Hinterrücks erleuchtet

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Esther Boldt /



Tocotronic punkrocken Offenbach. Zwischen zwei Liedern hält Dirk von Lowtzow inne und lächelt versonnen: „Es macht irgendwie Spaß, euch zu zusehen.“ Wenn dies ein Kompliment ist, dann kann man es nur erwidern: Danke! Ebenso! Beim Konzert im Offenbacher Capitol sind Tocotronic sichtlich gut aufgelegt, von Lowtzow, der doch sonst Ansagen und Zwischentexten meidet, nahezu geschwätzig und barrierefrei, als sei Coolness gestern gewesen. Und auch im immer wieder bizarr-schönen Saal des Capitols herrscht nichts als entspannte Ausgelassenheit. Gerade erst ist die Tour zum neuen Album „Schall und Wahn“ gestartet, und durchs Konzert weht der alte Punkrockgeist, das Versprechen der Negation im immer wieder neu schillernden Diskursgewand: Eröffnet wird mit einem „Liebeslied“, wie von Lowtzow freundlich-süffisant anmoderiert, „Eure Liebe tötet mich“, der erste Song des neuen Albums. Das klingt punkrockiger als die letzten beiden, wenn sich auch mit Streichorchester zwischendurch das Cinemascope öffnet, die ganz große Klangtapete. Etwas vom Blick zurück tönt im schallenden Wahn, und so spielen Tocotronic nur vier, fünf neue Lieder, und dazwischen allerlei Altes, was die Fanbeine zucken, die Augen im Scheinwerferglanz leuchten und die Münder froh mitsingen lässt: „Verschwör dich gegen dich“, „Sag alles ab“ und „Kapitulation“ vom gleichnamigen Album aus 2007. Ein „Lied über etwas sehr Gefährliches: die Heimat“ (von Lowtzow), „Aber hier leben, nein danke“ von „Pure Vernunft darf niemals siegen“ (2005). Und dann springt der schlaksige Arne Zank hinterm Schlagzeug hervor und singt „Bitte gebt mir meinen Verstand zurück“, streckt die bebenden Arme gen Himmel und macht mit einer mitreißenden Lust die Rampensau, dass es eine helle Freude ist. Denn bei allem Diskursballast und Zitatenschwere, der sloganhaften Trotzigkeit und passionierten Infragestellung ist dies noch immer ein Rockkonzert – und es rockt gewaltig. „Was du auch machst, mach es nicht selbst…“ Rocken oder rocken lassen? Am Schluss spielen sie ihr allererstes Lied, das „auf ziemlich erschöpfende Weise die Desillusionierung behandelt“: „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“… wie sieht es mit der Bereitschaft aus, 15 Jahre später? Die alten und die neuen Lieder schließen fast nahtlos aneinander an, unüberhörbar die relative musikalische Schlichtheit der frühen Stücke, doch der Versuch, das Einspruchs- und Widerstandspony immer wieder von einem anderen Eck aufzuzäumen, den Blickwinkel zur Infragestellung zu ändern, der ist offensichtlich – und macht großen Spaß. Von der gepflegten Selbstironie, die von heute aus gewissermaßen hinterrücks die Zeilen illuminiert, mal ganz zu schweigen: „Ihr habt mir viel zu oft / auf die Schulter geklopft / und ich glaub nicht daran / dass ich ohne das Klopfen noch kann…“ Oder war es ohne das Klatschen? Jedenfalls: Dankeschön, Offenbach! Und Frankfurt natürlich auch.


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