Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs
Foto: Verlag Edition Faust
Foto: Verlag Edition Faust

Eine Collage von Barbara Englert

Der große Krieg und die Frauen

Die Regisseurin und Schauspielerin Barbara Englert zeigt den Ersten Weltkrieg aus einer ungewohnten Perspektive: Der des weiblichen Blicks. Ihr Buch „Der Große Krieg und die Frauen“ entstand aus einer Theaterinstallation.
„Krieg ist niemals ein Ende, aber immer verloren.“ Das Zitat von Gertrude Stein prangt neben dem Titel des Buches nicht nur auf dem Cover, sondern auch auf der ersten Seite. Darunter ein Satz von Max Ernst: „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annährung dieser Realitäten überspringt.“ Das beschreibt die Konzeption des Buches, dessen Idee aus einer Theaterinstallation geboren wurde, bei der die Autorin den Ersten Weltkrieg auf die Bühne geholt hat. Mitten im Frankfurter Hauptbahnhof saß die Regisseurin und Schauspielerin Barbara Englert zehn Tage lang auf einem großen roten Sessel, aus dessen verschlissenem, aufgerissenem Futter die Briefe und Texte berühmter Frauen aus der Zeit den Ersten Weltkrieges quollen. Während im Hintergrund die Bilder dieser Frauen auf eine Leinwand projiziert wurden, zog Englert deren Geschichten aus dem Sessel hervor und las sie laut vor. Wieso diese Installation, wieso dieses Buch? „Der Stuhl ist eine Metapher dafür gewesen, dass viele Nachkommen auf den Geschichten dieser Frauen sitzen und dass zudem viele der berühmten Frauen der damaligen Zeit heute leider aus den Köpfen der Gesellschaft verschwunden sind. Ich wollte ihnen eine Stimme geben und die weibliche Perspektive auf den Ersten Weltkrieg in den Fokus rücken.“



Die Vorbereitung hat Barbara Englert einige Mühen gekostet. „Ich habe mich in die Bibliothek gesetzt und knapp eineinhalb Jahre recherchiert.“ Die Mühe hat sich gelohnt: Herausgekommen ist eine berührende Theaterinstallation – ein Jahrhundert nach dem Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag 1915. Kaum jemand weiß heute noch von dem Engagement der 1136 Teilnehmerinnen aus zwölf verschiedenen Nationen, die unter anderem schon damals einen internationalen Gerichtshof, eine neue Weltwirtschaftsordnung und weltweite Kontrolle des Waffenhandels forderten. „Eine interessante Erkenntnis war für mich, dass es auch damals schon eine sehr europäische, globale Beziehung gab, also ein Europa. Besonders unter den Frauen“, bemerkt Englert.
Im Anschluss an die Theaterinstallation entstand daraufhin Englerts Werk, das ebenfalls den fiktiven Dialog zwischen den Texten von berühmten Zeitzeuginnen wie Rosa Luxemburg, Marie Curie, Vicki Baum, Clara Zetkin, Anita Augsburg und den Erinnerungen von zeitgenössischen Autorinnen wie Elisabeth Abendroth, Gisela Brackert und Gudrun Pausewang über ihre Mütter und Großmütter verknüpft. „Bei der Theaterinstallation musste man die Dinge beschränken, länger als eineinhalb Stunden durfte diese nicht dauern. Am Ende hatte ich 17 Frauen aus der Geschichte und 13 Interviewpartnerinnen zusammen. Im Buch sind es jetzt 19 Interviewpartner und 36 berühmte Frauen, hier musste man ja nicht auf Zeit achten. Ich habe die Geschichten aus der Literatur mit den erzählten Geschichten der Interviewpartner verknüpft.“



Englert fragte sich, was Historie eigentlich ist: „Meist ist Geschichte ja von Männern niedergeschrieben. Ich habe ältere Damen befragt, was die Mütter und Großmütter vom Ersten Weltkrieg noch wissen. Und was Frauen über den Ersten Weltkrieg dachten, in dem sie leben mussten. Alle eint der Wunsch nach Frieden und die Angst vor Unsicherheit und Zerstörung. Es wird viel darüber gesprochen, wie es für die Männer im Krieg war, aber was es für die Frauen bedeutet hat, in dieser Zeit zu leben, wurde kaum diskutiert. Sie hatten keine Ahnung, wann es endet, was ihre Männer dort überhaupt machten und dann natürlich der tägliche Kampf ums Überleben. Wichtiger schien das Leiden der Männer an der Front. Dass es aber zu Hause ebenfalls furchtbare Zustände gab, Menschen verhungerten, wird kaum bedacht. Dabei sind unter den dargestellten Frauen herausragende Persönlichkeiten, die zum Teil aber in Vergessenheit geraten sind. Zum Beispiel Annette Kolb, deren großartiges Werk ‚Briefe einer Deutsch-Französin‘ nicht mehr verlegt wird“, betont Englert.

Die berühmten Frauen sind meist Damen aus der gehobenen Klasse wie die Ehefrauen von Franz Mark und August Macke. Letzterer grämte sich übrigens, in den Krieg zu ziehen. „All das wissen wir aus der Korrespondenz mit seiner Frau“, sagt die Regisseurin.



