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Foto: Symbolbild © picture alliance/dpa | Arne Dedert
Foto: Symbolbild © picture alliance/dpa | Arne Dedert

Zwischenfall in S-Bahn

Wenn der Fahrkarten-Kontrolleur ausrastet

Am vergangenen Freitag erwischte ein Kontrolleur der Deutschen Bahn in einer Frankfurter S-Bahn einen Fahrgast ohne Ticket – und wurde gewalttätig. Bei dem Opfer handelt es sich vermutlich um einen Geflüchteten; ein Zeuge, der schlichten wollte, wurde beleidigt und bedroht.
Mindestens 60 Euro werden in Deutschland fällig, wenn man beim Schwarzfahren erwischt wird. Dennoch sind rund 3,5 Prozent der Fahrgäste bundesweit ohne Ticket in Bus und Bahn unterwegs. Auch das erhöhte Beförderungsentgelt, wie die Verkehrsbetriebe die Strafgebühr offiziell nennen, kann nicht verhindern, dass den diversen Unternehmen jährlich insgesamt etwa eine Viertelmilliarde Euro entgeht. Vor diesem Hintergrund sind in den öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig Kontrolleure unterwegs, die, gemäß §265a Strafgesetzbuch „Erschleichen von Leistungen“, nach zahlungsunwilligen Fahrgästen Ausschau halten.

Laut Rechtsprechung ist die „Beförderungserschleichung“ kein Kavaliersdelikt. Regelmäßige, absichtliche Verstöße können über die Geldstrafe hinaus auch mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden. Am vergangenen Freitag eskalierte eine Kontrollsituation in einer S-Bahn vollends: Ein junger Mann ohne Ticket wurde von einem Mitarbeiter der Deutschen Bahn geschlagen. Ein weiterer Mann soll in Folge des Versuchs, die Situation zu schlichten, beleidigt und bedroht worden sein. Inzwischen ermittelt die Polizei, die Deutsche Bahn (DB) untersucht den Vorfall intern.

„Asozial und aggressiv“

Nazim Kenan ist am frühen Freitagnachmittag mit der S-Bahn-Linie 2 auf dem Weg von Frankfurt nach Eppstein, als drei Kontrolleure der Deutschen Bahn seinen Waggon betreten und die Fahrgäste auffordern, die Fahrscheine zu zeigen. In einem „asozialen, aggressiven“ Tonfall, wie Kenan bemerkt. Während der 35-Jährige selbst einen Fahrschein hat, macht ein anderer junger Mann auf sich aufmerksam, als er sich langsam und ruhig, aber doch auffällig, von den sich nähernden Kontrolleuren entfernt.

„Die ersten Fahrgäste wurden kontrolliert, ein Mann stand auf und ging weg. Einer der Kontrolleure schrie daraufhin: ‚Ey, du, bleib stehen!‘“, erinnert sich Nazim Kenan. Innerhalb von Sekunden sollen die drei Mitarbeiter der Bahn den körperlich sichtbar unterlegenen jungen Mann eingekesselt haben; dieser habe offenkundig verängstigt und in gebrochenem Deutsch versucht, sich der Situation zu entziehen. „Bei dem Mann handelte es sich sehr offensichtlich um einen Geflüchteten, der zwar tatsächlich versuchte, der Kontrolle zu entgehen, aber ohne jedes Anzeichen von Aggressivität. Im Gegenteil, er hat sich eher ängstlich verhalten“, resümiert Kenan.

„Bahn-Mitarbeiter ist vollkommen ausgerastet“

Dennoch, so belegen es auch Videoaufnahmen, packt plötzlich einer der beteiligten Kontrolleure den schmächtigen Mann und „schleudert ihn mit kompletter Wucht gegen die Tür.“ Nazim Kenan, der bis dahin von seinem Platz aus versucht hat, verbal deeskalierend auf die Bahn-Mitarbeiter einzuwirken, geht nun aktiv auf das Geschehen zu. „Ich bin aufgestanden und habe immer wieder gesagt, dass man sich doch bitte beruhigen möge und dass 60 Euro nicht diese Eskalation wert seien. Daraufhin ist der zuvor handgreiflich gewordene Bahn-Mitarbeiter vollkommen ausgerastet.“

Der Mann habe die „gesamte S-Bahn zusammengeschrien“ und lautstark behauptet, er sei geboxt worden. Doch das stimme definitiv nicht, ist sich Nazim Kenan sicher, der das Geschehen durchgehend aus unmittelbarer Nähe beobachten konnte. Durch seine Intervention gerät nun auch Kenan in den Fokus des Aggressors: „Ich bin höflich geblieben, habe darauf geachtet, die Männer zu siezen und gleichzeitig versucht, auf den verängstigten Fahrgast beruhigend einzureden. Der Kontrolleur schrie mir daraufhin entgegen: ‚Du Behinderter, setz dich wieder hin!‘ Er drohte mir, mich festzunehmen, wenn ich mich weiter einmischte.“

„Vermutlich keine Migrationsfeindlichkeit“

Nazim Kenan versucht das vollkommen verstörte Opfer zu überzeugen, die Polizei zu rufen, doch der Mann winkt ängstlich ab. „Bitte keine Polizei“ wiederholt er laut Kenan immer wieder; er habe Probleme mit den Papieren. Die Angst vor einer möglichen Strafverfolgung hinsichtlich seiner Aufenthaltserlaubnis ist offensichtlich größer als die vor der Körperverletzung durch den Bahn-Mitarbeiter. Dem Kontrolleur habe das in die Karten gespielt, sagt Nazim Kenan; der junge Geflüchtete sei von Beginn an wie ein „Mensch zweiter Klasse“ behandelt worden.

