Von Januar an übernimmt die gebürtige Frankfurterin Mirjam Wenzel die Leitung des Jüdischen Museums von Raphael Gross. Und das in einer spannenden Zeit, denn das Haus wird gerade erweitert.
Nicole Brevoord /
Für die 43-jährige Literaturwissenschaftlerin ist es eine Heimkehr. Mirjam Wenzel (Foto links neben Raphael Gross) wurde 1972 in Frankfurt geboren, doch spätestens seit ihres Magisterstudiums der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität war sie eng mit Berlin verbunden, wo sie in den letzten Jahren in der Medienabteilung des Jüdischen Museums arbeitete. Zum 1. Januar wechselt sie von der Spree an den Main und übernimmt als Nachfolgerin des Schweizer Historikers Raphael Gross die Leitung des hiesigen Jüdischen Museums. Die Mutter eines vierjährigen Sohnes fremdelt nicht. „Frankfurt ist mir auf besondere Weise vertraut. Wenn ich durch die Straßen gehe, Plätze und Parks durchquere, gibt es immer wieder Orte, die Erinnerungen an Situationen in meiner Kindheit und frühen Jugend wecken. Es ist ein schönes Gefühl, an Dinge oder Szenen erinnert zu werden, die ich eigentlich schon vergessen hatte. In meiner Kindheit und Jugend war Frankfurt für mich der Inbegriff von Großstadt – laut, voll, groß und gefährlich. Mainhattan. Heute, nach vielen Jahren in Berlin, Tel Aviv und München, erlebe ich die Stadt als aufgeräumt, offen und international. Ich freue mich darauf, hier in Zukunft zu leben.“
Aber nicht nur für Wenzel gibt es einen Neustart, für das Jüdische Museum eröffnet sich eine neue Dimension. Im Dezember erfolgte der Spatenstich für den mehr als 50 Millionen Euro teuren Neubau des Ausstellungshauses, das seit seiner Eröffnung 1988 zunehmend unter Platzmangel litt. Nun, da das Museum auch den Nachlass der Familie von Anne Frank als Dauerleihgabe entgegen nehmen durfte, ist mehr Platz Willkommen. „Das Jüdische Museum war das erste eigenständige Museum in der Bundesrepublik, das gegründet wurde, um jüdische Kulturgüter zu sammeln, zu bewahren und öffentlich zu vermitteln“, sagt Wenzel. Speziell über die Online-Präsenz des Museums möchte Wenzel ab dem kommenden Jahr die Aufmerksamkeit von immer neuen Bevölkerungsgruppen auf das Haus ziehen. „Das Jüdische Museum wird künftig seine Sammlung online zugänglich machen.“
Derzeit ist nicht nur das Jüdische Museum geschlossen, auch die Dependance am Börneplatz. Was erwartet uns denn bis zur Eröffnung des Neubaus 2018? „Zunächst einmal wird am 20. März des kommenden Jahres das Museum Judengasse eröffnen. Hier wird die Geschichte der Juden in der frühen Neuzeit bis zur Auflösung des Ghettos in den archäologischen Ausgrabungen und anhand von Objekten erzählt, die vor Ort genutzt oder gefertigt wurden.“ Im Laufe des kommenden Jahres wolle sie an der Konzeption der neuen Dauerausstellung im Rothschildpalais arbeiten und auch die Bürger mit einbinden. „Zu diesem Zweck möchten wir – in Anlehnung an die jüdische Tradition des Zeltes oder der Laubhütte – ein kleines Pop Up-Museum im Stadtraum errichten und vor Ort dann unser Konzept wie auch die Planungen für den Neubau vorstellen. Zugleich wird am Bauzaun rund um die Baustelle ein sich im Zweiwochentakt erweiternder Comic Strip „Manu und Saul“ von Volker Reiche zu finden sein.“
Künftig soll im Rothschildpalais auf drei Etagen und rund 1500 Quadratmetern eine multimediale Dauerausstellung die jüdische Geschichte und Kultur in Frankfurt von 1800 bis in die Gegenwart hinein mit ausgewählten Sammlungsobjekten beleuchten. Der Neubau entsteht nach einem Entwurf von Staab Architekten. Darin soll der Eingang, ein neues Museumscafé und ein neuer Museumsshop unterkommen. In den Ausstellungen soll auch das Spannungsverhältnis zu anderen Religionen beleuchtet werden.
Die jüdischen Bewohner der Stadt seien in den Jahren 1933 bis 1945 systematisch ihrer Rechte und Güter beraubt, deportiert und schließlich ermordet worden– es sei also nicht viel von dem geblieben, was jüdisches Leben einst war. „Es hat aber jahrhundertelang enge geschäftliche und persönliche Beziehungen zwischen Juden und Christen gegeben. Vor allem in religiösen Fragen gibt es bedeutende wechselseitige Einflüsse. Das werden wir in unserer neuen Dauerausstellung im Museum Judengasse thematisieren.“ Auch Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Islam will Wenzel in Ausstellungen und Veranstaltungen herausarbeiten. „Die Bedeutsamkeit eines Jüdischen Museums in Deutschland hängt meiner Meinung auch davon ab, ob es gelingt, in Zukunft auch Migranten und deren Kindern, also den „neuen Deutschen“ einen Zugang zur jüdischen Kultur zu vermitteln.“
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT 1-2/16 erschienen.
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig