Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Gemischte Gefühle

Von deutschen Frühstück, foolish Americans, Merlin und wanker bankern

Juliette_Lewis_Kinsler_685

Schaut man sich das Konzertangebot einer Woche an, kann einem schon schwindelig werden. Klar, es gibt Tage, da ist gar nichts Interessantes los, an anderen häuft es sich und man könnte würfeln, wo man schließlich hingeht. Ich weiß, liebe Leser, das ist ein Luxusproblem. Und ich beschwere mich ja auch nicht wirklich, sondern gebe stattdessen wieder, welchen musikalischen Wechselbädern ich mich die letzte Woche noch ausgesetzt habe.

joe-robinson
Joe Robinson in der Frankfurter Brotfabrik

Am Dienstag bin ich dann noch ziemlich kurz entschlossen in die Brotfabrik zu Joe Robinson gefahren, obwohl ich dessen Mentor und Vorbild Tommy Emmanuel (inzwischen tritt er in der Jahrhunderthalle auf!) immer geschwänzt habe und seit seligen Leo Kottke-Zeiten kein Fan von Solo-Akustik-Gitarristen mehr bin. Aber das Bürschlein mit seinen gerade mal 18 Jahre verbreitete Laune. Mit zwei Gitarren, einem kleinen Würfelverstärker, Kabeln und ähnlichem Kleinkram, dazu einer Tasche mit „ein paar T-Shirts etc.“ alleine on the road sammelt der Australier fern der Heimat seine Erfahrungen und ist stolz darauf, wenn er in Budapest in den Zug steigt und in Wien wie geplant ankommt und plaudert auch gerne drüber. „We were in Munich yesterday“, sieht er in erstaunte Gesichter der Konzertbesucher. „Ach so, ja – wir, das sind meine Gitarre und ich.“ Und mit seinem Instrument ist er seit frühen Kindstagen eins. Was sollte er auch auf einer Farm weit weg von der nächsten größeren Zivilisation mit sich anstellen außer Musik hören und Gitarre üben... Einkaufen fahren war ein größerer Akt. Deshalb gab es fast immer das gleiche zu essen. Und deshalb schwärmt er vom deutschen Frühstück, dem Brot, der Butter, dem Müsli. „Und das gibt´s alles auf einmal!“ Seine Augen strahlen nur noch mehr wenn er spielt. Er hat keinen klassischen Unterricht genossen. Und sein Repertoire stammt aus der gängigen Gitarrenliteratur, dazu gibt es Adaption und Transkriptionen und eine Menge eigener Stücke, meist instrumental, auch mal vokal, mit jungenhafter, aber deshalb nicht charakterloser Stimme vorgetragen. Die Stevie Wonder- und Al Jarreau-Songs interpretiert er aber instrumental und zeigt nicht nur dabei seine technischen Fähigkeiten. Basslinien, Akkordeon und Harmonien, dazu dann die Melodien, dazwischen auch mal perkussive Einwürfe – der junge Mann eine komplette Band und meistert das unangestrengt, lässig und charmant. Dafür (oder für weniger) brauchen andere eine Loop-Machine... Und wann immer ihm etwas Besonders Schwieriges meisterlich gelungen ist, schaut er sein ohnehin beifallswilliges, weil auch eingeweihtes Publikum (einige Gitarristen sind darunter, die wie paralysiert aufs Griffbrett starren) an wie ein D-Jugend-Fussball-Spieler seinen Dad am Spielfeldrand wenn ihm ein Tor gelungen ist. Den Jubel kommentiert er dann mit einem Jauchzer oder Schrei. Sehr sympathisch und allein deshalb keine reine Arpeggios-, Fingerpicking- und Flageolett-Demonstration. Da ist viel Folk in sämtlichen Ausprägungen im Spiel, wird auch mal ein Joplin-Ragtime (klar, „The Entertainer“, ein waghalsiges Unternahmen auf sechs Saiten) angestimmt, hat die Musik oft den Drive von Zigeunerjazz (oder ist es politisch korrekter von Gypsy Swing zu reden?) und zitiert auch die „Klassik“,Rimski-Korsakows „Hummelflug“ und Mozarts „Rondo alla turka“. „Kommt nach dem Konzert bitte alle zu mir und redet mit mir – ich liebe euren deutschen Akzent“, beschließt Robinson mit seinem Auftritt mit „a quick one“ – schließlich sei Schlafenszeit. Das Kokettieren mit dem Alter gehört zu seiner Show.