Die 1867 in Königsberg geborene Bildhauerin, Malerin und Grafikerin Käthe Kollwitz verarbeitete in ihren Werken auch den Ersten Weltkrieg.

Aber auch die Frauen in der damaligen Zeit waren nicht gefeit vor der allgemeinen Aufregung zu Kriegsbeginn: Käthe Kollwitz zum Beispiel begeisterte sich zuerst dafür, dass ihr Sohn in den Krieg zog. Als er aber dann an der Front fiel, wurde sie zu einer großen Kriegsgegnerin, was sich ebenfalls in ihrer Kunst widerspiegelte. Die Sinnlosigkeit von Krieg wird mehr als deutlich, wenn Tony Sender von ihrer Ausreise aus Frankreich, kurz vor Kriegsbeginn spricht: „Schließlich entschloss ich mich im Interesse aller und gegen den Willen meiner Freunde zur Abreise. Alles, was mir teuer war, musste ich aufgeben. In dieser Stunde war jedoch nicht der Gedanke an meinen persönlichen Verlust, was mich in Aufruhr versetzte, sondern die Erkenntnis, dass diese idealistischen jungen Freunde auf die blutigen Schlachtfelder geschickt werden würden, dass sie den Bomben und Granaten ausgesetzt würden, die meine Landsleute auf sie niederregnen lassen würden. Konnte es ein grausameres, sinnloseres Schicksal geben?!“ Oder auch Vicki Baum, die bemerkte: „Die Freunde und Liebenden, die Schüler und Kollegen von heute waren dazu verdammt, die Feinde von morgen zu werden.“

Die Themen im Buch haben nicht an Aktualität verloren, bemerkt der Leser, wenn Sinaida Hippius, Dichterin des russischen Symbolismus schreibt: „Es scheint, es habe sich alles in wenigen Tagen abgespielt. Aber so ist es natürlich nicht. Wir haben es nicht geglaubt, weil wir es nicht glauben wollten. Doch hätten wir nur unsere Augen nicht verschlossen …“ Derzeit recherchiert Englert zu Widerstandskämpferinnen während der Nazibesatzung auf Kreta – ebenfalls ein Thema, das nicht mehr im Bewusstsein der Menschen ist.

>> Der große Krieg und die Frauen: 1914-1918.
Eine Collage von Barbara Englert, Edition Faust Verlag, 24 Euro

Barbara Englert …


… lebt als Regisseurin und Schauspielerin in Frankfurt am Main. Nach dem Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart spielte sie an den Theatern in Freiburg, Essen und Stuttgart, später in Freien Theatergruppen. Bekannt wurde sie als Darstellerin großer Frauengestalten unterschiedlichster Temperamente, unter anderem der Johanna von Orléans, der Klytämnestra und Petra Kelly.

Foto oben: Die Forderungen der Frauen rund um die Pazifistin Jane Addams (4. v l.) flossen später auch in die Verträge Versailler Friedenskonferenz ein.

Eine Version dieses Artikels ist zuerst im Journal Frankfurt vom 14. Dezember 2017 erschienen. Hier können Sie ein Abonnement abschließen.
 
8. März 2018, 11.29 Uhr
Katharina Bruns
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Sie ist aus dem literarischen Leben dieser Stadt nicht wegzudenken: Eva Demski. Am 12. Mai wurde die Frankfurter Schriftstellerin 80 Jahre alt.
Text: Christoph Schröder / Foto: © Harald Schröder
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
13. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Seth Lakeman
    Brotfabrik | 20.00 Uhr
  • Wilhelmine
    Schlachthof | 20.00 Uhr
  • Mike Stern Band
    Haus der Jugend/M8-Liveclub | 20.30 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Academy of St. Martin in the Fields
    Alte Oper | 20.00 Uhr
  • Ein Blick in die Werkstatt
    Casals Forum | 10.00 Uhr
  • Deutsche Philharmonie Merck
    Staatstheater Darmstadt | 19.30 Uhr
Theater / Literatur
  • Romeo und Julia – oder Szenen der modernen Liebe
    Staatstheater Mainz | 19.30 Uhr
  • Extrawurst
    Bürgerhaus Sprendlingen | 20.00 Uhr
  • Rolf Miller
    Die Käs | 20.00 Uhr
Kunst
  • Bruder Moenus
    Stoltze-Museum der Frankfurter Sparkasse | 10.00 Uhr
  • Die dunkle Seite der Rose oder die Faszination des Gegenteils
    Rosenmuseum Steinfurth | 13.00 Uhr
  • Das Geldmuseum
    Geldmuseum der Deutschen Bundesbank | 09.00 Uhr
Kinder
  • Robin Hoon
    Theater Moller-Haus | 09.00 Uhr
  • Nikola Huppertz
    Centralstation | 09.00 Uhr
  • Hands On! Robotics-Lab
    Stadtteilbibliothek Niederrad | 16.00 Uhr
und sonst
  • Eintracht Frankfurt – SC Freiburg
    Stadion am Brentanobad | 19.30 Uhr
  • Opernplatzfest
    Opernplatz | 12.00 Uhr
  • Eindrücke einer botanischen Exkursion nach Chile
    Palmengarten | 19.00 Uhr
Freie Stellen