Was macht ein libanesischer Komponist, Oudspieler und Bandleader als Nächstes, der schon Aufnahmen und weltweite Tourneen mit Jazzgrößen, mit traditionellen arabischen Musikern, mit klassischen Streichquartetten oder mit armenischen Musikern gemacht, Auftragswerke für das BBC-Orchester in London und für das Ensemble Modern in Duisburg komponiert hat - immer mit seiner eigenen Handschrift und doch grundverschieden im Ergebnis? Richtig, er wendet sich nach Portugal, vertont Gedichte portugiesischer Dichter und spielt sie mit einem jungen Fadosänger aus Lissabon ein.
Wie kam das Ganze zustande? Der Direktor des Nationaltheaters in Porto, Ricardo Pais, fragte bei Rabih Abou-Khalil an, ob er daran Interesse habe, portugiesische Gedichte zu vertonen und in Lissabon und Porto aufzuführen. Abou-Khalil, der das alles zunächst für einen gelungenen Witz hielt - zumal er zu dem Zeitpunkt kein Portugiesisch sprach -, sagte dennoch sofort zu, nicht zuletzt aufgrund des Reizes dieser surrealistischen Idee. Abou-Khalil hatte zudem schon länger mit dem Gedanken gespielt, Gedichte zu vertonen, nur fehlte ihm bisher der geeignete Sänger, nämlich ein freigeistiger Virtuose, der Abou-Khalils vertrackte Rhythmen und ungewohnte Melodien singen kann, gleichzeitig aber so weit in der eigenen Musikkultur wurzelt, dass er auch imstande ist, sie zu transzendieren. Sollte das Ganze nun auf Portugiesisch stattfinden, dann eben auf Portugiesisch, auch wenn es noch so absurd anmuten mochte.
Abou-Khalils Neuentdeckung ist Ricardo Ribeiro aus Lissabon, ein Sänger, der bisher "nur" in der klassischen Fadoszene tätig war und sich trotz seiner jungen 26 Jahre schon einen Namen in Portugal gemacht hat. Er singt Abou-Khalils Kompositionen, als wären es seine eigenen; rhythmisch sicher und melodisch souverän meistert er die schwierigen Taktarten und ungewöhnlichen Melodiebögen. Seine so samtweiche wie gewaltige Stimme schmiegt sich dem lyrischen Oudspiel von Abou-Khalil an, verschmilzt mit ihm zu einer Einheit, als würden beide dem gleichen Quell entspringen. Gleichzeitig fließt mit Ricardos "Saudades" die portugiesische Wehmut in die Musik ein.
Nicht allein unterstützende Funktionen haben Abou-Khalils langjährige Musikerkollegen. Da ist etwa Luciano Biondini aus Spoleto in Italien am Akkordeon, der sensibel die melodischen Akzente setzt. Oder der Franzose Michel Godard an der Tuba, am Bass und am Serpent - leichtfüßig wie immer füllt er den Bassbereich aus. Seit etlichen Jahren spielt der amerikanische Schlagzeuger Jarrod Cagwin bei Abou-Khalils verschiedenen Projekten Rahmentrommeln und Drumset; blindlings versteht er dessen musikalische Intentionen und bringt wie kaum ein anderer diese Musik zum Swingen. Das Ergebnis ist eine "imaginäre Folklore", eine Musik, die neu und fremdartig ist und doch vertraut und natürlich klingt, so als hätte es sie schon immer gegeben. Fern jeder Banalität ist hier etwas entstanden, das wie das fehlende Glied zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident, zwischen Klassik und Moderne, zwischen Folklore und Kunstmusik klingt - verwurzelt im Nirgendwo und Überall zugleich.