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Foto: Detlef Kinsler
Foto: Detlef Kinsler

Bilanz der 45. Auflage

Viele schöne Überraschungen beim Jazzfestival

Endlich mal wieder ein Festival ohne Motto und ohne irgendwelche Zwänge, eine Klammer für alle teilnehmenden Künstler zu finden. Diese Freiheit konnte von den neun Acts an drei Abenden weidlich ausgereizt werden.
Furioses Finale beim 45. Deutschen Jazzfestival im Sendesaal des Hessischen Rundfunks. Zu Recht rundete der Auftritt des multinationalen Projektes The Road To Jajouka auf Basis uralter nordafrikanischer Trance-Musik das dreitägige Get Together mit neun Programmpunkten vor insgesamt 3.000 Besuchern an drei Tagen ab. Wie in einem Rausch spielten sich die Musiker und nahmen ihr Publikum (ein paar wenige im Saal konnten und wollten sich nicht auf die für sie allzu fremden Klänge einlassen) dabei mit auf einen Trip ins marokkanische Rif Gebirge. Da hatte der früh verstorbenen Rolling Stones-Musiker Brian Jones schon 1968 die Master Musicians of Jajouka in ihrem Dorf besucht. Seine „Field Recordings“ wurden nach seinem Tod veröffentlicht und zum Kult. Seitdem pflegt das heute von Bachir Attar geführte Ensemble seine jährlichen Rituale für den Ziegengott beim Fruchtbarkeitsfest, sind aber fernab jeglicher puristischer Haltung zu Kooperationen jedweder Art bereit. „The Road To Jajouka“ wurde vom Drummer des US-Trios Medeski, Martin & Wood, Billy Martin initiiert. Er holte nicht nur seinen Organisten John Medeski ins Boot, sondern eine illustre Musikerschar, so den New Yorker Avantgarde-Gitarristen Marc Ribot, den pakistanischen Bassist Shahzad Ismaily, die indische Sängerin Falu und US-DJ Logic an den Turntables. Sie alle ließen sich auf die Musik der vier Master Musicians Bachir Attar, Mustapha Attar, Mohamed El Attar und Abdellah Bokhzar ein. Der Kopf der Truppe gab mit seiner Gimbri, einer Laute, den Groove vor, Ribot stieg darauf ein, seine verfremdeten, verzerrten Sounds im Dialog mit den akustischen Klängen aus Nordafrika stellten einen wunderbaren Kontrast dar und verschmolzen mit Fortdauer des hypnotischen Konzertes zu einer Einheit. Der Bass setzte Akzente, Medeski ließ seine Hammond zusätzliche Atmosphären schaffen und Falu setzte ihre strahlend schönen indischen „Koloraturen“ darüber. Zusätzliche Dynamik kam ins Spiel, wenn einmal das Tempo und das Tutti gedrosselt wurde, drei Flöten (Lira) Schönklang verbreiteten bevor die eigentlich Stars im Instrumentarium, die Ghaitas (auch als Zornas bekannt), endlich zum Zuge kamen. Der einzigartig nasal-quäkig-schrille Klang des Doppelrohrblatt-Instrumentes geht dank Trillern und Vibratos durch Mark und Bein. Einfach faszinierend.

Überhaupt bot das diesjährige Festival viele Überraschungen. Schön zu sehen, dass Entertainment im weiten Feld des Jazz nicht mehr verpönt ist, Witz und Verve in der Musik allgegenwärtig und auch lange bei all der Ernsthaftigkeit nicht mehr verpönt ist. Im Gegenteil. Schon der Frankfurter Beitrag als Opener am Donnerstag. Peter Klohmann, inszenierte sich und seine Musik, ließ sich von einer schönen Frau auf die Bühne begleiten, die ihm dann seine Robe auszog. James Brown und die Funkära von Parliament & Co. ließen grüßen. Funky Jazz mit kammermusikalischer Note, Gestrichenes und „Blech“ und Regionalbezug dank einer Suite über Heinrich Hoffmann-Charaktere wie den Zappelphilipp. Die Geburt des ADHS-Jazz oder so ähnlich. Danach kam die hoch gehandelte Gitarristin Mary Halvordson mit ihrem Quintet auf die Bühne. Zu abstrakt, zu kopfig. Der erste Bigband-Auftritt danach mit „African Heritage“. Der Gitarrist Lionel Loueke aus Benin ist längst in Amerika angekommen. Es brauchte eine ganze Weile, bis sein Gitarrespiel wirklich interessant wurde und der Programmtik gerecht wurde, man das Gefühl hatte, afrikanische Instrumente wie Kora, Mbira, Balaphon und Talking Drum auf sein Instrument „übertragen“ wahrzunehmen. Sein Gesang dagegen (klar, er hatte betont, den Griots seine Referenz zu erweisen aber auch deutlich gemacht, er könne dieser Tradition selber nicht folgen) klang vergleichsweise poppig. Nicht, dass die Festivalmacher nächstes Jahr Gregory Porter einladen...

