochzeit. Von Brigitte Bardot bis zu Blow-Up, doch eigentlich begann es ja schon mit der nouvelle vague Ende der 50er. Es ist eine inspirierende Zeit, weil sie viel mit Suche und mit Befreiung zu tun hat. Mit Experimenten. Das finde ich schön. Mit Retro hat das wenig zu tun, für mich ist diese Ära zeitlos.

Ist es mehr als eine Haltung, die Du annimmst?

Der Begriff der Befreiung passt, denke ich, ganz gut zu vielen Songs auf dem Album; spürbar war das auch schon zuvor, etwa bei Bohème, wo ich meine Liebe zu Paris und der dortigen Lebensart ausdrücken konnte. Die Geschichten stammen natürlich aus Gegenwart, doch sie bekommen dadurch einen Farbtupfer. So wie ein hübsches Kleid einen Menschen schmückt. Aber es ist zugleich eine Zeit, die viele Menschen immer noch berührt. Da fällt mir ein: Das Album haben mein Produzent Frank und ich in Ibiza aufgenommen ...

Sind da, entschuldige das Vorurteil, nicht nur irgendwelche unpolitischen Partymenschen?

Das ist leider im Sommer so. Na, wir waren in der Vorsaison da und trafen dort wirklich auf einige Althippies. Die gibt’s da immer noch. Allerdings Althippies mit einem sehr, sehr dicken Bankkonto.

Jetzt verstehe ich den Albumtitel: Teilzeithippie heißt, Du wirst langsam reich.

Nein, das ist der weiterentwickelte Hippie.

Version 2.0?

Sagen wir lieber: der Reflektierte. Was damals möglich war, geht heute nicht mehr. Bei all dem Leistungsdruck, der zunehmenden Globalisierung, dieser Schnelligkeit - wenn Du da nur ein Jahr aussteigst, hat sich die Welt verändert. Das beeinflusst uns, das lässt uns irgendwie nervös werden.

Wir trauen uns nichts mehr?

Ja, das lief damals einfach anders. Die Eltern eines Freundes sind jahrelang umhergereist, waren mal hier, mal dort, ohne Ziel und haben dennoch einen Job gefunden.

Und das nach 20 Jahren Studium.

Jahihi, so ungefähr.

Wie war das bei Deiner Mutter? Auch ein Hippie?

Nein, dafür war sie ein kleines bisschen zu jung und war als Krankenschwester im Osten eher eine bürgerliche Frau; vielleicht hatte sie das in sich, wer weiß. Aber sie ist auf dem Dorf aufgewachsen und da war das nicht so. Wobei man ja auch sagen muss, dass der Osten, was freie Liebe anging, auch vorne mit dabei war.

Ich dachte, Ihr seid alle nur nackt baden gewesen.

Das kann ich bestätigen. Aber aufgrund meines Alters habe ich mehr Erinnerungen an meine Familie und Freunde, das andere ist schon ziemlich schwarz-weiß. Nach der Wende habe ich dann schon in Hamburg gewohnt.

Einer Stadt, der Du nun den Rücken gekehrt hast.

Einen Koffer habe ich noch da, aber nun bin ich in Berlin. Wollte ich auch immer. Auch nach Prag, Paris, diese Kundera-Städte. Wunderschön!

Berlin hat ja noch eine funktionierende Bohème aufgrund der geringen Mieten.

Ganz genau; auch ärmere Menschen können recht großzügig mittendrin wohnen. Nicht so wie in Paris, wo man in der Stadt für ein Loch tausende von Euro hinblättert. Berlin ist da provisorischer. Da stellt man einen wackligen Stuhl auf die Straße und nennt das dann Bar. Ich wohne ja in Kreuzberg, dem alten Bezirk 36. Gerade ich als Nachtmensch liebe diesen Stadtteil. In Hamburg wundere ich mich immer nur ... Berlin ist bunt. Da gibt’s auch noch Punker und Grufties.

Hier in Frankfurt sehr seltene und scheue Geschöpfe.

Berlin ist voll davon, unglaublich.

Aber der Koffer bleibt erstmal im Norden?

Ach, ich habe da fast 20 Jahre gelebt, da sind soviele Menschen, die ich liebe, da ist das auch ein bisschen Heimat. Aber in Berlin finde ich den Osten wie den Westen und ich finde Menschen, von denen ich das Gefühl habe, dass sie mir ähnlich sind.

Was sind das für Menschen?

Suchende, Selbstdarsteller, Exzentriker in einer Stadt, die immer in Bewegung ist, nicht monoton, nicht uniform.

