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Foto: Wolfgang Uhlig
Foto: Wolfgang Uhlig

Gespräch mit Bela Cohn-Bendit – Teil 2

„Die AfD wird zum Sammelbecken der Rechten werden“

Bela Cohn-Bendit ist Mitbegründer des FC Gudesding, der wie kein anderer Fußballverein für den Kampf gegen Diskriminierung steht. Im zweiten Teil des Gesprächs mit dem JOURNAL FRANKFURT geht es um die deutsche Bildungspolitik und den Rechtsruck in Europa.
JOURNAL FRANKFURT: Bela, du bist selbst kein Jude, deine Familie väterlicherseits ist allerdings jüdisch; deine Großeltern mussten während der 1930er-Jahre vor den Nationalsozialisten nach Frankreich fliehen. Welche Rolle spielte die Aufarbeitung der Shoah während deines Aufwachsens?

Bela Cohn-Bendit: Meine Familiengeschichte ist zum Teil durch die Geschichte einer Opferfamilie geprägt, auch, wenn diese nicht ununterbrochen bei uns daheim diskutiert wurde. Mein Vater kam im französischen Exil zur Welt, die Familie kehrte erst in den 50er-Jahren nach Deutschland zurück. Meine Großeltern väterlicherseits sind früh gestorben, was möglicherweise mit dem Trauma der Flucht vor den Nazis zusammenhängt. Mein Vater ist entsprechend anders aufgewachsen. Er ist zwar kein praktizierender Jude, aber er hat natürlich jüdische Kultur und Geschichte erlebt – und auch ich wurde dadurch ganz anders sozialisiert. Man kommt da nicht raus. Durch meinen Namen wird mir schon seit meiner Geburt oft eine natürliche Nähe zur Jüdischen Gemeinde zugeschrieben. Meistens durch Nicht-Juden, die nicht verstehen, dass ich kein Jude bin, obwohl mein Vater jüdisch ist. Heute ist diese Nähe, die durch die Mitgliedschaft beim TuS Makkabi intensiviert wurde, mein selbstgewählter Weg.

Welche Erfahrungen mit Antisemitismus musstest du selbst aufgrund deines Engagements beim TuS Makkabi und beim FC Gudesding oder auch aufgrund deiner Familiengeschichte bereits machen?

Glücklicherweise nur sehr wenige. Ein Ereignis ist mir in Erinnerung geblieben: Ich wurde einmal auf der Straße, in Begleitung eines Freundes, angepöbelt. Wir trugen unsere Makkabi-Trainingsanzüge und jemand rief uns nach: „Schon wieder die Scheiß-Juden.“ Das war eine sehr offen gezeigte Anfeindung, grundsätzlich beginnen antisemitische Äußerungen für mich aber schon früher mit Aussagen wie „schon wieder ihr“ oder das pauschalisierende „so sind Juden eben“. Viele Menschen meinen solche Kommentare gar nicht verletzend, dennoch ist es ein Ausdruck antisemitischer Vorurteile, Juden in bestimmte Kategorien einzuordnen und die jüdische Herkunft als Grund für gewisse Aussagen zu missbrauchen. Mir wird schlecht, wenn ich so etwas mitbekomme. Besonders schlimm: Es sind oft hoch gebildete Menschen, die solche Dinge sagen. Ungenauigkeiten in der Sprache, die immer wieder antisemitische und rassistische Vorurteile entlarven, sind ein massives Problem.

Hast du das Gefühl, dass die Begriffe Antisemitismus und Rassismus oft vermischt werden?


Ja, definitiv. Antisemitismus und Rassismus sind beides vielschichtige Begriffe. Sicherlich finden sich im Antisemitismus rassistische Merkmale – aber Antisemitismus und Rassismus meinen eben nicht das gleiche. Für eine fundierte Debatte ist es wichtig, diese Unterschiede zu berücksichtigen. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist ein anderer als der gegen den Rassismus. Auch, wenn beide Kämpfe gleich wichtig sind.

Was würdest du dir von der Politik wünschen, um dem wiedererstarkenden Rechtsruck zu begegnen?

Das ist schwierig zu beantworten. Ich denke nicht, dass die Politik untätig ist, aber die Projekte, die angestoßen werden, reichen noch nicht. Hinsichtlich des Umgangs mit Antisemitismus würde ich mir vor allem einen grundlegend anderen Umgang mit Judentum an den Schulen wünschen. Im Schulunterricht ist Judentum fast ausschließlich negativ konnotiert. Es geht immer um die Juden als Opfer, dabei bieten jüdische Geschichte und jüdisches Leben so viele positive, spannende Aspekte, die es wert wären, unterrichtet zu werden, in der Bildungspolitik aber so gut wie nie eine Rolle spielen. Natürlich muss auch die Geschichte des Holocaust intensiv besprochen werden, um immer wieder daran zu erinnern, dass sich diese Verbrechen niemals wiederholen dürfen. Aber um das zu schaffen, ist eben auch eine positive Auseinandersetzung mit dem Judentum selbst notwendig – und zwar interdisziplinär, über den Geschichtsunterricht hinaus

Und wie sollte die Bildungspolitik Rassismus begegnen?