Tag 2 und ein wunderbarer Einstieg mit Billy Martins erstem Festival-Beitrag und Wicked Knee. Frühschoppenmusik abendtauglich gemacht könnte man meinen. Eine Mini-Marching Band mit Trompete, Posaune und Tuba. Vier Charakterköpfe mit viel Profil und dem gelungenen Versuch, New Orleans zu transponieren und dazu den Blasinstrumenten Tierstimmen und Alltagsgeräusche zu entlocken. Prädikat besonders brunftig. Wieder war der zweite Programmpunkt einer Intellektuellennummer vorbehalten. Nik Bärtsch‘s Ronin hatten wir noch aus Zeiten von Jazz im (Historischen) Museum anders, subtiler in Erinnerung. Groove Meditationen wollte man anbieten, der Zen Buddhist im Pianisten Bärtsch wurde beschworen, die Überraschungsmomente überstrapaziert. Nennen wir Ronin also ab sofort die Schweizer Trugschlussband? Wollte die einen Individualismus und das Solospiel nicht übertreiben, ja gar unterdrücken, so war bei Marius Nesets „Boyband“ (Bestnoten fürs Schuhwerk) das Solo- im Ensemblespiel gleich bedeutend wichtig. Jung, wild, dynamisch, virtuos, gut.

Tag 3 wurde von der BigBand eröffnet. Mit einem Tribute an Tony Williams Lifetime und mit den Gästen John Medeski als Larry Young, Gitarrist Jesse van Ruller als John McLaughlin und Terri Lynn Carrington an den Drums. Sehr virtuos und von McNeely als Arrangeur auch in der Big Band-Version jazzrockig mit Tendenz zum Rockigen belassen. Gut so. Und bei Deep Schrott vor dem ausführlich beschriebenen Finale blieb kein Auge trocken. Das einzige Basssaxophon Quartett der Welt mit der Lizenz zum Tröten und Klasse-Arrangements von Fleetwood Mac- und Doors-Klassikern sowie Heavy Metal (wie passend)-Adaptionen. So wie die Vier Black Sabbath spielten, wurde einem nach all den Dekaden erst bewusst, dass Ozzy Osbourne eigentlich ein Indianer auf dem Kriegspfad war, so „tribal“ klangen „Paranoid“ und die anderen Hits der Briten. Unglaublich. Zwei traurige Nachrichten überschatteten den dritten Tag. hr2-Redakteur Peter Kemper hatte erfahren, dass in der Nacht auf Samstag Michael Rieth, lange Jahre die Stimme des Jazz in der Frankfurter Rundschau und – so Kemper in seiner Moderation – lange und kontinuierlich kritisch-konstruktiver Begleiter des Deutschen Jazzfestivals, überraschend verstorben war. Am Abend vorher war er noch bei den Auftritten im Sendesaal dabei. hr-Bigband-Chefdirigent Jim McNeely widmete den Titel „Where“ im Set des Tony Williams-Tributs Jack Bruce, der 2007 Gast der hr-Bigband war und am 25.10. in Suffolk mit 71 verstarb. Der Bassist und Sänger des legendären Trios Cream („Sunshine Of Your Love“) war zeitweise auch Mitglied von Williams’ Band Lifetime.
 
27. Oktober 2014, 09.16 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
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