„Insgesamt war es eine sehr aggressive Kulisse“, beschreibt Nazim Kenan die Situation. „Eine Frau, die in der Nähe saß, fing an zu weinen. Mehrere Schulkinder, schätzungsweise zehn Jahre alt, die in Kriftel zustiegen und dabei automatisch in die spannungsgeladene Situation liefen, wurden von dem aggressiven Kontrolleur grob angeschnauzt und weggeschickt. Einige der Kinder waren danach sichtbar verängstigt.“

Klassische Migrationsfeindlichkeit vermutet Nazim Kenan, dessen Eltern gebürtig aus der Türkei stammen, nicht hinter der Attacke; die Kontrolleure seien seiner Einschätzung nach selbst türkischer oder afghanischer Herkunft. Bei der Auseinandersetzung sei es vor allem um das Demonstrieren von Überlegenheit gegangen; der Geflüchtete, der sich sowohl verbal als auch körperlich kaum zur Wehr setzen konnte, sei ein leichtes Opfer gewesen.

Polizei ermittelt

Nazim Kenan zeigte den Vorfall gleich im Anschluss bei der Polizei an, die ermittelt nun wegen Beleidigung und Bedrohung. Der geschädigte Geflüchtete verzichtete bisher auf eine Anzeige wegen Körperverletzung. Bei der Deutschen Bahn ist der Fall bekannt, aufgrund der laufenden Ermittlungen könne man sich jedoch nicht im Detail zu dem Vorfall äußern, teilte eine Sprecherin des Unternehmens auf Nachfrage des JOURNAL FRANKFURT mit, man habe jedoch interne Untersuchungen eingeleitet. „Hierum haben übrigens auch die betroffenen Mitarbeiter noch am vergangenen Freitag von sich aus gebeten“, so die Sprecherin. Wie der Aggressor selbst den Vorfall bewerte, möchte man, ebenfalls mit Blick auf die laufenden Ermittlungen, nicht sagen.

Grundsätzlich positioniere sich die Deutsche Bahn ausdrücklich gegen Diskriminierung und Gewalt. Der Mitarbeiter, der im Zentrum der Ermittlungen steht, sei bereits seit 2013 bei der DB Sicherheit angestellt und habe bisher „tadellos“ gearbeitet. „Unsere Mitarbeiter erhalten ausführliche Schulungen für den von ihnen wahrzunehmenden Aufgabenbereich (im konkreten Fall: Prüfdienst). Es werden regelmäßig offene und verdeckte Qualitätstests durchgeführt. Erfasste Mängel werden konsequent aufgearbeitet und mit den betroffenen Mitarbeitern nachbesprochen“, heißt es seitens der Deutschen Bahn.

Regelmäßige Beschwerden

Nazim Kenan bezweifelt das. Auf ihn hätten die Kontrolleure nicht den Eindruck gemacht, besonders geschult zu sein im Umgang mit Fahrgästen, insbesondere mit Blick auf deeskalierende Maßnahmen. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass Prüfer der Verkehrsbetriebe, nicht nur der Deutschen Bahn, durch aggressives Verhalten auffallen. Regelmäßig gibt es Beschwerden zu dem unfreundlichen Tonfall und Drohgebärden vieler Kontrolleure.

Auch Nazim Kenan beschwerte sich in diesem Zusammenhang bereits im Juni dieses Jahres via Twitter beim RMV. Sein Verdacht: Mit Beginn der Corona-Pandemie und der notwendigen Überprüfung der Maskenpflicht seien innerhalb kurzer Zeit zahlreiche neue Mitarbeiter im Prüfdienst eingestellt worden, ohne entsprechend geschult zu werden.

Die Deutsche Bahn verneint das. Zwar seien bei der RMV vermehrt Präventionsteams unterwegs, um auf die Einhaltung der Maskenpflicht hinzuweisen, diese Mitarbeiter seien jedoch keine Prüfer. „Bei den Sicherheitskräften, die die Deutsche Bahn seit dem Sommer für die Kontrollen der Maskenpflicht in ihren Fernverkehrszügen einsetzt, handelt es sich um geschultes Sicherheitspersonal von DB Sicherheit“, betont die Sprecherin.

Ob die Anzeige Kenans Konsequenzen haben wird, lässt sich kaum sagen. Die Bundespolizei sei sehr hilfsbereit gewesen, er glaube aber nicht, dass die Staatsanwaltschaft dem Fall eine hohe Priorität einräumen wird. Zumindest nicht, solange sich nicht der an erster Stelle Geschädigte meldet. Mit dem hat die Deutsche Bahn übrigens noch nicht Kontakt aufgenommen – natürlich vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen.
 
15. Dezember 2020, 12.42 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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