Rassismus ist noch mehr als Antisemitismus ein Bildungsproblem, vor allem in der frühkindlichen Erziehung. Ich finde, es sollten für den Kindergarten oder die Vorschule Betreuungsangebote geschaffen werden, um eine möglichst frühe Begegnung von Kindern unterschiedlicher Herkunft zu fördern. Begegnung und Austausch sind die effektivsten Mittel gegen Rassismus und Antisemitismus. In Frankfurt wird Multikulturalismus gelebt, sei es in Fechenheim oder Sachsenhausen. Vorurteile haben aber manchmal einfach mit Neid zu tun, der vor allem durch wirtschaftliche Faktoren bestimmt wird. Dabei ist natürlich klar, dass die Aussage „die kommen hierher und nehmen mir meine Jobs weg“ totaler Quatsch ist. Der in Deutschland geborene Junge namens Peter hat zwanzig Jahre später nicht mehr Anrecht auf einen Job als der in Deutschland geborene Junge, dessen Eltern Eritreer sind und anders aussehen als Peters Eltern. Ich bin immer wieder überrascht und schockiert, wenn ich erlebe, wie Menschen behandelt werden, die in Deutschland geboren wurden, deren Eltern aber nicht gebürtig von hier sind. Sie haben einen deutschen Pass, fühlen sich als Deutsche und sind auch für mich eindeutig Deutsche. Dennoch beharren Menschen immer wieder darauf, dass sie keine Deutsche seien. Ich habe die Hoffnung, dass sich dieses grundlegende Verständnis vom „Deutschsein“ mit unserer Generation ändert – es muss sich ändern. Aber dafür braucht es Zeit und eine verbesserte Bildung.

Denkst du, wir werden diese grundlegende Entwicklung der Gesellschaft noch erleben?

Ja, ich denke da positiv. Es ist heute schon besser als vor 20 Jahren – dann kann es in 20 Jahren nochmal besser sein.

Anderseits ziehen mit der AfD gerade Rechtspopulisten in unsere Parlamente ein.

Die AfD hat sich nur als Partei konstituiert. Das Gedankengut war schon immer vorhanden. Meiner Meinung nach haben die Deutschen die Verbrechen der Nazis nicht aus eigenem Antrieb aufgearbeitet – sie wurden durch die Amerikaner zur Aufarbeitung gezwungen. Das ist gut und richtig so, nur so konnte sich Deutschland zu dem Staat entwickeln, in dem wir heute sehr komfortabel leben dürfen. Aber das rechte Gedankengut ist nach wie vor da – übrigens genauso wie im Rest Europas. Schaut man nach Spanien, Italien, Frankreich oder Österreich muss man feststellen, dass die rechtspopulistischen Parteien schon seit langem bis zu 20 Prozent erreichen. Warum sollte es in Deutschland anders sein? Ich bin überzeugt, dass die Maske der Deutschen mit Thilo Sarrazin gefallen ist, seitdem sind rassistische und antisemitische Äußerungen wieder salonfähig. Die ganzen Nazis kommen jetzt raus – aber eigentlich waren sie schon immer da. Die AfD wird zum Sammelbecken der Rechten werden, aber sie wird es niemals schaffen, unsere Gesellschaft aus den Angeln zu heben, wie es in den 20er- und 30er-Jahren geschehen ist. Die Europäerinnen und Europäer sind zu satt, um sich politisch so zu empören – sei es für oder gegen die Rechten. Ich bin überzeugt: Unsere Gesellschaft ist stark genug, um dem Populismus die Stirn zu bieten.

Das Gespräch führte Ronja Merkel.

Bela Cohn-Bendit, 28, bis vor kurzem sportlicher Leiter bei TuS Makkabi, Mitbegründer des FC Gudesding

Das Interview mit Bela Cohn-Bendit erscheint als Teil unserer Reihe „Gesicht zeigen! Warum Antisemitismus und Rassismus in Frankfurt keinen Platz haben“. In den kommenden zwei Wochen veröffentlichen wir an dieser Stelle Gespräche mit verschiedenen Akteuren, die sich im Kampf gegen Diskriminierung engagieren. Die aktuelle Print-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT widmet sich diesem Thema in einer 22-seitigen Porträtstrecke.

Update: Der Artikel wurde am 30.01.2019 um 13:37 Uhr aktualisiert.
 
30. Januar 2019, 09.39 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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