Juliette_Lewis_Kinsler_6744
Juliette Lewis im Wiesbadener Schlachthof

Tags drauf, Ausflug nach Wiesbaden, trotz Ausbau der A66 immer noch genügend Staupotential zwischen Eschborn und Höchst. Juliette Lewis nach Mousonturm (klasse inklusive Stagediving) und Cocoon (geschwänzt) jetzt also im mäßig gefüllten Schlachthof und mit neuer Band und einem auf CD differenzierterem Songangebot, was sie live nur bedingt umzusetzen vermag bzw. gewillt ist. Die schräge Filmdiva kommt ganz in Schwarz, eine Mischung aus Fledermaus und Skater, eng anliegenden Klamotten, weniger Haut als damals im Mousonturm, Knieschützern (als modisches Accessoire oder doch echten Knieschutz beim Bewegungsdrang der „Hypermotorischen“?). Ruhe könnt sie sich keine, ist ständig in Bewegung – Juliette Lewis auf der Bühne, das ist eine einzige Ekstase, frivol, lasziv, heizt sich, ihrer Band und dem tanzwütigen Publikum ein, dass die Lewis als Symbol für Freiheitsdrang, Lebenslust, Unangepasstheit und auch in der Musik ausgelebte Sexualität frenetisch feiert. Bester Laune meinte sie dann, „we foolish Americans“ wüssten normalerweise nie, wo wir sich gerade befinden. „Aber ist Wiesbaden nicht der Ort, wo Elvis Priscilla, ähem, traf?“ Wow – Erdkunde 2, Geschichte 1. Rock on, Juliette... Ein absolutes Highlight war ihr schwerer, dunkeler Blues „Hard Lovin’ Woman“ – pure Emotion. Und gleich danach kommen wieder die Brachialriffs der zwei Gitarren, unterstützt von Drums und Bass. Die wirklich sehr hübsche Bassistin war so etwas wie der – zumindest optische – Ruhepol der Gruppe, die Zen-Insel sozusagen. Ist sie Japanerin? Aber was für eine Musik haben wir da bei Miss Lewis erlebt? Happy Metal? Einen Mix aus Indie und Prog? Highschool-Rock´n´Roll als 21th Century Update? „Mit 11 hat mich die ,Rocky Horror Picture Show´ fasziniert – Frank N. Furt, Brad, Janet, MeatLoaf...“ Die Figur des Riff Raff hatte es ihr am meisten angetan, so wollte sie sein. Erlaubt das einen neuen Blick auf ihre Kusnt? Hey – und was sehe ich gerade bei Wikipedia?! Juliette hat mit mir zusammen Geburtstag. Ein Zwilling – das erklärt vieles. Musikalisch allerdings weit interessanter, da vielfältiger, dymanischer, waren die Scanners als Support, ein gemischtes Doppel aus London, das man im Auge behalten sollte.

Gong_02_Kinsler
Gong im Aschaffenburger Colos-saal

Gut 20 Stunden später auf dem Weg in die andere Richtung. Aschaffenburg und ein kurzer Ausflug nach Bayern. Die 40th Anniversary Tour von Gong macht Station im Colos-saal. Pflichttermin für alle Hippies und Drogis aus allen Mittelgebirgen im Umkreis von 100 km, aber allzu viele kamen nicht, da entweder geläutert oder nicht mehr reisefähig. steve_Hillage_Kinsler_0900Erst mal steht Gong-Mitglied Steve Hillage mit seiner Band auf der Bühne. Neben ihm seine Allzeit-Muse Miquette Giraudy. Hillage hat Haare gelassen, seine Gitarre ist kopflos und auch irgendwie die Musik (Space rock?) des einst als Gitarrengott im erweiterten Kreis gefeierten Briten. Zu statisch, zu langweilig auf Dauer sein Spiel mit den immer gleichen Hall-, Echo-, Loop- und Glissando-Effekten. Selbst Miquettes Synthie-Blurbs und Bleeps bleiben in diesem Kontext wie auch bass- und Schlagzeugspiel unprickelnd. Und wenn Hillage dann auch noch – nicht zu oft, gottlob) singt, etwa Donovans „Hurdy Gurdy Man“, dann wird´s ganz gruselig. Wie meint ein alter Fan. Unter Drogen war er besser ...

