Für die Frankfurter ist die Dippemess ein beliebtes Spektakel – zweimal im Jahr. Doch wie ist es, wenn man auf dem Rummelplatz arbeitet, wenn also das Volksfest der Alltag ist? Wir haben für Sie hinter die Kulissen geschaut.
Nicole Brevoord /
Noch bis zum 1. Mai flackern an den Fahrgeschäften der Dippemess die Lichter, wummern stimmungsaufpeitschende Pophits aus den Lautsprechern und wabert der Pommesduft über den Festplatz am Ratsweg. Am Donnerstag sollen sich 100.000 Besucher auf dem traditionellen Volksfest vergnügt haben, an Ostern waren es deutlich weniger. Die 143 Schausteller müssen bei Wind und Wetter ausharren, da ist jeder Tag anders. Wie man sich auf einem Jahrmarkt vergnügt, weiß jedes Kind. Aber wie ist es, am Rummelplatz zu arbeiten und womöglich sogar dort zu wohnen?
In einem Container nahe der U-Bahn-Station befindet sich die ständig besetzte Festplatzwache. Eine zweistellige Zahl an Polizisten in Uniform und auch in Zivil sorgen für Sicherheit auf dem Areal. Das ist für dreieinhalb Wochen der Arbeitsplatz von Sebastian Striesow, dem stellvertretenden Leiter der Wache, der sonst beim 6. Polizeirevier arbeitet. „Das ist mal eine Ablenkung vom alltäglichen Streifendienst. Das Flair auf der Dippemess ist toll, es ist eine eigene Welt hier unten, man lernt all die Schausteller kennen und es macht richtig Spaß“, sagt der 32-Jährige. Der Polizeibeamte zeigt uns die Ausnüchterungszelle, in der seit dem 7. April bereits 21 Personen kurzfristig untergebracht waren. „Wir entlassen die Leute natürlich so schnell wie möglich“. Auf einem Regal in der Wache steht eine Armada an Funkgeräten, ein Fach darunter befindet sich eine Vodkaflaschensammlung, alles konfiszierte Ware. Alkohol berge viel Aggressionspotenzial. Bislang habe es rund um die Dippemess vier Körperverletzungsdelikte mit anschließender Täterfestnahme gegeben, bei Taschenkontrollen habe man bei Besuchern ein Messer und eine Schreckschusswaffe gefunden, einem Schausteller sei auch in die Kasse gegriffen worden. Für bundesweites Aufsehen sorgte die Rettung eines nicht mehr atmenden Babys durch einen Kollegen von Striesow. „Das war natürlich ein positives Highlight!“
Neben der Wache befindet sich die DRK-Sanitätsstation. Hier arbeitet der 72-jährige Rettungsassistent Theodor Brand, ein Dippemess-Urgestein. Seit 1963 ist er immer dabei gewesen, hat Geburten erlebt, Erste Hilfe geleistet, EKGs geschrieben und Kinder beruhigt, die ihre Eltern im Trubel aus den Augen verloren haben. „Auch die Schausteller lassen sich bei uns gern mal verarzten, das ist ein ganz eigenes Völkchen.“ Gebrochene Beine, Schädelhirntraumen oder durch das Stroboskoplicht ausgelöste epileptische Anfälle und natürlich Kreislaufprobleme, nicht zuletzt durch Alkohol, gehören zum täglichen Repertoire. „Binnen sieben Minuten kann ein Notarzt da sein“.
Auf der anderen Seite des Festplatzes öffnet Astrid von der Gathen die Türe ihres Wohnwagens, der hinter einer Ansammlung von Teddy to go-Greifarmautomaten versteckt ist. Direkt vor ihrer Haustür quasi versuchen Dippemessbesucher Plüschminions zu ergattern. In Nordrhein-Westfalen sind Ferien, darum wohnt die Schaustellerfamilie mit den zwei Teenagertöchtern derzeit nicht im Haus in Köln, sondern auf Rädern. Aber wie! Wir bestaunen einen gemütlichen Alkoven, das Etagenbett der Kinder, ein modernes Bad mit Waschmaschine, die ausladende Polstergarnitur im Wohnzimmer und die rustikale Einbauküche. Die rustikal eingerichtete Wohnfläche lässt sich vergrößern und für den Transport auch wieder zusammenschrumpfen. „Neun Monate im Jahr sind wir unterwegs. In der Familie gibt es schon über Generationen Schausteller“, sagt die Düsseldorferin, die mit ihrem Mann auch den Kölner Weihnachtsmarkt veranstaltet und auch in Birmingham vertreten ist.
Mit dem Kauf einer Konzertorgel 1900 fing bei der Familie Roie das Schaustellerleben an. Thomas Roie nennt sich selbst „Kirchturmreisender“, er reist weniger durchs Bundesgebiet, dafür bespielt er das Rhein-Main-Gebiet. Etwa mit dem nostalgisch anmutenden Wellenreiter, ein Kettenkarussell, das hinter der romantischen Fassade modernste Technik versteckt, etwa LED-Beleuchtung. Regelmäßige TÜV-Kontrollen, gesetzliche Auflagen und Anforderungen, das Leben der Reisenden habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert. Man wachse da hinein, auch deshalb gebe es wenig Neu- oder Quereinstieger, sagt Roie. An der Kasse vom Wellenreiter sitzt Roies Tochter und auch sein Sohn wird die Familientradition fortführen. „Man wird auf der Kirmes geboren, man kennt kein Wochenende, ist als Kind ständig allein unterwegs, das Großwerden auf der Kirmes ist sehr charmant“. Roie hat den Kindern die Berufswahl freigestellt, aber sie werden wie die restlichen 15 Familienmitglieder auch Fahrgeschäfte und Kirmesstände betreiben. „Für meine Kinder gibt es kein anderes Leben“.
„Mein Geschäft sind die Menschen“, sagt Christine Beutler-Lotz, seit 1981 evangelische Schaustellerpfarrerin. Ja, das gibt’s. Sie hält auch schon mal Gottesdienste im Festzelt oder am Autoscooter ab, auch mal nach Betriebsende um 23 Uhr. Ob auf der Mainzer Fassnacht, beim Wormser Pfingstmarkt oder eben auf der Dippemess: Wo es ein Volksfest gibt, bietet sie Seelsorge an, kennt ihre 2000 evangelischen Schäfchen, die Schausteller, ganz genau. Per Facebook und What’sapp wird die in Alzey lebende Pfarrerin kontaktiert. Sie tauft Babys, betreut Konfirmanten und schließt Ehen und bevor jemand aus dem Kreis der Schausteller stirbt, hat sie meist schon die Krankengeschichte ganz nah miterlebt. „Welcher Pfarrer kann schon sagen, dass seine Gemeindemitglieder seine Nummer im Handy gespeichert haben!“ 4000 Schausteller betreut sie, da ist die Konfession erstmal zweitrangig, denn die Katholiken gönnen sich nicht den Luxus einer eigenen Schaustellerseelsorge. Christine Beuter-Lotz hat Thomas Roies Sohn getauft und dessen Vater beerdigt. 30.000 Kilometer verfährt sie im Jahr, sie segnet auch neue Fahrgeschäfte. „Gerade Reisende brauchen einen festen Halt, da spielt der Glaube eine wichtige Rolle.“ Mit ihrem Mann, einem Gemeindepfarrer, würde sie nicht tauschen wollen, der müsse sich etwa auch um den Erhalt des Pfarrhauses kümmern, sie hingegen habe dafür mehr Freiheit und vor allem Zeit für die Menschen.