Die Wiege der Demokratie

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red /

Sie ist knapp 70 Meter hoch und ein Symbol der Republik: die Frankfurter Paulskirche. Der runde Kirchenbau aus Sandstein wirkte bei seiner Einweihung 1833 in der Altstadt mit ihren vielen kleinen, alten Häuschen wie ein Fremdkörper. Im Zweiten Weltkrieg brannte die Paulskirche bis auf die Grundmauern nieder. Als Wahrzeichen und Mahnmal wurde sie 1947/1948 als eines der ersten Gebäude der Stadt wieder aufgebaut. Denn ihr klassizistischer Bau ist untrennbar mit dem Aufbruch in die politische Moderne verbunden: der Nationalversammlung von 1848.

Am 18. Mai 1848 war ganz Frankfurt mit Blumen geschmückt, alle Glocken läuteten, und die Menschen standen Spalier an den Straßen. Unter tausenden Fahnen, Transparenten, Glockengeläut und dem Jubel der Massen kam am 18. Mai 1848 die erste frei gewählte Nationalversammlung in der Paulskirche zusammen. Mit dem größten und modernsten Saal Frankfurts hatte sich die Kirche für die illustre Versammlung angeboten. In aller Eile nahm man Ende März 1848 die notwendigen Umbauten vor: Wände und Fenster der Kirche schmückte man mit Fahnen in den Burschenschaftsfarben Schwarz-Rot-Gold, anstelle des Altars wurde der Präsidententisch aufgebaut. Allerdings war die Kirche unerträglich kalt, und so mussten die Volksvertreter für 40 Sitzungen auf eine Kirche am Kornmarkt ausweichen, bis schließlich die Paulskirche mit einer der ersten Zentralheizungen Deutschlands ausgestattet war. Nun sorgten zwei mit Steinkohle befeuerte Heizkessel und eine für die damalige Zeit hochmoderne Warmwasserfußbodenheizung für angenehme 18 Grad.

Am 27. März 1849, vor nunmehr 160 Jahren, verabschiedeten die in der Paulskirche Versammelten eine Reichsverfassung - die Paulskirchenverfassung. Dafür hatten viele über Jahre hinweg gekämpft - Schriftsteller, Studenten, Professoren, kurz alle, die endlich die Freiheiten der Französischen Revolution auch in Deutschland haben wollten. Auch wenn die Paulskirchenversammlung an den nationalen Interessen Preußens und Österreichs letztlich doch scheiterte, hatten viele Ergebnisse der 48er Revolution nachhaltige Wirkung: Der erarbeitete Grundrechtskatalog war wegweisend für die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz von 1949. Zu ihren Kernstücken gehören unter anderem die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung der Freiheit der Person, der Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit. Auch mit der Abschaffung der Todesstrafe war die Paulskirchenversammlung ihrer Zeit weit voraus. Das Resümee des Abgeordneten Max von Gagern 1849 lautete dann auch: "Keine Macht wird ersetzen, was in den Augen der Nation als freier Ausdruck ihrer Selbstbestimmung bereits gewurzelt hat."

Im März 1944 ging die Frankfurter Altstadt und mit ihr die Paulskirche im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges unter. Einige Brandbomben hatten den Dachstuhl getroffen und in Brand gesetzt. Das Feuer fraß sich durch, bis das Gebälk zusammenstürzte und auch den Innenraum zerstörte. Nach dem Krieg wurde die Paulskirche als nationales Symbol für die Freiheit und Geburtsort der Demokratie als eines der ersten Gebäude mit Hilfe von Spenden wieder aufgebaut. Unter der Leitung des Architekten Rudolf Schwarz sollte die Paulskirche nach der Schreckenszeit des Nationalsozialismus als eine weltoffene Bühne wieder erstehen. Vor allem die Innenräume wurden stark verändert. Die Gestaltung insgesamt demonstrierte auch die Abkehr vom diktatorischen Pomp der NS-Architektur. Der Bau sei ihnen "in einer solchen nüchternen Strenge (geraten), dass darin kein unwahres Wort möglich sein sollte", stellte Kirchenbaumeister Schwarz rückblickend fest. Als "Haus aller Deutschen" wurde sie zum hundertsten Gedenktag der Nationalversammlung am 18. März 1948 feierlich wiedereröffnet. In der Umgebung des Paulsplatzes lagen noch überall Trümmergrundstücke, die man notdürftig mit Tannenzweigen zugedeckt hatte. Als am Nachmittag die sechs Glocken der Paulskirche feierlich zu läuten begannen, befand sich unter ihnen auch eine aus dem Jahre 1830, die bereits 1848 während des Einzugs der Abgeordneten des ersten deutschen Parlaments geläutet hatte. Die Festansprache hielt der Schriftsteller Fritz von Unruh. Seine "Rede an die Deutschen" war eine kritische Analyse der NS-Zeit.

Gespräche, Diskussionen, Ehrungen und Auszeichnungen prägten fortan die Begegnungen in der Paulskirche. In der Bundesrepublik wurde sie zu einem Ort des Gedenkens und der Erinnerung, und innerhalb wie außerhalb Deutschlands sieht man in ihr ein Symbol des demokratischen Willens der Deutschen. Fast alle, die Rang und Namen haben in der kulturellen, wirtschaftlichen oder politischen Szene der Bundesrepublik, haben hier schon einmal auf der Bühne gestanden, ob als Preisträger oder als Laudator, ob als Redner oder Diskutant. Seit 1948 findet die Verleihung des 1927 von der Stadt gestifteten Goethepreises regelmäßig in der Paulskirche statt. Fritz von Unruh war der erste Preisträger, der die auf Pergament geschriebene Urkunde erhielt. Auch die Auszeichnung mit dem "kleinen Nobelpreis", dem Paul Ehrlich- und der Ludwig Darmstaedter-Preis, wird in einer Feierstunde in der Paulskirche zelebriert, ebenso die Verleihung der Ehrenbürgerrechte der Stadt, etwa an Theodor Heuss oder François Mitterrand. Und selbstverständlich wird auch der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche verliehen. Dabei macht sie ihrem Ruf der Streitbarkeit immer wieder Ehre. So kam es zu vehementen Protesten, als Martin Walser 1998 den Friedenspreis erhielt und aus diesem Anlass seine umstrittene Rede hielt.

Die Frankfurter Paulskirche ist in Deutschland zu einem Ort der intellektuellen Auseinandersetzung und der geistigen Begegnung zwischen Kulturen und Nationen par excellence geworden. John F. Kennedy brachte dies bei seinem Besuch in Frankfurt im Jahr 1963 auf den Punkt. Als "Wiege der deutschen Demokratie" bezeichnete der amerikanische Präsident die Paulskirche, "die wie kein anderes Gebäude in Deutschland einen begründeteren Anspruch auf diesen Ehrentitel hat".

Text: Jana Kremin/PIA/Stadt Frankfurt, Foto: Karola Neder


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