Daevid_Allen_Kinsler028
Daevid Allen

Wenig später stehen alle wieder auf der Bühne – als Mitglieder von Gong. Und alle – Gitarero inklusive – spielen plötzlich viel inspirierter, lust- und spaßvoller. Warum? Weil Daevid Allen jetzt die Szene betrifft, in einer Art Designer-Schlafanzug (sorry), darüber ein schillerndes Cape und dazu einen spitzen Zauberhut. Merlin oder Catweazle? Der 71-Jährige(!) lässt keine Zweifel aufkommen – er ist ein Magier. Und zu ihm gesellt sich seine Hexe, Gilli Smyth, noch mal fünf Jahre älter. Sie ruft später alle Vögel im Himmel an, besonders die Raben und Krähen, glänzt in kurzen, hörspielhaften Passagen, stößt Spitze Schreie aus und ist sonst – neben Giraudy an den Synths – für Geräusche aller Art zuständig, die man mit über den Wolken oder tief unter dem Wasserspiegel assoziiert. Obwohl gebürtiger Australier ist Allen ganz spleeniger Engländer. Aber was Gong anno 2009 auf die Bühne bringt, ist kein Gimmick, keine Freakshow, keine Reminiszenz an alte „Camenbert Electrique“- und „Flying Teapot“-Zeiten. Der rüstige Rentner, dessen Choreographie einem Detlef D! Soost in seinem wildesten Rausch nicht einfallen würde, ist längst naturstoned. Mit wachen Augen erzählt er seinem Publikum zwar die verrücktesten Geschichten, aber klar ist wofür dieser Charismatiker, Freidenker und Freigeist steht: für Freiheit, Individualität, Lebenslust und Spaß. Und all das drückt die Gong-Musik auch aus, die stilistisch nie wirklich definierbar war und auch heute noch undenkbar viele Einflüsse offenbart, Rock, Jazz, Avantgarde, Free, Folk, Psychedelic, Space Rock, Prog. Allens Haltung drückt sich zum Beispiel auch in einem Songtitel wie „Wacky Baccy Banker“, alles wanker bankern gewidmet, oder seinem T-Shirt-Aufdruck: Nobody Know I'm A Lesbian.

Fotos: Detlef Kinsler
 
16. November 2009, 09.18 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Am Sonntag eröffnet der Hochbunker an der Friedberger Anlage in Frankfurt für den Sommer. Ab Mai gibt es auch drei neue Ausstellungen zu besichtigen.
Text: Sina Claßen / Foto: Der Hochbunker an der Friedberger Anlage © Bernd Kammerer
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
27. April 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Ja Panik
    Hafen 2 | 20.30 Uhr
  • Bosse
    Stadthalle | 20.00 Uhr
  • Melike Sahin
    Batschkapp | 19.00 Uhr
Nightlife
  • Gibson loves Saturdays
    Gibson | 23.00 Uhr
  • Garden Eden
    Fortuna Irgendwo | 22.00 Uhr
  • Music Hall Party
    Dorian Lounge – Airport Club | 21.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Main Orchester Frankfurt
    Bergkirche | 18.00 Uhr
  • Philharmonisches Staatsorchester Mainz
    Staatstheater Mainz | 20.00 Uhr
  • Trio E.T.A.
    Schloss Heiligenberg | 19.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Die Wunderübung
    Kellertheater | 20.30 Uhr
  • 50 Jahre Nelken-Revolution – 50 Jahre Demokratie
    Theater Willy Praml, Naxoshalle | 11.00 Uhr
  • Der kleine Prinz
    Velvets Theater | 20.00 Uhr
Kunst
  • Honoré Daumier
    Städel Museum | 10.00 Uhr
  • Kinderwelten – ein Blick in Mainzer Kinderzimmer in früherer Zeit
    Stadthistorisches Museum | 11.00 Uhr
  • Heinrich Hoffmann und sein Struwwelpeter
    Struwwelpeter-Museum | 11.00 Uhr
Kinder
  • Die kleine Zauberflöte
    Papageno-Musiktheater am Palmengarten | 16.00 Uhr
  • Julie Völk
    Literaturhaus Frankfurt | 15.00 Uhr
  • Offene Werkstatt
    Junges Museum Frankfurt | 14.00 Uhr
und sonst
  • CiderWorld Frankfurt
    Gesellschaftshaus Palmengarten | 14.00 Uhr
  • Fraport Skyliners – TSV Quakenbrück
    Ballsporthalle – Süwag Energie Arena | 19.30 Uhr
  • Genuss- und Gartenfest Rhein-Main
    Schloss Heusenstamm | 10.00 Uhr
Freie Stellen