Kinderarmut

„Alarmierende Entwicklung“ in Hessen

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Jedes fünfte Kind in Hessen ist laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands von Armut betroffen. Das spiegelt sich nicht nur in fehlendem Schulmaterial, sondern auch bei den Mahlzeiten und in der Freizeit wider. Corona hat das Problem noch verstärkt.

Laura Oehl /

In Hessen sind mehr Kinder von Armut betroffen als im bundesweiten Durchschnitt. Das geht aus einer aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtverbands hervor. Demnach ist in Hessen jedes fünfte Kind von Armut betroffen – und die Zahlen steigen. „In keinem anderen westdeutschen Flächenland ist die Kinderarmut im vergangenen Jahrzehnt so sehr gewachsen wie in Hessen“, so der Paritätische. Seit 2010 stieg die Quote in Hessen um 6,6 Prozent an; deutschlandweit um 2,3 Prozent. „Die Entwicklung in Hessen ist alarmierend und muss ein Weckruf für die Landesregierung sein“, sagt Landesgeschäftsführerin Yasmin Alinaghi.

Ähnlich sieht das auch Daniel Schröder, Regionalleiter der Arche Rhein-Main. Die Lage sei erschreckend und besorgniserregend, so Schröder im Gespräch mit dem JOURNAL FRANKFURT. Auch in Frankfurt und Umgebung ist Kinderarmut ein akutes Problem. Das liege vor allem an der hochpreisigen Gegend, sagt Schröder. Die schlage sich beispielsweise auch auf die Lebensmittelpreise nieder. Bei der Arche werden betroffene Kinder und Jugendliche daher unter anderem mit Essen versorgt. „Die Kinder, die zum Essen zu uns kommen, hätten sonst zu Hause nichts“, sagt Daniel Schröder.

Scham als weitere Ebene von Kinderarmut

Neben ausreichenden Mahlzeiten fehlt es den betroffenen Kindern häufig auch an Schulmaterial. Vermeintlich kleine Dinge wie ein Füller oder ein Farbmalkasten können dabei zur Herausforderung werden. Auch Klassenfahrten würden häufig zum finanziellen Problem, sagt Daniel Schröder. „Manche Eltern sind auch zu stolz, etwas zu sagen.“ In vielen Klassen gebe es mittlerweile zwar Klassenkassen, aus denen unterstützt werden könnte, „manche Kinder wollen aber auch nicht, dass die Klasse von ihrer Situation weiß. Das ist nochmal eine ganz andere Ebene von Kinderarmut: nämlich Scham“, sagt Schröder und erinnert sich an einen Schüler, der lieber eine schlechte Note im Sportunterricht wegen ständig vergessener Sportschuhe in Kauf genommen habe, statt zuzugeben, dass die Mutter sich keine Schuhe für ihren Sohn habe leisten können.

Vonseiten des Landes Hessen gibt es für solche Fälle beispielsweise das Bildungs- und Teilhabepaket. Laut des Paritätischen müsste die Auszahlung dieser Hilfen jedoch vereinfacht werden. Zuschüsse für Klassenfahrten, Vereinsmitgliedschaften oder Nachhilfe kämen demnach nur bei jedem zehnten Kind in Hessen an. Auch hier liegt das Land hinter dem bundesweiten Durchschnitt. Vonseiten des Sozialministeriums heißt es auf Nachfrage, die Leistungen würden gewährt, wenn ein entsprechendes Angebot in Anspruch genommen werde. „Nicht jedes Kind ist beispielsweise auf Lernförderung angewiesen, Klassenfahrten finden nicht in jedem Jahr statt. Daher ergeben sich die Zahlen, die gegebenenfalls als ‚niedrig‘ bewertet werden“, so eine Sprecherin des Ministeriums. Im Gegensatz dazu kämen die Zahlungen für den Schulbedarf aber bei praktisch allen Berechtigten an.

Corona-Pandemie hat die Situation verschlimmert

Mit der Corona-Pandemie habe sich die Situation noch einmal extrem verschlechtert, sagt Arche-Leiter Daniel Schröder. Davor warnte auch der Paritätische, dessen Studie nur Daten bis 2019 abbildet. „Es fehlt an elementaren Dingen“, so Daniel Schröder. Viele Familien hätten nichts mehr, seien verschuldet, hätten ihre Autos verkaufen müssen oder ihre Jobs verloren.

Der Paritätische fordert nun bundesweit eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung. Ein solches „bedingungsloses Grundeinkommen für Kinder“ wäre auch für Schröder eine Möglichkeit, auf lange Sicht die Missstände abzulösen – auch außerhalb der Schule. „Wenn Kinder nicht am sozialen und kulturellen Leben beteiligt sind, kommen sie dort auch nie an“, so Schröder. Auch das hessische Sozialministerium sieht das als „denkbaren Weg, um die erforderlichen Bedarfe zu gewährleisten und Kinderarmut zu verhindern“. Damit könnten laut Ministerium auch Kindergeld, -zuschlag und Sozialgeld in einer Leistung vereint werden, um das Verfahren auch für die betroffenen Familien zu vereinfachen.

Laura Oehl
Laura Oehl
Jahrgang 1994, Studium der Musikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, Journalismus-Master an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, seit Dezember 2020 beim JOURNAL FRANKFURT.
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