Kein Bock auf Himmel

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Alicia Lindhoff /

Schlingensief in Burkina Faso

Woher kommt eigentlich diese Redewendung: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“? Kompletter Schwachsinn, wie ich weiß, seit ich am Montagabend im Schauspiel Frankfurt zweieinhalb Stunden an den Lippen von Christoph Schlingensief hing. Zusammen mit etwa 1000 anderen Menschen, die beim Auftakt der Lesereise des an Lungenkrebs erkrankten Aktionskünstlers, Regisseurs und jetzt eben auch Buchautors das Große Haus bis auf den letzten Platz füllten. Denn dieser Mann redet. Und redet. Und redet. Ziemlich viel für jemanden, der nur noch einen Lungenflügel besitzt.

Jemand hatte ihm eine Art „To Do“-Liste für den Abend geschrieben. „Guten Abend“ steht da als Erstes und dann „Wie geht es mir?“ Also erzählt er von den letzten Ergebnissen, die nach einigen hoffnungsvollen Monaten leider schlecht waren, was bedeutet, dass wieder Metastasen da sind. Aber er sagt auch, dass es ihm gerade ziemlich gut gehe und so sieht er auch aus. Seltsamerweise wird die dpa später schreiben, seine Augen lägen „tief in ihren Höhlen“ und es sei „rührend“ gewesen, „ihn da auf der Bühne stehen zu sehen“. Klar, den Mann umweht die Möglichkeit des nahen Todes und es passiert nicht oft, dass man jemanden in solch einer Situation auf der Bühne stehen sieht. Trotzdem war der Abend keine Trauerveranstaltung und schon gar nicht rührend. Er war intensiv, informativ, ehrlich und stellenweise fiel das Publikum fast von den Stühlen vor Lachen.
Schlingensief meidet sie nicht, die ernsten Themen, nichts läge ihm ferner, vor allem an einem Abend, der als Lesung aus dem „Tagebuch einer Krebserkrankung“ angekündigt wurde. (An der Stelle muss erwähnt werden, dass er während des gesamten Abends genau einen Satz aus seinem Buch vorliest, und auch der ist unterbrochen von einem etwa fünfminütigen Diskurs, der sich wohl während des ersten Halbsatzes in seinem Kopf formte und dann unbedingt rausmusste.)

Im Gespräch mit dem Architekten

Aber er schafft es, diese schwierigen Themen anzusprechen ohne mitleidheischend zu sein und findet sogar in der tragischsten Geschichte noch eine lustige Anekdote, um sie hier zum Besten zu geben. Etwa, wenn er von den Marotten der Familie Wagner erzählt, unter deren Argusaugen er in Bayreuth inszenierte. Damals hatte er gedacht, diesen Inbegriff deutscher Hochkultur unterwandern zu können, am Ende war es dann blöderweise andersrum. Christoph Schlingensief glaubt, in dieser Zeit eine Art innerer Grenze überschritten zu haben und sich so den Krebs „geholt“ zu haben. Im Nachhinein klingt das alles so absurd, so weltfremd, so durchgeknallt, wenn der Theatermacher die Briefe vorliest, die ihm die Familie Wagner schickte, erst ganz freundliche und dann immer faschistoidere, er nennt Bayreuth ja wirklich einen "Fascholaden" und so ganz ist das nicht von der Realität entfernt, weil die Zimmer verwanzt waren und in Stasimanier Wortprotokolle angefertigt wurden und dann der Herr Wagner oder seine "wodkatrunkene" Frau Briefe verfassen, in denen sie "alles Glück der Welt für meinen bevorstehenden Zahnarzttermin" erbeten oder fragen lassen, was die "dicke Frau" auf der Bühne macht.

Von Bayreuth geht die Reise weiter in Ayurvedakliniken, wo man beim Abendessen gefragt wird, ob man kaltes Wasser, warmes Wasser oder doch Ingwerwasser wünsche, zu den sozialistischen Wurzeln der Angela Merkel bis hin zu den Tücken von Mutterkörnern und Jesus Christus.

Schlingensief ist dabei nie emotionslos, aber er vermeidet Pathos und Bedeutungsschwere, wo er kann. Er ist keiner dieser Künstlertypen, die lieber früh sterben, um in den Herzen der Menschen als Mythos weiterleben wollen. Nein, er steht mittendrin in diesem verrückten Leben, ganz handfest und plaudert und schreit und flucht und lacht. Er will nicht gehen, noch lange nicht. Er sagt, er hat keinen Bock auf diesen Himmel und darauf, irgendwo blöd auf einer Wolke rumzusitzen, Harfe zu spielen und durch“ irgendein Bullauge zuzugucken, wie scheiße auf der Erde alles läuft“. Er hat hier noch ganz viel vor und dass ist ja eigentlich auch die Idee hinter dieser ganzen Veranstaltung. Möglichst viele Menschen für sein großes Projekt zu gewinnen: Dem Festspielhaus in Afrika, das mittlerweile schon ein ganzes Dorf werden soll, samt Krankenstation, Film- und Theaterklassen und Gästehäusern.

Schlingensief

„Ach ja, der Schlingensief und sein Größenwahn“ hieß es anfangs oft, wenn er von seinen Plänen erzählte. Mittlerweile hat er über 600.000 Euro zusammen für das Projekt und ein Großteil kommt von furchtbar ehrbaren, offiziellen Stellen, etwa von Steinmeier, dessen Außenamt 220.000 bereitstellt, aber auch der in Afrika lebende Henning Mankell hat spontan 100.000 Euro gegeben. Einen Architekten gibt es auch – Afrikaner natürlich, denn Schlingensief hat keinesfalls vor, mit einem Heer von westlichen Besserwisserfachleuten in Burkina Faso einzufallen. Die Bauarbeiten beginnen Ende Dezember. Dieses „Festspieldorf“ soll jenseits hohler Phrasen („kulturellen Dialog fördern etc…“) Möglichkeit zur Verständigung bieten, Vorurteile abbauen, Arbeit schaffen und Bildung vermitteln und das alles gemeinsam mit den Afrikanern, die Akteure sein und nicht wie so oft als exotische Kulisse dienen sollen.

Unglaublicherweise hat auch dieser Abend ein Ende. Mit all den Leuten trete ich in die Nacht hinaus, euphorisch und traurig zugleich, und komme auf dem ganzen Heimweg und auch am nächsten Tag nicht los von diesem Mann, für den Reden Gold ist und Schweigen keine Option.

Fotos: Büro Schlingensief


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