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Foto: Nils Bremer
Foto: Nils Bremer

Leo Fischer über Wahlplakate

Merkels Ohr

Was ist von den Wahlplakaten zu halten, von denen die Stadt gerade zugestellt ist? Wir haben eine unabhängige Stimme um Einschätzung gebeten: den früheren Titanic-Chefredakteur und „Die Partei“-Ehrenvorsitzenden.
Es ist schön zu sehen, dass sich die Parteien den Wahlkampf noch mal richtig was kosten lassen. Zwar wissen ohnehin alle, dass es wieder Große Koalition wird (nur mit weniger SPD-Ministern) – aber deswegen lassen sie die Segel nicht streichen, plakatieren wie verrückt, verwandeln unsere Innenstadt in ein herbstliches Farbenmeer. Einerseits aus Imagegründen: Man will schließlich zeigen, dass man immer noch da ist, dass man sogar als FDP noch Budget hat und richtig Bock, 2021 wieder richtig mitzumischen. Andererseits aus dem Grund, den Martin Schulz in seiner typisch volksnahen, erdigen Sprache „asymmetrische Demobilisierung“ genannt hat: Wenn man es schon nicht schafft, die Richtigen an die Urne zu bringen, so muss man wenigstens versuchen, die Falschen vom Wählengehen abzuhalten.



Sehr stark gelingt das etwa der CDU mit ihrem schon leicht übergeschnappten Motiv „Das Große beginnt mit einem Ohr für die kleinen Dinge“: Merkels Ohr ist auf uns gerichtet wie die Augen von Big Brother. Für Merkel sind wir kleine Dinger, Leute oder Fische, jedenfalls immer noch Gegenstand amüsierten Interesses – immerhin wurde die Kanzlerin vor kurzem zur Anführerin der freien Welt ernannt, da hat sie sicher Besseres zu tun. Gleichzeitig ist dieses Ohr so groß, so einladend, dass wir alle darin Platz haben – wir alle können der kleine Mann im Ohr von Merkel sein, ihr Einflüsterungen schenken und uns wohlig ein Wabennest aus Ohrenschmalz bauen. Es spricht Überlegenheit, sogar Überheblichkeit aus Merkels Zügen – diese Frau wird sich von Wahlen nicht beim Regieren stören lassen, soviel ist sicher. Und wenn wir brav sind, dürfen wir sogar mit. Hinterlistiger kann man dem SPD-Wähler nicht signalisieren, dass seine Stimme diesmal nicht gebraucht wird.



Das Motiv der SPD wirkt dagegen direkt hausbacken: „Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt.“ Dazu wird Schulzens jetzt immer leicht erschöpft wirkendes Antlitz eingeblendet, warum auch immer. Neue Ideen per Plakat fordern, das wirkt wie das aus der Psychologie bekannte double-bind „Seien Sie doch mal spontan!“ – sobald es ausgesprochen wurde, kann man ihm nicht mehr Folge leisten. Dass irgendwo neue Ideen herkommen müssen, davon scheint Schulz überzeugt, er hat sie schließlich auf Amazon bestellt und wartet jetzt, dass die Zustellbenachrichtung aufpoppt. Sobald sie da sind, wird er sie irgendwie durchsetzen, notfalls gar die Hemdsärmel hochkrempeln und seine stark behaarten Arme einsetzen, um sie dem Pöbel in die Hirne zu pressen; da kennt er nichts. Die doppelte Patzigkeit dieses Plakats wirkt wieder stark demobilisierend: Ideen sollen wir ihm liefern, und sie uns dann auch postwendend wieder implantieren lassen – ja geht’s eigentlich noch?! Nichts hassen die Leute doch mehr als neue Ideen – für jene, die dies als Ansage für die Neuauflage von Schwarzrot sehen, ein klarer Hinweis, diesmal nicht CDU zu wählen.



Die Grünen wiederum wollen keine Experimente eingehen und setzen dafür auf das einzige Thema, das man noch irgendwie mit ihnen assoziiert: „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts.“ Ein Klassiker unter den Kalendersprüchen, er trifft auch auf Geld, Gesundheit, Bier und Kommunismus zu, hier kann praktisch nichts schiefgehen. Demobilisiert wird dabei jeder liberale CDUler, der zum Beispiel von Schwarzgrün träumt – da werden diese Luftikusse doch wieder die ohnehin nach Dieselgate am Boden liegende Industrie piesacken, das lassen wir mal lieber.



„Die Sicherheit muss besser organisiert sein als das Verbrechen“, behauptet der wie drei Tage ungeduscht aussehende Christian Lindner – wenn man jemandem zutraut, politische Organisationen so zu führen wie kriminelle, dann sicher der FDP.



Wohingegen die Linke mit „Gerecht – Millionäre besteuern, mehr Geld für Kitas und Schulen“ die einzigen sind, die tatsächlich eine konkrete Forderung auf Plakate drucken. Wen wollen die denn damit demobilisieren? Völlig utopisch! Nein, demobilisierte Wahlgerechtigkeit entsteht doch erst, wenn Wahlen sind, und keiner geht hin. Mein Gott, wär’ das schön!
 
22. September 2017, 09.50 Uhr
Leo Fischer
 
 
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