Der plötzliche Wintereinbruch in Hessen hat auch Auswirkungen auf einen der größten Wirtschaftprozesse in der deutschen Geschichte, der heute im Saalbau Bornheim begonnen hat. Da der Vorsitzende Richter Christian Dittrich auf dem Weg von Gießen nach Frankfurt wegen eines auf die Gleise gestürzten Baumes im Zug festsaß, konnte der Telekom-Prozess erst um 11 Uhr, mit einer Stunde Verspätung, beginnen. Der erwartet große Ansturm zum Prozessauftakt blieb indessen aus. Zwar waren um 10 Uhr zahlreiche Medienvertreter vor Ort, allerdings kam es nicht zu Protestaktionen der klagenden Anleger. Auch die Zahl der Rechtsvertreter hielt sich in Grenzen. Gestern gingen Medienberichte noch von einem Aufgebot von allein 600 Anwälten aus. Da der größte Saal am Frankfurter Oberlandesgericht nur etwa 200 Personen fasst, wurde extra das Bornheimer Bürgerhaus für die zunächst 17 angesetzten Verhandlungstage angemietet. In dem Musterprozess klagen 17.000 Aktionäre wegen Täuschungen beim Börsengang der Telekom. Damals betrug der Ausgabepreis pro Aktie 63,50 Euro. Am Freitag schloss das Papier an der Börse mit einem Kurs von 11,18 Euro. Der Streitwert beträgt 80 Millionen Euro.
„Heute und morgen wird es vorwiegend um die Klärung von Verfahrensfragen gehen“, so Ingo Nöhre, Pressesprecher des Oberlandesgerichts. „Für Personen, die sich mit der Materie nicht auskennen, könnte es sehr langweilig werden.“ Ein erstes Statement kündigte er für das Ende der heutigen Sitzung, gegen 17 Uhr, an. Als ersten Zeugen hat das Gericht für den dritten Verhandlungstag am 14. April den früheren Telekom-Chef Ron Sommer geladen.
Die ersten Klagen von Anlegern waren im Jahre 2001 beim Landgericht Frankfurt eingegangen. Sie werfen der Telekom vor, beim Börsengang des Unternehmens getäuscht worden zu sein. Das Kommunikationsunternehmen hatte die sogenannte Volksaktie in einer aufwendigen Werbekampagne Ende der 90er Jahre als sichere und langfristige Geldanlage, gerade für Kleinanleger, angepriesen. Im Werbeprospekt für das Wertpapier wurde jedoch nicht auf die Absicht hingewiesen, den Konkurrenten Voicestream übernehmen zu wollen. Durch die Transaktion hatte die Telekom Schulden in Höhe von 70 Milliarden Euro angehäuft. Außerdem soll das ehemalige Staatsunternehmen seinen Immobilienbestand zur Bewertung an der Börse schöngerechnet haben. Der Wert wurde später um 2,5 Milliarden Euro nach unten korrigiert.
In einem Prozess mit amerikanischen Anlegern hatte die Telekom nach der Beweisaufnahme und ersten Zeugenanhörungen einen Vergleich geschlossen und 120 Millionen Euro gezahlt. Jetzt vertritt das Unternehmen eine andere Strategie. Demnach hätten die Anleger in einem Umfeld gehandelt, das von der New Economy geprägt und deshalb mit einem grundsätzlichen Spekulationsrisiko verbunden gewesen sei.
Um all diese Fragen zu klären, wird die Anrufung von Sachverständigen erwartet. Das könnte mehrere Jahre dauern und Millionen kosten. Um das Verfahren zu beschleunigen wurde extra die „Lex Telekom“ geschaffen. Dieses Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ermöglichte erst die Bündelung der 17.000 Einzelklagen. Anlegeranwalt Andreas Tilp hält eine Prozessdauer von bis zu 20 Jahren dennoch für möglich. Der Vorsitzende Richter Christian Dittrich würde dann schon längst nicht mehr mit dem Fall betreut sein. Er geht 2010 in den Ruhestand.