Rasante Entwicklung

Stadtlabor unterwegs im Ostend

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Das Ostend, wo die EZB ihren Neubau errichtet, gilt zurzeit als spannendster Stadtteil Frankfurts. Mit dem Projekt „Stadtlabor unterwegs“ profiliert sich das Historische Museum als Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts.

Barbara Goldberg (pia) /

„Hallo, ist da wer?“ Der Mann hat spontan sein Auto auf dem Osthafenplatz abgestellt und steht vor dem rotweißgestreiften Bauwagen. Er sei Ostendler seit 61 Jahren, erklärt er Angela Jannelli vom „Stadtlabor unterwegs“. Im weiteren Gespräch erfährt die Kulturwissenschaftlerin, dass seine Großeltern zwei Straßen weiter eine Lebensmittelgroßhandlung betrieben haben. Wo sich früher das Warenlager befand, steht heute ein modernes Haus mit vielen Balkonen und noch mehr Farben an der Fassade: gelb, orange und rot und grün. „Meine Villa Kunterbunt“, sagt der Mann und berichtet, dass dort jetzt eine Wohngemeinschaft von Behinderten lebt. „Haben Sie Fotos von früher und von heute, die die Veränderung dokumentieren?“, fragt Jannelli. Vielleicht hat sie soeben ein weiteres aussagekräftiges Exponat für die Ausstellung „Ostend//Ostanfang. Ein Stadtteil im Wandel“ gewonnen.

„Partizipation“, Teilhabe, ist das Schlüsselwort, mit dem sich das neue Selbstverständnis des Historischen Museums Frankfurt beschreiben lässt. Nicht länger sollen allein professionelle Kuratoren die Sammlungen hoheitlich verwalten, während die Beteiligung des Bürgers auf die Rolle des Besuchers und Betrachters beschränkt bleibt. Denn ein solches „Fachmuseum für Geschichte“ kann viele der heutigen Bewohner dieser Stadt, die aus allen Teilen der Welt hierhergekommen sind und Frankfurt nur als eine Station auf ihrer Lebensreise empfinden, nicht mehr erreichen. Mit einem „Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts“, wie sich das Historische Museum, wenn es denn nach langem Um- und Neubau 2014 wieder eröffnet wird, künftig nennen will, will man dieser neuen Mobilität Rechnung tragen. Und den Bürgern die Chance geben, es durch Mitgestaltung in einen Ort der Selbstvergewisserung zu verwandeln, an dem sie sich und ihre Stadt, wie sie sie erleben, wiederfinden.

„Alles ist im Fluss“, beschreibt auch Angela Jannelli das neue Lebensgefühl moderner Metropolen. Deshalb begibt sich das „Stadtlabor“ auf die Reise, in einem rotweißgestreiften Bauwagen als dem Sinnbild für alles Provisorische und Wandelbare. Und so wie dieses komische Gefährt auf dem Osthafenplatz steht, weckt es die Neugier der Anwohner. Anders vielleicht als bei mancher etablierter Kulturinstitution trauen sie sich hier herein und reden mit den Museumsleuten. Im Bauwagen wurden wochenlang Bilder und Geschichten gesammelt, wurde Tee getrunken und lebhaft debattiert. Das Ergebnis dieser Begegnungen wird vom 30. April an im Kontorhaus an der Lindleystraße, das die HFM Managementgesellschaft für Hafen und Markt mbH kostenlos zur Verfügung stellt, zu betrachten sein.

Noch sind 40 ehrenamtliche Kuratoren – darunter Metzger, Gastwirte, Künstler, Fahrradhändler, Studenten und Galeristen, also eine Gruppe, so bunt zusammengewürfelt wie das Viertel selbst – damit beschäftigt, die Menge der eingereichten Vorschläge zu sichten und auszuwählen. Der Fundus, aus dem sie dabei schöpfen, reicht von einem Anker über gesammelte Sonnenaufgänge, einem Modell des Osthafens, Blättern von Bäumen des Ostparks bis zu einem Planspiel über den künftigen Energieverbrauch im Ostend. Auf einer Fläche von 600 Quadratmetern wird man sich dann anschauen können, wie sich diese Fülle von Exponaten, Anregungen und Ideen zu einer Schau zusammenfügt, die das Lebensgefühl und die komplexe Realität des Stadtteils wie in einer Momentaufnahme widerspiegeln soll.

Denn im Osten geht die Sonne auf. Kein anderer Teil Frankfurts durchlebt zurzeit eine so temporeiche und spannende Veränderung wie das Ostend, und das hat nicht nur mit dem Neubau der Europäischen Zentralbank auf dem Areal der ehemaligen Großmarkthalle zu tun. Auch das Hoch’sche Konservatorium, das Literaturhaus und die Banking School of Finance sind hierher umgezogen. Demnächst wird hier außerdem der Hafenpark entstehen. Schon länger zeichnet sich ab, dass sich das ehemalige Industrie- und Gewerbeviertel mit einer vorwiegend kleinbürgerlichen Bevölkerung mehr und mehr zum In-Quartier für Kreative, Künstler und junge Familien mit hohem Einkommen entwickelt. Aber wer geht, wenn andere kommen? Auch das fragen sich angestammte Ostendler skeptisch.

Um alle diese Facetten einfangen zu können, verzichtet die Ausstellung auf einen erkennbaren roten Faden. Vielmehr soll sie einem Kaleidoskop gleichen: bunt, vielschichtig und immer anders, je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man sie betrachtet. Und auch dem Leitmotiv der Mobilität wird Rechnung getragen: So wird es statt eines Katalogs eine Stadtteilkarte geben, als Einladung und Wegweiser für eigene Expeditionen oder geführte Rundgänge. Denn auch jenseits der 6,7 Kilometer langen Hanauer Landstraße mit ihren 1450 Unternehmen und zahlreichen Musikclubs, die am Tage und bei Nacht die Hauptschlagader des pulsierenden Lebens im Stadtteil ist, gibt es jede Menge zu entdecken.


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