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Mein erster Ostermarsch

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Ich sehe mich als modern denkender Mensch und großer Freund der individualistischen Gesellschaft, Werber würden mich wahrscheinlich postmoderner Performer oder so nennen. Nichtsdestotrotz bin ich natürlich für Frieden. Ich meine: wer ist das nicht? Also die Schuhe geschnürt und zum Mainufer hinunter und frohen Mutes Richtung Römer. It's Ostermarsch-Time! Wobei, ich muss schon wieder einschränken: marschieren kommt für mich nicht mehr in Frage. Been there, done that. Bei der Bundeswehr. Da ging's natürlich weniger um Frieden, auch nicht an Ostern. Der Sternmarsch: nix für mich. Sowieso wieder so eine uniformistische Veranstaltung. Von allen Ecken marschieren die Häuflein heran, und dann auch noch derart früh. In Offenbach traf man sich um 10.15 Uhr, drei Stunden vor Veranstaltungsbeginn am Römer. Ich bin so zwanzig vor eins los, wenn man gut marschie... äh... festen Schrittes läuft, braucht man 45 Minuten. So war's dann auch.

Der erste Blick auf den Römer hat mich aber enttäuscht. So wenige?

In den Legenden der 40plus-Generation hört man von Hunderttausenden, die in Bussen aus dem ganzen Bundesgebiet und so weiter und so fort. Nun stehe ich vor einigen hundert Verrückten, die bei, man kann es nicht anders sagen, Schietwetter ernste Gesichter machen, im ersten Augenblick denke ich: Betroffenheitsgesichter. Auf der Bühne steht irgendsone arme Verdi-Gewerkschaftsfrau, die abgehackt ins Mikro spricht, nicht nur dass der Sound scheiße ist, die Rhetorik ist es auch. Ich wende mich ab, neben der Bühne ein Klamottenstand. "Geht ganz gut", sagt der Mann, der die Devotionalien verkauft (bei drei T-Shirts, eins kostenlos). Che Guevara hat er im Angebot und diese regenbogige Pace-Fahne auch, aber die hab ich schon, vor ein paar Jahren auf einem Flohmarkt in Italien gekauft, bei Sonnenschein und 25 Grad. Friedensbewegte sind scheinbar immer in Kauflaune. Sogar beim Büchertisch unter dem Justiziabrunnen wird beherzt zugegriffen, Sozialismus heute und der ganze Schund. Daneben stehn die Marxisten und Leninisten, die Antifa, die Linke hat einen schrottreifen Bus mit Propagandamaterial auf den Römer gekarrt, dazwischen wundern sich spanische Touris, was das alles soll. Und wo zur Hölle ist eigentlich die SPD? Trauen sich die Luschen nicht mehr, Flagge zu zeigen?

Vorne in der ersten Reihe steht ein wütend dreinschauender Mann, der sich, so zumindest sein Banner, wohl ein freies Palästina wünscht. Neben ihm steht ein Rentner, daneben jemand der das Gewerkschaftsfraugebrabbel mit seinem Handy aufnimmt (jetzt mal ohne Scheiß: das wird der langweiligste Youtube-Film seit langem).

Hinter der Bühne stehen die Journalisten, die eifrigen unter ihnen schreiben sehr fleißig in ihre Blöcke und schauen nur ab und an mal nach oben, ich kann das verstehen, sie wollen nicht, dass man denkt, sie gehörten dazu, also zu diesen Ostermarsch-Leuten, es ist ihnen peinlich und der Block und der Stift und das Gekritzel sagen: hey, ich bin von der Presse, Baby, die Leute hier kenn ich gar nicht. Willi van Ooyen ist auch hinter der Bühne, der Mann ist Fraktionsvorsitzender der Linken, vor allem ist er aber eine DER Ikonen der Friedensbewegung, er hat schon mehr Ostermärsche erlebt als die SPD Führungskrisen, er MUSS es wissen. "Hey, hallo Herr van Ooyen! Warum, warum sind eigentlich so wenig Leute hier?"
"Wenig?"
Willi van Ooyen schaut belustigt von seinem Handy hoch, anscheinend wollte er grad ne SMS schreiben. "Was Sie hier sehen, ist der harte Kern der Friedensbewegung." Ist die Zeit der Massenmobilisierung vorbei? Van Ooyen glaubt es nicht: "Die Leute gehen massiv auf die Straße, wenn sie merken, dass sie dadurch etwas verändern können." 2003 sei das gut zu beobachten gewesen: 500.000 hätten da in Berlin gegen den Irakkrieg demonstriert. "Im Februar! Aber nun, wo der Kriegseinsatz in Afghanistan von der großen Koalition so kategorisch verteidigt wird ..." Hm, okay das mit der Demo gegen den Irakkrieg hat jetzt auch nicht wirklich weitergeholfen, denke ich mir. Und kalt ist es auch noch. Außerdem finde ich den Afghanistaneinsatz eigentlich ganz okay. Sollte ich nur nicht zu laut sagen.

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Was passiert, wenn man das tut, erfährt wenige Augenblicke später der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn (richtig geraten: der Herr ist bei den Grünen). Die Gewerkschaftsfrau sagt noch: "... und jetzt wollen wir mal hören, ob die Grünen nach wie vor am Afghanistaneinsatz festhalten oder ob sich da etwas verändert hat ..." dann kommt "der Wolfgang ... Strengmann-Kuhn" auch schon ans Mikro. "Liebe Freundinnen und Freunde..." beginnt er, doch als er nach wenigen Minuten die Bühne wieder verlassen muss, ist klar: das hier sind keine Freundinnen und Freunde und lieb sind sie auch nicht. Der junge wütende Mann mit der Palästinaflagge hat angefangen, soweit ich erkennen konnte, dann riefen immer mehr, richtig wütend wurden sie, Kriegstreiber war zu hören und irgendwann gaben ihm die Gewerkschaftsleute Zeichen, runter von der Bühne, das war's. "Dabei wollte ich doch noch erzählen, dass es Unterschiede gibt zwischen ISAF und Enduring Freedom und dass..." sagt Strengmann-Kuhn. Aber heute ist eben nicht die Zeit für Diplomatie. Entweder bist Du für den Frieden oder dagegen mein Freund. So einfach ist das. Und genau das ist der Grund, warum ich Demonstrationen nicht mag. Ob ich jetzt dem Redner da vorne zustimme oder nicht, ob ich dem Typ der pfeift und schimpft zustimme oder nicht, am Ende sieht es so aus als hätte ich dazugehört. Wäre mitgelaufen. Mitmarschiert. Darauf hab ich keinen Bock. Und wenn mich nochmal jemand fragt, was denn bitteschön mit der jungen Generation los sei, man selbst sei einst gegen die Wasserwerfer angerannt und all das und nun sollten mal die anderen, aber mit denen sei ja nix anzufangen, dann werde ich genau das sagen. Ich lasse mich nicht instrumentalisieren. Sollen andere machen. Der Kern der Friedensbewegung meinetwegen. Ich hab dann meine Kamera gezückt und einen auf Journalist gemacht. Zurückgefahren bin ich übrigens mit der S-Bahn.
 
24. März 2008, 18.23 Uhr
Nils Bremer
 
 
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