Kulinarik, Ehekriege und Puppenköpfe

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esther boldt /

Das Theatertreffen 2007 in Berlin ging mit lebhaften Diskussionen um die Schönfärberei und das Unpolitische des Gegenwartstheaters zu Ende



Dido hat gewonnen. Und das ist plausibel. Sebastian Nüblings Inszenierung von „Dido und Aeneas“ (Foto) ist ein Gourmetstück, das im dekorativen Rahmen Barockmusik und Balkanklänge, nahen Liebesschmerz und fernes Kriegsgetöse, Tanz auf Tischen und ein exquisites Vier-Gänge-Menü verbindet. Nicht zu vergessen die junge Schauspielerin Sandra Hüller, die die Figur der Dido zum Ereignis macht, neben dem alles andere zum Randgeschehen gerinnt. Dass nichts erzählt wird in diesem ästhetischen Verschnitt der Barockoper von Henry Purcell und Nahum Tate mit der Tragödie von Christopher Marlow, scheint weder die Theatertreffen-Jury noch den Sender 3sat gestört zu haben, der am Sonntag dem Trio Sebastian Nübling (Regie), Muriel Gerstner (Bühne) und Lars Witterhagen (Musik) den Preis für „eine herausragende künstlerische Leistung aus dem Kreis der zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen“ zuerkannte.



Ohnehin hat das diesjährige Theatertreffen sich von Kritik und Publikum den Vorwurf der Belanglosigkeit machen müssen, die Stücke seien großteils unpolitisch, es werde auf ästhetische Kulinarik ohne Mehrwert gesetzt, der Spaßgesellschaft Spaßtheater geliefert. Jurymitglied Karin Cerny dagegen meinte, dies ließe sich auch in der Gegenrichtung lesen, wenn die Lücke spürbar werde hinter dem Vergnügen, sei dies doch bereits wieder hochpolitisch.



Der Verdacht der Banalität erging auch gegen Yasminas Rezas Boulevard-Stück „Der Gott des Gemetzels“ in der deutschen Uraufführung von Jürgen Gosch am Schauspielhaus Zürich. Zwei Ehepaare Mitte, Ende 30 lernen sich zufällig kennen, denn der elfjährige Sohn der Reilles hat dem gleichaltrigen Sohn der Houillés zwei Zähne ausgeschlagen. Nun muss eine Umgangsweise für diese Gewalttat gefunden werden, Buße verordnet, Schuld zugewiesen, Ursachen aufgedeckt. Und dann wird in Johannes Schütz’ kargem Bühnenbild eine Schlacht um die Zivilisation daraus, um das Überleben des Stärken, den „Gott des Gemetzels“, in der alles in die Waagschale geworfen wird, was Zeitgenossenschaft verheißt und Überzeitlichkeit zugleich: Ein vertuschter Pharmaskanal, zwei ausgeschlagene Zähne, ein ausgesetzter Hamster und ein permanent klingelndes Handy, Jugendbanden und das Massaker von Darfur, überhaupt: Die Erste und die Dritte Welt, Kultur und Faustkampf. und in der jeder der vier zum Wechselbalg und Überläufer wird, sich mal auf diese, mal auf jene Seite schlägt, der Mann sich zum Manne, die Liebe zur Liebe gesellt. Dörte Lyssewski und Tilo Nest als Ehepaar Houillé und Corinna Kirchhoff und Michael Maertens als Reilles treiben in diesem Konversationsstück jede Pointe gekonnt auf die Spitze.



Beim anschließenden Publikumsgespräch delegierte Gosch das Wort sofort ins Publikum: Er habe kein Interesse an einer Podiumsdiskussion, er möchte die Zuschauer reden hören. Und nahm so Moderator Tobi Müller das Wort, der daraufhin artig schwieg, während sich das Publikum stritt, ob das Stück nun banal und belanglos sei oder doch von fruchtbarem Wiedererkennungswert.



Als letztes Stück wurden Tschechows „Drei Schwestern“ gezeigt, in einer schlaglichtartigen Inszenierung von Andreas Kriegenburg (Münchner Kammerspiele), der sich wie der Autor für das Vergehen der Zeit interessiert – so wird Irina (Katharina Schubert) bereits zu Beginn ein Kreisel geschenkt, im Mittelalter Symbol für die vergehende Zeit, heute wie früher Kinderspielzeug. Doch dieser Kreisel ist weiß, wie auch dem Bühnenbild und dem Kostüm in beige und abgeschatteten Weißtönen jedwede Farbigkeit abgeht. So sieht man, als Irina den Kreisel zum Kreiseln bringt, seine Rotation gar nicht: die Zeit verstreicht ungesehen. Aber unabwendbar. Wie auch der Abend über die Bühne gehen wird, ohne dass die Farbe wechselt, ohne dass also die Bewegung sichtbar wird. Doch die anfangs aufgeräumte Bühne verkommt zusehends, ebenso wie die Hoffnung der drei Schwestern verfällt, die sich in ihrer Sehnsucht nach einem anderen Leben, für die ihre Geburtsstadt Moskau steht, verbeißen. Kriegenburg infantilisiert die drei Frauen, ihr Zweifel an der Welt und der Rückzug ins Private, mit dem sie sich selbst im Wege stehen – die Sehnsucht nach Moskau, nach der Kindheit, nach Unschuld ohne die Last der Verantwortung. So ziehen sich die Schwestern und ihre Mitspieler von Zeit zu Zeit große Pappmachéköpfe über, kugelrunde Puppenköpfe mit traurigen, schwarzgeränderten Augen, unter denen sie sich grotesk bewegen. Und sie bilden eine Balkanband, zwischendurch, mit Trommeln, Blasinstrumenten und Ziehharmonikas, beleben mit traurigem Willen nach Lebensfreude und Übermut die Szenerie. Und trotz allem Übersetzungswillen: Zwischen dem Zahn der Zeit und der ewigen Flucht ins Infantile gerät die Inszenierung ins Stocken, gewinnt das Possierliche Überhand, wird die Stagnation zur ermüdenden, enervierenden Geste. Bereits zur Pause wird gebuht, und als die über drei Stunden vorbei sind und Kriegenburg einmal mit seinen Schauspielern die Bühne betritt, branden ihm regelrechte Wellen von Buh-Rufen entgegen.




Foto: Sebastian Hoppe


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