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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Gesichter der Stadt: Horst Nising

Die Liebe zu den kleinen Dingen

Horst Nising ist Ikebana-Meister. Seine Arrangements sind zum Beispiel in der Paulskirche zu sehen. Sein jüngst erschienenes Buch „Der erste Gesang der Grasmücke“ feiert die schlichte Schönheit der Pflanzen, begleitet von Haikus.
Manchmal, wenn er keine Lust mehr hat, am Schreibtisch zu sitzen, geht Horst Nising in die Küche und betrachtet die Eibe, die 1904 gepflanzt wurde und vor seinem Fenster in die Höhe strebt. „In Japan nennt man das eine geliehene Aussicht. Meine Gärten, das sind die Blumenkästen hier auf der Fensterbank, und dahinter ist die Eibe.“ Auch der Fuji ist so eine geliehene Aussicht. „Ich war mit dem Dichter Reiner Kunze für zwei Ausstellungen in Japan, in der Nähe des Fujis. Er hat gelesen, ich habe dazu 18 Gedichte arrangiert.“ Arrangiert bedeutet, dass Horst Nising zu den Gedichten passende Ikebana-Arrangements gefertigt hat. Ikebana, die japanische Kunstform, wird vom Zen-Buddhismus als einer der möglichen Wege des Menschen zu sich selbst verstanden. Seit 1968 studiert Horst Nising diese Kunstform im Stil der Ikenobo-Ikebana-Akademie Kyoto, der ältesten Ikebana-Schule Japans. Er ist Senior-Professor ersten Grades Shokatoku und gründete 1976 die erste Ikenobo-Ikebana-Gesellschaft in Deutschland. Bis heute ist er selbst als Lehrer in Frankfurt tätig.

Für sein jüngst erschienenes Buch „Der erste Gesang der Grasmücke“, das 21 Abbildungen von Ikebana-Miniaturen versammelt, hat Horst Nising nicht wie sonst Pflanzen in Vasen, Schalen oder Körben arrangiert. Er benutzte kleine verzierte Dosen, emaillierte Kästchen mit Kugelfüßen oder auch einen Fingerhut aus dem Familienbesitz: Der silberne ziselierte Fingerhut stammt aus dem 19. Jahrhundert und gehörte einst Großmutter Helene. Horst Nising hat ihn als Gefäß für eine dunkel-lila Glockenblume, einen gelben Lerchensporn und ein weißgrünes Efeublatt verwendet. Für die Arrangements müssen die spezifischen Eigenschaften der Pflanzen wahrgenommen werden, erklärt Nising, beispielsweise die Wuchsrichtung.

Die Gefäße wurden von ihm behutsam ausgewählt. Wer auf den Abbildungen glaubt, eine Teekanne zu erkennen, wird überrascht: Das Behältnis ist ein eisernes Wasserkännchen, wie es Tuschemaler in Japan benutzen, und nur sechs Zentimeter hoch. „So entstanden die Ikebana-Miniaturen.“ Begleitet werden sie jeweils von einem Haiku, einer traditionellen japanischen Gedichtform und Texten von Lisa und Dietrich Neuhaus. Die Fingerhut-Miniatur etwa wird von einem Haiku des Dichters Nobuko Katsura begleitet: „Leicht und locker/gekleidet treffe ich jemand…/Glühwürmchen-Abend.“ Es ist ein Haiku der Liebe, erklärt Horst Nising. In der klassischen Dichtung Japans gelten Glühwürmchen als Symbole „brennenden Liebensverlangens“. Der mit Kleeblättchen verzierte Fingerhut und das weißgrüne Efeublatt stehen hier als Zeichen einer vertrauten Begegnung. „Die beiden winzigen Glockenblumen für die beiden Verliebten waren im November die letzten im Garten. Und die gelben Blüten stehen für die Liebe, die beide verbindet.“

Horst Nising wurde 1938 in Düsseldorf geboren, einer Stadt mit einer großen japanischen Gemeinde. „Ich war ein sehr schlechter Schüler, deshalb haben mich meine verzweifelten Eltern von der dritten Klasse des Gymnasiums in die achte Klasse der Volksschule versetzen lassen, was mich sehr verletzt hat.“ Nach dem Besuch der Handelsschule und einer Ausbildung zum Industriekaufmann, absolvierte er seinen Militärdienst und begann angeregt durch den Kontakt zu einem Novizen Exerzitien, geistig-religiöse Übungen, zu machen. „Danach habe ich beschlossen, Theologie zu studieren, allerdings musste ich dafür erst Abitur machen.“ Horst Nising ging vier Jahre aufs Abendgymnasium, zusätzlich arbeitete er im Nachtdienst als Krankenpfleger – während seiner Zeit beim Militär hatte er sich ein Diplom erworben – und tagsüber als Buchhändler. Für seine Laufbahn in der Theologie hatte er eine konkrete Vorstellung: „Ich wollte kein Weltpriester werden, ich wollte in eine Gemeinschaft eintreten.“

Horst Nising bewarb sich bei den Jesuiten, deren Ordensgründer Ignatius von Loyola ihn in vielerlei Hinsicht inspirierte. Nach seiner Aufnahme im Orden ging Nising Ende der 60er Jahre nach München, um Philosophie zu studieren und kam dort zum ersten Mal in Kontakt mit Ikebana: „Beim heiteren Beruferaten sah ich eine Japanerin, die eine Handbewegung machte, als ob sie etwas mit einer Schere schneidet.“ Die Schere sollte eine Ikebana-Schere symbolisieren. Das war für ihn eine Art Erweckungserlebnis: „Ich habe dann mit meinem Rektor gesprochen und ihm gesagt, dass ich gerne die Kunst des Ikebana lernen möchte.“ Einmal pro Woche fuhr er von Pullach nach Pasing, um Ikebana zu lernen. Das Studium der Philosophie begeisterte ihn nicht besonders: „Das Wabern des Seins ist mir völlig gleichgültig.“

Nach zwei Jahren mit über 30 Philosophie-Zwischenprüfungen ging er nach Frankfurt, um dort an der Hochschule Sankt Georgen Theologie zu studieren, nach vier Jahren wurde er im Frankfurter Dom zum Priester geweiht. Doch nun kam noch eine andere Wissenschaft hinzu: Horst Nising war Gasthörer im Fachbereich Kunstgeschichte und beschloss nach einem weiteren Studium zu promovieren. 1982 trat er aus dem Jesuitenorden aus. „Mir wurde klar, dass ich mit dem Zwang der Gemeinschaft nicht länger leben konnte. Ich wollte eigene Entscheidungen treffen.“ In der Kunst des Ikebana trifft er sie bis heute, zum Beispiel, wenn der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche verliehen wird. In diesem Jahr wird der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan geehrt. Horst Nising wird eine Ikebana-Skulptur fertigen und dafür Glasvasen, Draht, Chrysanthemen und Weizen verwenden. „Die Skulptur soll Zerstörung und Hoffnung ausdrücken.“

Horst Nising: Der erste Gesang der Grasmücke, erschienen 2022 bei Edition Volker Huber, Offenbach, ISBN 978-3-9815695-3-7

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Dieses Porträt ist zuerst in der Oktober-Ausgabe (10/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
16. November 2022, 10.48 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
Fotogalerie:
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