Womit wir wieder bei den wilden 60ern wären.

Sie sind wie eine Schablone, die ich nutzen kann. Da hatte ich Lust drauf, auch musikalisch ein bisschen in der Beat-Zeit zu kramen. Thematisch geht es aber nicht nur um Freiheitssuche, sondern auch um die Angst vor Einsamkeit und den Mut zur Nähe. Ich bin jetzt 31 und kenne soviele Menschen bei denen es immer umschlägt: Angst, Mut, Angst Mut...

Es ist wieder eine sehr persönliche Platte geworden.

Eine richtige Ich-Platte und damit anders als die davor. Nach dem Debüt mit Bohème brauchte ich mal Abstand und eine eher beobachtende Perspektive, weil die ersten Songs so überinterpretiert wurden - von „Das Spiel“ bin ich mittlerweile glaube ich wieder soweit entfernt, dass ich ganz leicht in diese persönlichere Rolle zurückkehren kann.

Aber angesprochen wirst Du auf diesen Titel immer noch.

Wahnsinn, oder? Nach all der Zeit... mein Publikum tut es nicht mehr. Die freuen sich zwar, wenn ich’s spiele, aber vor allem über Neues.

Ich fand es ja etwas befremdlich, das in den vergangenen Wochen ein Satz eines Interviews durch die Medien ging, in dem Du sagt, Du redest gerne über Sex. Ein Mann hätte damit wohl für weniger Aufsehen gesorgt als eine hübsche Frau.

Hach, als Frau muss man sowieso vorsichtiger sein. Wir werden oberflächlicher betrachtet, die Angriffsfläche ist viel stärker als bei Männern die Optik. Da hebt bei mir der Boulevard ab, wohingegen man im Feuilleton versucht, Dummheit zu unterstellen oder Marionettentum.

Deine Hochzeit, Deine Trennung, Dein neuer Freund – das alles ging durch die Medien. Ganz am Anfang Deiner Karriere wolltest Du das geheimhalten, Louisan ist ja auch ein Künstername, eine andere ...

Dass mein Privatleben in den Medien war, dafür konnte ich nichts. Irgendwann habe ich gemerkt: wenn man nichts sagt, dann schreiben sie trotzdem – aber eben irgendwas, über Monate wird nur gemutmaßt. Ich habe damals deutlich gesagt, dass ich kein Foto von mir und meinem Mann möchte – es wurde dennoch eines gemacht und veröffentlicht. Da sehe ich aus wie eine Vogelscheuche und es wird immer und immer wieder benutzt. Wenn man nicht sagt, dass man sich scheiden lässt, wird man irgendwann erpresst und bespitzelt, so habe ich das kennengelernt.

Liegt vielleicht auch daran, dass Du in Deinen Texten recht offenherzig bist.

Meine Texte sind authentisch, aber sie sind keine Tagebücher. Versteckte Botschaften gibt es dort nicht, auch bin ich keine Gleichstellungsbeauftragte. Ich möchte tatsächlich unterhalten und berühren. Und versuche mit meinen Geschichten ein breites Spektrum von Charaktereren abzudecken. Was davon in mir wirklich stark ist oder wird, vermag ich nicht zu sagen. Ich möchte auch frei leben, auch als öffentliche Person. Es ist schon seltsam, wenn man eine dpa-Meldung rausgibt über solche uninteressanten Sachen. Na, Du und ich, wir können da beide drüber lachen.

Ich vielleicht mehr als Du.

Mittlerweile bin ich abgehärtet, es ist mir schlicht egal geworden. Aber diese kurzen Sätze, das ist schon fast zu absurd - da ruft man SEX und sofort stürzen sich alle darauf. Dabei geht es doch auf den Alben um soviel mehr, um das große Ganze, Beziehungen, Gesellschaft, Liebe.

Die Liebe scheint ein unerschöpfliches Reservoir.

Das ist sie, und es ist immer wieder eine große Herausforderung, eine neue Form von „Ich liebe Dich“ zu finden.

Laut Barthes ist „Ich liebe Dich“ wie eine Worthülse, die auf das erste Mal, an dem die drei Worte fielen, Bezug nimmt.

Es ist mehr als das. Die Liebe treibt uns immer an.

Und die Aussicht auf eine Auszeit?

Die habe ich abgeschrieben. Die Tour wird vorbeigehen wie ein Sturm und danach werde ich mich etwas ausgelaugt fühlen, doch nach spätestens drei Wochen lege ich wieder los, das weiß ich schon. Aber vielleicht mal was ganz anderes.

Fotos: Jim Rakete
 
27. November 2008, 15.46 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
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